Hamburg. Überwältigender Bruckner: Es ist verblüffend, wie wenig das Philharmonische Staatsorchester in diesem Konzert von seinem Chef benötigt.

Es braucht schon ein großes Vertrauen vonseiten des Dirigenten, um ein Orchester bloß mit kleinen, manchmal kaum noch erkennbaren Gesten zu leiten. Erst recht bei einem Werk wie Bruckners fünfter Sinfonie, in der gewaltige Klangmassen gesteuert und geordnet werden wollen.

Aber Kent Nagano hat dieses Vertrauen, vielleicht auch weil er mit seiner Energie haushalten will. Und das Philharmonische Staatsorchester zahlt es ihm zurück. Mit einer Aufführung, die das Publikum im Großen Saal der Elbphilharmonie rund 80 Minuten in ihren Bann zieht – und das Geschehen der üppig besetzten Sinfonie transparent und präzise abbildet. Selbst die Pizzicato-Passagen, in denen über 60 Streicherinnen und Streicher millisekundengenau zusammen zupfen müssen, sind nahezu perfekt getimt, obwohl Nagano (der in Hamburg erst kürzlich das Bundesverdienstkreuz bekommen hat) den Taktstock da an einigen Stellen sinken lässt und fast aufhört zu dirigieren.

Elbphilharmonie Hamburg: Nagano und die Philharmoniker – so klingt absolutes Vertrauen

Schon beeindruckend, wie viel die Philharmoniker von sich aus machen und gestalten. Und erstaunlich, wie wenig sie dafür von ihrem Chef benötigen. Oft bekommen sie nur eine Andeutung, einen Fingerzeig. Oder noch weniger. Im Scherzo dirigiert Nagano den Dreier-Takt ziemlich geradeaus, ohne etwa in den Beinen zu federn. Das sieht fast ein bisschen eckig aus – und trotzdem schwingt das Orchester geschmeidig, im wiegenden Rhythmus des Ländlers. Und im langsamen Satz singt die Cellogruppe ihr Thema beseelt, ohne dass Nagano erkennbar Legato-Bögen zeichnen würde.

Konzerterlebnis in der Elbphilharmonie: Das Philharmonische Staatsorchester unter Kent Nagano im Großen Saal.
Konzerterlebnis in der Elbphilharmonie: Das Philharmonische Staatsorchester unter Kent Nagano im Großen Saal. © Claudia Höhne | Claudia Höhne

Hier und da könnte er den Blick sicher noch mehr aus der Partitur nehmen. Einerseits. Andererseits sucht er ja immer wieder den Augenkontakt zu seinen Musikerinnern und Musikern – und es scheint auch so, als führte die Zurücknahme seinerseits dazu, dass die Orchestermitglieder umso sensibler aufeinander hören und vieles eben unter sich regeln. Sie agieren mitunter wie ein riesiges Kammermusikensemble. Vor allem in den leisen Passagen, die so wichtig sind, als Kontrast zu den mächtigen Steigerungen, in denen Bruckner die volle Pracht der Blechbläser entfaltet.

Nagano und die Philharmoniker: Ein starker, ein sehr kultivierter Auftritt des Orchesters

Wenn der Komponist – ein tiefreligiöser Katholik – diese gewaltigen Choräle anstimmt, verströmt seine Musik eine majestätische Spiritualität, etwas Gottgegebenes. Das klingt überwältigend. Aber es erschlägt einen nicht, weil die Philharmoniker und ihr Chef genau wissen, wo die Grenze liegt. Trompeten, Posaunen, Hörner und Tuba entfachen eine gut geerdete Strahlkraft, die das Trommel- und das Zwerchfell vibrieren lässt, aber eben nicht zerfetzt. Selbst das dreifache Fortissimo wirkt nie brachial.

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Ein starker, ein sehr kultivierter Auftritt des Orchesters. Auch vom viel beschäftigten Pauker und von den Solisten der Holzbläser. Sehr schön der Klagegesang der Oboe im Adagio, prägnant die kecken Einwürfe der Klarinette. Diese Motive, die er in den ersten drei Sätzen einführt und entwickelt, greift Anton Bruckner im Finale seiner Sinfonie noch einmal auf und schichtet sie dort zu einem Geschehen von gewaltiger Wucht und Dichte. Das klingt, als würde ein Riese musikalische Bausteine aufeinandertürmen. Aber ein Riese, der auch ganz zart sein kann und an das Gute glaubt.

Am Ende, natürlich, verdienter Jubel. Für eins der großartigsten Werke der Sinfoniegeschichte. Und für eine Aufführung, die diese Größe fühlbar macht.