Hamburg. Beim mit Spannung erwarteten Tanzabend „I want to be a Swamp“ stehen bedrohte Moorlandschaften im Mittelpunkt

Eine an Sand und Wüste erinnernde Szenerie, langsam sich dynamisch aufbauende Bewegungen, die sich steigern bis zum großen selbst ermächtigenden Ausbruch in einem lateinamerikanischen Cumbia-Tanz. Heute kann man sagen, dass die Tanzperformance „The Garden of Falling Sands“, die im April 2023 ihre Premiere im Lichthof Theater erlebte, der endgültige Durchbruch war für die Hamburger Choreografin, Performerin und Tänzerin Yolanda Morales.

Yolanda Morales: Diese Choreografin gibt Hamburgs Tanzszene neue Impulse

Die Kritik war voll des Lobes, das Publikum aus dem Häuschen und als Krönung wurde die Produktion auch noch als eine von zehn zur bundesweiten Bestenschau, der Tanzplattform Deutschland 2024 nach Freiburg eingeladen. „Das war für uns sehr wichtig. Auch für die Sichtbarkeit des soziopolitischen Themas. Es kam ein wenig überraschend, aber wir haben uns sehr gefreut, dort zu sein“, sagt Yolanda Morales mit sanftem Lächeln. Sie hat etwas geschafft, was nur wenigen gelingt: der Hamburger Tanzszene neue Impulse zu geben und ihre überregionale Wahrnehmung zu stärken. Ein Gefühl von Erfolg stellt sich dennoch sehr behutsam ein. „Erfolg ist vor allem viel Arbeit und Leidenschaft. Das Glück, eine Struktur und ein Team zu haben, mit dem man nachhaltig arbeiten kann. Ich glaube, es gibt da nicht einen einzigen Weg.“

Zeit, sich von all dem Trubel zu erholen, hat die 1984 im Süden Mexikos geborene, seit 2016 in Hamburg lebende Choreografin ohnehin nicht. Sie hat eine der drei begehrten jährlichen Residenzen in der K3 – Zentrum für Choreografie erhalten. Und steckt nun nach acht Monaten intensiver Arbeit mitten in den Endproben für ihren neuen Tanzabend „I want to be a Swamp“, was so viel heißt wie „Ich möchte ein Moor sein“, der beim TanzHochDrei Festival (20. bis 24. März) Premiere feiert.

Kampnagel: In der Performance geht es um bedrohte Moorlandschaften

Der erste Eindruck? Sie wird sehr anders aussehen als der Cumbia-Hit. Ein kurzer Probenausschnitt zeigt Tanzende, die sich tastend vorwärtsbewegen, die Körper gekrümmt, bald zu Boden gleiten und eine Melodie anstimmen. In der Performance erforschen Morales und ihr fünfköpfiges Ensemble Moorlandschaften, die vom Aussterben bedroht sind. Hierfür haben sie in einer ausführlichen Recherche Moore außerhalb Hamburgs besucht, dort Video- und Fotoaufnahmen angefertigt, Tiere und Pflanzen beobachtet. All das versuchen sie nun in Bewegungen zu übersetzen. Es geht dabei nicht darum, Natürliches auf der Bühne nachzuahmen, sondern in eine kollektive Erfahrung zu übertragen.

Diese Herangehensweise hat Morales früh ausgeprägt. „Ich habe mit Straßentheater in Chiapas angefangen. Mich hat fasziniert, was ich mit dem Körper erzählen kann, welche Bedeutung er haben kann, auch politisch“, erzählt Morales. Tanzunterricht hatte Morales als Kind nicht, aber eine Lehrerin, die ihr Talent förderte. Früh war ihr die Bedeutung des Tanztheaters von Pina Bausch bewusst und so suchte sie nach ihrer Tanzausbildung an der Universidad de Ciencias y Artes in Chiapas und an der Universidad in Puebla nach einer Ausbildung in Deutschland.

Das Thema Gewalt gegen Frauen griff Yolanda Morales in Videospiel-Ästhetik auf

Sie erhielt eine Zusage an dem – inzwischen leider eingestellten Studiengang – Performance Studies in Hamburg. An der Universität lernte sie Deutsch, entwickelte ihre eigene tänzerische Handschrift. „Mich inspirieren Dinge, die eine weltweite Resonanz haben, ob das Migrationsphänomene sind, oder Gewalt gegen Frauen oder postkoloniale Themen. Ich bin natürlich geprägt vom soziopolitischen Kontext meiner Stadt und meiner Familiengeschichte.“ Bereits ihre erste größere Arbeit „2666“ (2021) nach dem gleichnamigen Roman von Roberto Bolaño vereinte Yolanda Morales‘ rare Qualitäten als Choreografin: die Verbindung aus einem klugen, originellen Konzept und einer ausdrücklich tänzerischen Umsetzung.

Das Thema Gewalt gegen Frauen griff sie in einer Videospiel-Ästhetik auf. In „Nerven“ (2022) kreierte sie eine postapokalyptische Landschaft, in „Horses“ (2023) setzte sie sich mit dem Pferd im Kontext der Kolonialmacht Spanien auseinander.

Beim aktuellen Stück gibt es keine choreografischen Vorgaben oder Referenzen

Viel Zeit verbringt Morales mit Recherche und Schreiben in einem gewachsenen Team. Auch in der aktuellen Produktion. „Ich frage mich, wie können wir diese bedrohten Landschaften in unserem kollektiven Gedächtnis, in unserem Körper speichern. Beim Thema Klimawandel denkt man immer zuerst an Eisberge, aber auch die Moore sind sehr interessante Landschaften, die zu verschwinden drohen.“ Die Besonderheit und auch Herausforderung bei „I want to be a Swamp“ ist es, dafür Bewegungsabläufe zu finden, denn anders als etwa bei dem Cumbia-Thema, wo es um einen sozialen Körper ging, existieren diesmal keine choreografischen Vorgaben oder Referenzen an die sie andocken kann.

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Es ist also der Versuch, etwas wirklich Originäres zu schaffen. Morales und ihr Team wollen diesmal in einem futuristisch anmutenden Bühnenbild mit schamanistisch anmutenden Ritualen, verbunden mit elektronischen Sounds und chorischen Stimmen, an ein verschwindendes Ökosystem erinnern. Dabei könnte es helfen, dass Morales eine Choreografin ist, die den Mut und die Leidenschaft aufbringt sich in unbekannte Gewässer – oder in diesem Fall Moore – zu stürzen.

TanzHochDrei Festival20. bis 24.3., K3 – Zentrum für Choreographie/Tanzplan Hamburg, Jarrestraße 20, Karten unter T. 27 09 49 49; www.k3-hamburg.de