Hamburg. Pate der deutschen Stand-up-Komik erinnert im Programm „#13“ an seine Anfänge 1997 im Tivoli, ätzt über TV, Social Media und die Kirche.
Die Zugabe ist fast beendet, da erinnert sich Michael Mittermeier an sein Debüt 1997 im Schmidts Tivoli. „Hier im Tivoli, das waren meine ersten Auftritte auf einer großen Bühne“, erzählt er. Damals hätte er am Spielbudenplatz eine ganze Woche gastieren sollen und sagte: „Spinnt‘s ihr?“ Er ließ sich auf nur drei Tage ein, die reichten ihm.
In dieser Woche stehen in Mittermeiers Tourplan für sein Programm „#13“ nur zwei, seit Langem ausverkaufte Abende in Hamburg. Allein der erste am Montag dauert inklusive Pause und Support fast drei Stunden. Und ja, ein Gastkünstler wie der von Mittermeier aus dem Off angekündigte Wahlhamburger Fredéric „Freddy“ Ekué, der gehört beim 58-Jährigen inzwischen dazu. Auch das goutiert sein Publikum.
Michael Mittermeier outet sich im Schmidts Tivoli als FC-Bayern-Fan
Viele sind dem Paten der deutschen Stegreif-Komik in fast drei Jahrzehnten gefolgt, seit Mittermeier 1996 als TV-Junkie mit umgedrehter Baseball-Kappe und seinem ersten Soloprogramm „Zapped“ durchstartete. Davor lag die Theorie: Seine Magisterarbeit hatte der Student der Politologie und Amerikanistik über das Thema „Amerikanische Stand-up-Comedy“ verfasst.
Der TV-Junkie kehrt an diesem Abend im Tivoli einige Male zurück, als führender Vertreter der „Generation Boomer X“ nun etwas gesetzter, weniger zappelig, jedoch auch bissig, wenn es um Fernsehunfälle wie „Love Island“ (RTL 2) sowie um Auswüchse in den sogenannten sozialen Medien geht.
Michael Mittermeier in Hamburg: Gags über den Terror der RAF und bei GNTM
Ein Mikro, ein Mann in Ehren ergraut, sonst nichts. Es spricht für den selbstironischen Künstler („Wer ist dieser Typ mit den weißen Haaren?“), dass er mit seiner Kunstform Stand-up-Comedy sogar Teenager im Saal anspricht, gespeist auch von Alltagserfahrungen mit seiner Tochter Lilly (16). Mal ist er politisch, mal weniger. Durchaus gewagt, wenn er über die Rote Armee Fraktion (RAF) aus den 1970ern und antiquierte Polizeimethoden spottet und dann zu einem für ihn anderen Terror kommt: GNTM, „Germany‘s Next Top Model“ mit Heidi Klum, deren Stimme Mittermeier genüsslich imitiert.
Oder sollte man über die RAF ebenso wenig Witze machen wie über den FC Bayern, fragt sich der Münchner sogleich. „Auf eine tote Sau haut man nicht drauf“, outet sich Mittermeier als Fan des deutschen Liga-Krösus. Und nennt eine Terror-Rentnerin wie die in Berlin-Kreuzberg mit einer Handgranate in der Tasche einkaufende Daniela Klette schlicht „Oma Bin Laden“. Der Comedian freut sich, dass auch dieser Gag zündet.
Zweiter Teil der Show in Hamburg gerät atmosphärisch dichter, weil persönlicher
Fahrradkuriere, die sind für ihn auch eine RAF, die Radler Armee Fraktion. Und die Liegefahrradfahrer sollte man gleich mit abschieben. Auch wenn es dann wohl keine Erdkundelehrer mehr gebe. Derlei Klischees gilt es zu pflegen. Wie aus dem Stegreif tippt Mittermeier immer neue Themen an, nimmt dann das vorherige Sujet wieder auf, spinnt es weiter und führt alles am Ende pointiert zusammen. Das ist ausgereiftes Bühnen-Handwerk.
Indem er von seinen Eltern (82 und 85) in der bayerischen Provinz erzählt und davon, wie der Vater mit einem Staubsauger versucht, ein Wespennest zu bekämpfen, führt er nach mehr als einer Stunde ohne Pause schon auf den zweiten Teil seiner Show hin. Der gerät atmosphärisch noch dichter, weil noch persönlicher.
Michael Mittermeier erzählt, wie er und seine Frau in Las Vegas von Elvis getraut wurden
Nach Erfahrungen mit einem Essen beim Japaner („Sie können es jetzt fotografieren!“) bis hin zur von ihm so betitelten „Instagram-Bulimie“ kommt Mittermeier auf Privates und Klerikales zu sprechen, vielmehr verknüpft Mittermeier beide Themen: „Jesus war der größte Influencer aller Zeiten, er hatte aber nur zwölf Follower“, meint der Spötter. Und dass in ihm, dem langjährigen Grünen-Wähler, noch etwas brodelt in Sachen Klerus, offenbart Mittermeier mit der Frage, warum die Kirche gegen Abtreibung sei. Die bitterböse Antwort: „Sie braucht Nachwuchs für den Missbrauch...“
Im Vergleich dazu eher unaufgeregt erzählt Michael Mittermeier von den vier Totgeburten seiner Frau und dass die gemeinsamen Kinder in Bayern nicht beerdigt werden durften, weil sie ja auch nicht getauft seien. Und von der zweiten Hochzeit im Vorjahr mit seiner Gudrun in Las Vegas, getraut von einem gewissen Elvis.
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Schließlich plädiert MM für weniger Aggression im Alltag und gesteht, dass dieser mit „‚#13“ überschriebene Abend eigentlich gar kein neues Programm sei. So sollte ursprünglich sein 13. Programm heißen, es hätte im (Corona-)Jahr 2020 Premiere gefeiert. Inzwischen seien aber zwei andere Shows dazugekommen. Im nächsten Jahr will Mittermeier ein neues Programm herausbringen. Das Gute: Es müssen bei ihm nicht immer die Arena-Tourneen sein. Die Nachwuchsförderung liegt ihm am Herzen: Seit Herbst betreibt Mittermeier in München mit seiner Frau sogar einen eigenen Comedy-Club. Er bleibt bei seinen Wurzeln.