Hamburg. „Babylon Berlin“ auf großer Bühne: Benno Fürmann las, das Moka Efti Orchestra spielte – und der Untergang war plötzlich ganz spürbar.
Ein Hauch der Goldenen Zwanziger weht durchs Deutsche Schauspielhaus. Dabei beginnt der Abend verhalten mit sanften Rhythmen und zarten Bläsern, die im Refrain von einem wuchtigen Bass und satten Klavierakkorden getragen werden: „Fatalist Tango“. Darin kommt eine sehr abgeklärte Liedzeile vor: „Und wie es weitergeht/wie die Welt sich dreht/ist mir egal, ganz egal“.
Das Moka Efti Orchestra ist inzwischen so etwas wie eine internationale Berühmtheit – dank der deutschen Erfolgsserie „Babylon Berlin“. Zum Beginn der Serie vor acht Jahren haben sich die 14 Musiker in Berlin zusammengefunden, um die verruchte Jazz-Kapelle im gleichnamigen Serien-Nachtclub zu geben, jenem Ort, an dem die Polizeianwärterin Charlotte Ritter die Mühen ihres Alltags und manchen Liebeskummer wegtanzen konnte.
„Babylon Berlin“ in Hamburg: Moka Efti Orchestra spielt Publikum schwindelig
Der Bandname leitet sich dabei aus den Worten Moka, für griechischen Kaffee und den ersten Silben des Nachnamens des Betreibers ab. Denn den weltberühmten Tanztempel hat es wirklich gegeben. 1943 wurde er bei Luftangriffen zerstört.
Im Klang der Bigband lebt der Mythos weiter. Und natürlich setzt das Moka Efti Orchestra noch immer auf den Sog der Serie – auch wenn es das vielleicht gar nicht mehr nötig hätte. Der ausverkaufte Abend im Schauspielhaus verschränkt Musik und Literatur. Schauspieler Benno Fürmann – er gibt in „Babylon Berlin“ den Regierungsrat Günter Wendt, der die Verschwörung der illegalen Schwarzen Reichswehr unterstützt – liest Auszüge aus Volker Kutschers Kriminalroman „Der nasse Fisch“, auf dem auch die ersten beiden Staffeln der Serie basieren.
Moka Efti Orchestra: Benno Fürmann murmelt, haucht, brüllt die Worte
Nun hockt Fürmann in schwarzer Weste überm weißen Hemd bei schummrigem Licht an einem mittig auf der Bühne platzierten Tisch und murmelt, haucht, brüllt die Worte, gekonnt zwischen den Personen tänzelnd, ins Mikrofon. Und sofort steckt die eigene Fantasie mittendrin in den entbehrungsreichen 1920er- und 1930er-Jahren im sündigen, von Korruption und Gewalt geprägten Berlin. Es war auch die Zeit, in der die Demokratie von ihren Feinden ausgehöhlt wurde – mit bekannten fatalen Folgen. Kutschers Kriminalroman lebt von diesem Zeitkolorit – aber eben auch von packenden Ermittlungen.
Einer Szene, in der Kriminalkommissar Gereon Rath Zeuge wird, wie ein Fremder auf der Suche nach einem ominösen Russen in die Wohnung seiner Vermieterin Elisabeth Behnke eindringt, gewinnt Fürmann einen echten Gänsehautmoment ab. Später folgt ein Part, in dem ein Auto mit einem Toten aus einem Landwehrkanal gezogen wird und Charlotte Ritter ihr kriminalistisches Gespür unter Beweis stellen kann. Die Texte hängen nicht zusammen, werfen nur kurze Schlaglichter auf diese von Kutscher so furios entworfene Welt.
Moka Efti Orchestra: Natürlich erklingt irgendwann auch der Serien-Titelsong „Zu Asche, zu Staub“
Das Konzept der musikalischen Lesung wirkt für die Beteiligten noch ein wenig ungewohnt. Hin und wieder stolpert die Dramaturgie des Ablaufs. Die Lese-Passagen mit Benno Fürmann werden zudem untermalt von Visuals von Arne Jysch, der „Der nasse Fisch“ in einer ebenfalls sehr erfolgreichen Graphic Novel verarbeitete. Sie illustrieren zwar das Gelesene, für das Kopfkino hätte man sie aber eigentlich gar nicht gebraucht.
Je weiter der Abend voranschreitet, umso mehr rückt die Musik in den Vordergrund. Und der rauschhafte, mitreißende Big-Band-Sound, bei dem fast jeder Musiker seinen Solo-Moment erhält – einige überzeugen dabei mehr als andere –, spielt den Saal bald schwindelig. Auf den bisherigen zwei veröffentlichten Alben der Band finden sich Eigenkompositionen, die zwar noch dem Geist der 1920er- und 1930er-Jahre verpflichtet sind, aber doch eine ganz eigene Handschrift tragen.
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Zum Beispiel der Song „Sohn“, der mit Trompeten beginnt, dunkle Klavier-Akkorde addiert und einen eigenwilligen musikalischen Kosmos eröffnet. Mehr Swing-, Jazz- und Ragtime als Retro-Charleston. Oder „Ein Ballade“ (der Titel heißt wirklich so), der mit dem Banjo beginnt und in eine sehnsuchtsvolle Bläsermelodie mündet. Natürlich erklingt irgendwann auch der Serien-Titelsong „Zu Asche, zu Staub“, eine Komposition von Bandleader Nikko Weidemann, Mario Kamien und Regisseur Tom Tykwer.
Den Gesangspart übernimmt ganz im Marlene-Dietrich-Look mit Anzug und Zylinder die Kunstfigur „Le Pustra“, bekannt durch das „Kabarett der Namenlosen“. Sie spielt in „Babylon Berlin“ die Rolle der Nachtclub-Besitzerin Edwina Morrell. Und schon das Intro durch Nikko Weidemann am Piano sorgt für Hochspannung. Und wenn dann in dem „Hollaender Mash-up“ noch eine Huldigung an den Revue-Filmkomponisten Friedrich Hollaender folgt, gelingt die schönste Verbindung aus Gestern und Heute. Das Gefühl vom Tanz auf dem Vulkan kurz vor dem Untergang – es fühlt sich auf einmal sehr real an.