Hamburg. Dirigentin Anja Bihlmaier hatte im Großen Saal insgesamt einen starken Auftritt. Nur bei den Liedern von Alma Mahler gab es Probleme.
Natürlich hat György Ligeti 1969 noch nicht ahnen können, dass es knapp 50 Jahre später mal eine Elbphilharmonie in Hamburg geben würde. Und dennoch wirkt sein damals vollendetes Stück „Ramifications“, als hätte er es für den Großen Saal und seine besondere Akustik maßkomponiert: Mit den ultraleisen Klängen von zwölf Streichern, die am Rande der Stille entlangwispern. Das dürfte kaum ein anderer Raum so bleistiftfein abbilden.
Anja Bilhmaier in der Elbphilharmonie: Packendes Debüt am Pult der Philharmoniker
Ligeti spielt mit den Grenzen der Hörwahrnehmung, indem er die Linien einzeln hervortreten lässt und dann wieder miteinander verknäuelt. Diese Idee materialisieren die Solostreicherinnen und -streicher der Philharmoniker unter Leitung von Anja Bihlmaier sensibel. Sie verflechten ihre Stimmen zu einem geheimnisvollen Sound, der Konturen verschleiert, der flirrt und fluktuiert. Die Musik scheint irgendwo in den Sphären des Alls zu schweben. Bis sie der Kontrabass entschieden auf die Erde zurückruft. Faszinierend! Bihlmaier dirigiert die hier noch kammermusikalische Besetzung ohne Taktstock. Sie formt die zarten Strukturen mit genau der richtigen Dosis Pianissimo in den Fingern.
Davon hätte der zweite Programmpunkt des Matineekonzerts noch eine Portion mehr gebrauchen können. In den sieben Liedern von Alma Mahler – erst 1995, mehr als 30 Jahre nach ihrem Tod, von Colin und David Matthews orchestriert – drohen die Philharmoniker die Solistin Kate Lindsey zuzudecken. Nicht durchgängig, aber doch zu oft. Und das ist schade. Denn die US-amerikanische Mezzosopranistin singt hinreißend. Mit einem Timbre, dessen leicht eingedunkelte Leuchtkraft wunderbar zur Sinnlichkeit der Lieder passt. Und mit einem Gespür für die Nuancen der Sprache, die eben immer wieder vom Orchester geschluckt werden. Trotzdem schön, diese Lieder zu hören, mit ihren süffigen Harmonien und subtil erotischen Untertönen.
Philharmoniker: Diese Dirigentin hat ihren ganz eigenen Stil
Anja Bihlmaier beweist ein gutes Gespür für die besonderen Farbmischungen und den Pulsschlag der romantischen Musik, der sich oft ganz plötzlich beschleunigt und dann wieder verlangsamt und zur Ruhe kommt. Auch im Andante aus der ersten Sinfonie von Jean Sibelius, dem Schlussstück des Programms.
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Bihlmaier – jetzt mit Taktstock – nimmt sich Zeit, um den Gesang der Streicher atmen zu lassen, sie taucht mit den Philharmonikern ein in die Stimmung der Melancholie. Das klingt nach nordischer Wehmut. Aber die Dirigentin kennt auch die anderen Facetten des Stücks, das unterschiedliche Temperamente in sich trägt. Sie investiert viel Energie und nutzt auch kantige, manchmal explosive Gesten, um den perkussiven Rhythmus im Scherzo, das Vorandrängen im ersten Satz und die großen Steigerungsbögen im Finale zu modellieren. Auch wenn es hier und da vereinzelt ein bisschen klappert, entfacht die Interpretation ihren Sog. Ein packendes Konzert, mit einem spannenden Debüt am Pult des Philharmonischen Staatsorchesters. Anja Bihlmaier hat ihren ganz eigenen Stil.