Hamburg. Mit Wein, Bier, Gesang und Tanz: „Pop Seasons“ in der Christianskirche erfüllt den Kirchenraum. Sänger Maxim sorgt für das nötige Gefühl.

Warm leuchten die Teelichter in Papiertüten am Eingang des barocken Backsteinbaus. Die Christianskirche in Hamburg-Ottensen öffnet seine Tore für ein Konzert der Reihe Pop Seasons. Und im Innern, da wird am improvisierten Tresen kein Wasser verwandelt. Der Wein kommt direkt aus Pappkanistern. Jan Köpke, Chef des veranstaltenden Labels popup-records, klärt höchstpersönlich darüber auf, welcher Tropfen denn nun süßlicher und welcher trocken ist. Das Kirchenschiff, in pinken Lichtakzenten ausgeleuchtet, füllt sich bis auf die hinterste Reihe. Wo sonst die Gesangsbücher liegen, stehen Bierbuddeln und Becher. Unterm Kreuz auf einer Seitenbank ein lachendes Liebespaar. Ein Typ in Basecap, eine ergraute Freundesclique, Mutter und Sohn. Plauderei und Vorfreude. Eine Art sakrale Gemütlichkeit.

Singen unter Engeln: Maxims Auftritt in der Christianskirche in Ottensen.
Singen unter Engeln: Maxims Auftritt in der Christianskirche in Ottensen. © FUNKE Foto Services | Roland Magunia

Pastor Matthias Lemme entert mit federndem Schritt die flache Bühne. „Ein schönes Bild: eine volle Kirche‟, erklärt er zur Begrüßung. Und in einer halben Stunde werde es auch wärmer, verspricht er dem teils noch in Jacken gehüllten Publikum. „Seit gut 280 Jahren ist das hier ein Ort für große Gefühle‟, sagt der Kirchenmann, ganz eloquenter wie beherzter Redner. Und er fordert dazu auf, sich in dem Gotteshaus umzuschauen: „Wer mir sagen kann, wie viele Sterne sich an der Decke befinden oder wie viele Engel hier hängen, dem gebe ich einen aus.‟

Volle Kirche: In Hamburg-Ottensen gibt es Popkonzerte von und unter der Kanzel

Was diesen Ort jedoch noch mehr zum Leuchten bringt als jede Dekoration: die Musik. Die Hamburger Newcomerin Weesby singt in ihren klugen wie leichtfüßigen Popsongs von dem Druck, den die Gesellschaft und vor allem wir selbst auf uns ausüben. In der weiten Ruhe der Kirche, da lässt sich durchatmen. Klar steigt Weesbys Gesang empor, während sie Keyboard spielt und von Gregor Sonnenberg an der Gitarre begleitet wird. „Prokrastinieren“, „Attitüde“ oder schlicht „Morgen“ heißen ihre Songs. Weltliche Themen im Altarraum, durchlässig gemacht in Pop und Poesie.

Pastor Matthias Lemme: „Die Christianskirche gehört allen. Und vor allem immer denen, die gerade da sind.“
Pastor Matthias Lemme: „Die Christianskirche gehört allen. Und vor allem immer denen, die gerade da sind.“ © FUNKE Foto Services | Roland Magunia

„Die Christianskirche gehört allen. Und vor allem immer denen, die gerade da sind“, erzählt Pastor Lemme vor dem Konzert. „Wir finden es super, wenn Musikerinnen und Musiker dieses alte Kirchenhaus zum Schwingen bringen. Da gibt es immer überraschende Resonanzen. Und die Kirche wird von Mal zu Mal schöner dadurch.“

Maxim in der Christianskirche: „Engel fliegen um mich herum. Hier passiert ungefähr alles!“

Eine weitere Schicht popkultureller Patina trägt Maxim mit seiner Band auf. Den Backdrop, wie in der Musikbranche der Bühnenhintergrund genannt wird, bildet unter anderem eine Szene aus dem Letzten Abendmahl. Vier Jungs vor den Jüngern. Ein Zeitsprung, ein Kontrast. Später, im Verlauf des Konzerts, da erklärt Maxim, dass er sich nach 20 Jahren des Musikmachens immer noch nicht an das Podest gewöhnt habe. Also: an die Bühne. Er höher als der Rest? „Das suggeriert Dinge, die nicht stimmen.“ Und mit Blick auf Jesus am Kreuz hoch oben hinter ihm fügt er hinzu: „Hier ist das Ganze ja noch einmal hochaddiert. Engel fliegen um mich herum. Hier passiert ungefähr alles.“

Und ob ungefähr alles passiert. Maxim ist ein seelenvoller Sänger und lässiger Geschichtenerzähler. Ein Filou mit Schiebermütze und Lederjacke. Mit „Marseille“ lässt sich mal eben von Ottensen nach Südfrankreich reisen. Und mit Songs wie „Meine Worte“ und „Haus aus Schrott“ führt Maxim mitten hinein in die Komplexitäten von Liebe und Verlust. Ein bisschen Kitsch, viel Wahrhaftigkeit. Und das alles intensiv und nahbar. Denn Maxim und seine Band haben ihr Set nach dem Soundcheck mal eben umarrangiert, reduziert, dem Raum angepasst.

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Für Pastor Lemme sind solche besonderen Momente seit der Kooperation mit popup-records keine Seltenheit mehr. Er schwärmt: „Enno Bunger, der auf der großen Kirchenorgel gespielt und von dort eins seiner Lieder gesungen hat. Alin Coen, die ihre Zugabe a-capella im Mittelgang gegeben hat. Der Reggae-Mann Patrice, der sich diebisch gefreut hat, von der Kanzel zu singen. Oder das erste Konzert ohne Abstand und Masken nach der Pandemie: Da haben alle nach drei Liedern getanzt und keiner wollte mehr sitzen – das war große Freiheit live in Altona.“

Bei der angerauten Romantik, die Maxims Lieder verströmen, wird wiederum die Formulierung „andächtiges Lauschen“ in der Christianskirche auf ein neues Level gehoben. Vom Zweifeln und Loslassen erzählen seine Songs. Von der Nachtigall, die ihm seine Kreativität schenkt. Und von grünen Papageien, die hoffnungsvoll über das ehemals zerbombte Köln fliegen.

Pop in Hamburger Kirche: „Große Gefühle“ – Pastor Lemme hat nicht zu viel versprochen

Nach seinem Hit „Meine Soldaten“, da gibt es wieder so ein spezielles Pop-Seasons-Erlebnis: Maxim singt „Fenster oben links“, gewidmet dem gestorbenen Vater seiner Frau sowie seiner Tochter, während Drummer Lukas Berg ihn an der großen Kirchenorgel begleitet. Erhaben. Und zu Tränen rührend. „Große Gefühle“ – Pastor Lemme hat da nicht zu viel versprochen. Bis zuletzt. Denn Maxim verkündet, wie zuvor bereits bei einem Auftritt in Köln, das Ende seiner Karriere. Sich für TikTok zu filmen, all dieses Drumherum, das das Musikleben verändere, dafür sei er nicht angetreten. Das fühle er nicht mehr.

Dafür fühlt das Publikum umso mehr bei seinem allerletzten Song in Hamburg. „Nie da“. Alle stehen auf und singen mit. Ein Abschied. Und ein Neuanfang. Erst recht an diesem Ort. Denn so ein altes Haus, sagt Pastor Lemme, das sei ja nie einfach nur Kirche, sondern auch Herberge, Gasthaus, Podium, Bühne und Zufluchtsort. Und vor allem eines: Hoffnungsraum.

„Pop Seasons“ in der Christianskirche: 22.3. Dillon, 30.5. Villagers, 24.10. Alin Coen, jew. 20.00, Infos & Tickets: www.popseasons.de