Wedel. Handwerk zur Kunst geadelt: Die Schau in Wedel überzeugt mit einem ungewohnten Zugriff auf Werk und Leben des berühmten Malers.
Man kennt Henri de Toulouse-Lautrec als Chronisten der Pariser Jahrhundertwende-Halbwelt: Moulin Rouge, Cancan, Tanz auf dem Vulkan, manche erinnern sich auch, dass der 1864 geborene Maler mit einer erblichen Körperbehinderung lebte. Das Leben des Künstlers ist mittlerweile mit so vielen Klischees besetzt, dass sie die Wahrnehmung seiner Kunst teilweise überdecken. Das Barlach Kunstmuseum Wedel wagt einen bei Toulouse-Lautrec ungewohnten Zugriff: Gezeigt wird weniger ein mal tragisches, mal beneidenswertes Schicksal, gezeigt wird ein Maler im Kontext seiner künstlerischen Einflüsse.
Barlach Kunstmuseum: Ein ganz anderer Blick auf Toulouse-Lautrec
Der Hamburger Sammler Wolfgang Krohn hatte umfangreiche Bestände von Toulouse-Lautrecs Arbeiten sowie von Zeitgenossen zusammengetragen, und die Ausstellung konzentriert sich auf einen Teil dieser Sammlung. Man beginnt im Erdgeschoss des kleinen Museums mit den Zeitgenossen – nicht chronologisch, aber mit einem Überblick, in welchem Umfeld Toulouse-Lautrec arbeitete. Deutlich wird dabei, was für eine explosive Mischung sich im Paris des ausgehenden 19. Jahrhunderts versammelt hatte: Einerseits war die Metropole geprägt von einer umfangreichen Rotlichtszene, andererseits begann die Halbwelt, eine eigene Ästhetik zu entwickeln, der Striptease etwa wurde zur künstlerischen Form. Zur künstlerischen Form, die verbreitet werden wollte – und hierfür war die Entwicklung der bis dahin noch belächelten Farblithografie von entscheidender Bedeutung.
Die ersten Räume zeigen entsprechend vor allem für die damalige Zeit revolutionäre Farblithografien, die als Werbeplakate fungierten: Jules Chérets „Bal au Moulin Rouge“ (1885), das auf das legendäre Revuetheater hinwies, oder ein Plakat von Manuel Robbe für den Fahrradhersteller Plasson (1896). Vorläufer, auf deren Arbeit Toulouse-Lautrec später aufbauen konnte.
Toulouse-Lautrec interessierte sich für die Menschen hinter den Modellen
Wobei deutlich wird, dass er eben nicht nur einer von vielen Künstlern war, die sich vom Rotlicht anziehen ließen. Ja, auch Toulouse-Lautrec entwarf Plakate für die Nachtlokale, ja, auch Toulouse-Lautrec porträtierte die Frauen, die in den Bordellen und auf den Theaterbühnen arbeiteten. Aber anders als seine Zeitgenossen, die hier vor allem Motive für tendenziell verruchte Kolportagen erkannten, interessierte er sich für die Menschen hinter den Modellen. Und zeigte sie entsprechend nicht nur in Posen, sondern in ihrem Alltag: bei der Hausarbeit, mit Liebhabern (und Liebhaberinnen), schlafend. Diese intimen, berührenden Blicke auf die unglamourösen Seiten der Bohème finden sich zum Beispiel in der provokanten, auch in Wedel gezeigten Serie „Elles“ (1896).
Die so zurückhaltenden wie klugen Wandtexte beschreiben hier auch die Lebensumstände des Künstlers. Toulouse-Lautrec mochte sich (nicht zuletzt wegen seiner Behinderung) in Paris als Außenseiter gefühlt haben, bei Licht betrachtet aber war er durchaus erfolgreich: dass „Elles“ sich schwer verkaufen ließ, lag nicht daran, dass niemand die Bilder gewollt hätte, sondern am damals exorbitanten Preis. Ebenfalls wird deutlich, dass er – anders als viele Zeitgenossen – getrieben war von Empathie, vom Versuch, der dargestellten Welt nahezukommen. Damit war er Ernst Barlach verwandt, dem 1870 in Wedel geborenen Bildhauer und Zeichner, in dessen Geburtshaus das Museum untergebracht ist, wie Jürgen Doppelstein vom Vorstand der Ernst-Barlach-Gesellschaft ausführt.
Toulouse-Lautrec: ein handwerklicher Könner, der das Handwerk zur Kunst adelte
Schwierig hingegen ist die von Doppelstein versuchte Charakterisierung beider Künstler als Wegbereiter der Moderne. Im Gegensatz zu Barlach war Toulouse-Lautrec eindeutig ein Kind seiner Zeit, die Einflüsse von Jugendstil und Post-Impressionismus werden gerade dort deutlich, wenn seine Bilder neben Arbeiten von Jules Chéret oder P. Marie hängen. Nur dass Toulouse-Lautrec diese damals zweifellos modische Kunst zu erweitern wusste, mit kleinen, verstörenden Details, mit einem weit über das Dekorative hinausgehenden Interesse an drastischem Realismus. Und nicht zuletzt mit einer grafischen Eigenwilligkeit, die beweist, dass man es hier zwar mit einem handwerklichen Könner zu tun hat, aber mit einem, der das Handwerk zur Kunst adelte.
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Eine Lithografie wie „Le Soir“ (1896) ist eben in erster Linie eine Ankündigung der Tänzerin La Goulue. Aber sie ist gleichzeitig mehr als das, sie ist ein hoch kreatives Umschmeißen der Werbegrafik-Gesetze. Moderne? Nein. Große Kunst? Auf jeden Fall. Was diese übersichtliche, klug kuratierte Schau deutlich macht.
„Henri Toulouse-Lautrec und die Belle Èpoque“ bis 8. Juli, Barlach Kunstmuseum Wedel, Mühlenstraße 1, Wedel, Mittwoch bis Sonntag, 11 bis 18 Uhr, www.ernst-barlach.de