Hamburg. Besucher mussten sich für die Premiere warm anziehen. Yolanda Morales’ Tanzstück ist trotz der Kälte beeindruckend.

Eine große Kälte prägt Yolanda Morales’ Tanzstück „Horses“. Das ist natürlich metaphorisch gemeint, aber gleichzeitig auch ganz real: Die Kesselhalle im Kraftwerk Bille ist ein riesiger, nicht beheizbarer Raum, eine Kathedrale der Industriearchitektur, und in der bibbert das Publikum an einem herbstlichen Oktoberabend vor sich hin. Das ist das eine.

Das andere: „Horses“ bezieht sich auf die Eroberung Mexikos vor 500 Jahren durch die spanischen Conquistadoren, die Pferde auf den amerikanischen Kontinent brachten, Tiere, die dort bis zu diesem Zeitpunkt unbekannt waren und deren Kraft und Größe die indigene Bevölkerung nichts entgegenzusetzen hatte.

Premiere Hamburg: „Horses“ – Kampf, Unterwerfung, Kälte

Bis in die Gegenwart sind Pferde in Mexiko mythisch besetzte Wesen: „Reiterstandbilder prägen auch heute noch als patriarchale Symbole der Macht den öffentlichen Raum in mexikanischen Städten“, verrät der Programmzettel. In Tanz übersetzt, bedeutet das Kampf, Konkurrenz, Unterwerfung. Große Kälte.

Schon beim Einlass stellt Morales klar, um was es hier geht: Scheinwerferkegel und hartes Gegenlicht strukturieren den Raum, Damini Gairola und Alicia Ocadiz sowie die Choreografin selbst stellen in Standbildern Posen der Abwehrbereitschaft nach, defensiv, aber hochaufmerksam, immer bereit, auf eine Bedrohung einzugehen. Und ziemlich schnell chancenlos, als fünf Gasttänzerinnen durch die Halle traben und klarstellen, wer hier das Sagen (beziehungsweise Wiehern) hat.

Künstlerisch ist die Haltung manchmal unterkomplex

Thordis M. Meyer performt dazu an Sampler und Saxofon eine Klangkulisse zwischen Neuer Musik, Jazz und Industrial, während Katrin Bethge und Maj-Lene Tylkowski zerfließende Bilder an die Wände projizieren, Staub, Asche, Öl.

In seiner antikolonialen Grundhaltung macht es sich „Horses“ vielleicht ein bisschen einfach: Morales beschreibt hier eine historische Grausamkeit, gegen die schlicht niemand etwas haben kann. Und auch die gewalttätigen Bilder, die martialische Grundstimmung, die Kontakt immer nur als Kampf zeigen will, ist künstlerisch manchmal unterkomplex.

Beeindruckend – bittere Kälte im Kraftwerk Bille ist egal

Und doch ist „Horses“ ein beeindruckender Abend. Weil Morales, die zwar seit 2016 schon mit mehreren interessanten Projekten in Hamburg auf sich aufmerksam machte, aber doch noch als Nachwuchshoffnung gelten kann, hier die ganz große Form in Angriff nimmt. Weil sie ein Ensemble von acht Tänzerinnen koordiniert, weil sie Tanz, Musik und Bildende Kunst integriert, weil sie einen Raum bespielt, der sich eigentlich gar nicht befriedigend bespielen lässt, in seinen kaum fassbaren Ausmaßen. Und weil sie all diese Herausforderungen mit einer Sicherheit meistert, die in der freien Szene selten ist.

Und angesichts dieser handwerklichen und künstlerischen Sicherheit ist es dann auch egal, dass manche martialischen Bilder abgedroschen sind, dass das historische Bewusstsein von „Horses“ ein Stück weit wohlfeil daherkommt. Und die bittere Kälte im Kraftwerk Bille ist sowieso egal.

„Horses“ läuft wieder am 23. und 24. Oktober in der Kesselhalle, Kraftwerk Bille, Anton-Ree-Weg 50, Tickets gibt es zu 8 bis 24 Euro über das Lichthof Theater: unter www.lichthof-theater.de