Hamburg. Jede Geste ist übertrieben, es wird geschrien, gejammert und gekalauert. Das Stück ist inszeniert als völlig durchgeknallte Farce.
„Wenn sie kein Brot haben, sollen sie doch Kuchen essen!“ Dieser berühmte Satz ist der dekadenten französischen Königin Marie-Antoinette in den Mund gelegt worden, sie hat ihn jedoch nie gesagt. Ob Wahrheit oder nicht, bleibt egal, weil er den vorrevolutionären Zustand auf den Punkt bringt. Der französische Adel verlustierte sich auf seinen Schlössern und das Volk darbte in Hunger – was schließlich zur Französischen Revolution 1789 führte, die den Adel hinwegfegte.
Peter Jordan und Leonhard Koppelmann nehmen den berühmten Satz als Ausgangspunkt für ihre Komödie „Marie-Antoinette oder Kuchen für alle!“ Diese Leckereien, so hochgetürmt wie die Frisuren der Regentin und ihres Gatten Ludwig XVI., ziehen sich als roter Faden durch das Stück, das jetzt in der Komödie Winterhuder Fährhaus Hamburger Premiere feierte.
„Marie-Antoinette“: Ludwig hat sich selbst eine Guillotine gebaut
Marie-Antoinette und Ludwig XVI. wurden schon 1793 durch die Guillotine einen Kopf kürzer gemacht, Jordans und Koppelmanns fiktives Stück spielt fast zwei Jahrzehnte später. Auf den Straßen tobt immer noch die Revolution, Marie-Antoinette (Anna Thalbach) und ihr königlicher Gatte (Klaus Christian Schreiber), zärtlich von ihr „mein Hase“ umschmeichelt, leben immer noch in einem prunkvollen Schloss. Nur die Dienerschaft ist reduziert. Ein Kammerdiener (Nils Hohenhövel), eine Zofe (Isabel Giebeler) und Philippe (Philipp Haagen), das letzte Mitglied des königlichen Orchesters, sind noch zugegen.
König und Königin warten seit Jahren auf die Vollstreckung des Todesurteils, doch bürokratische Hindernisse verhindern ihren Gang aufs Schafott. Ludwig hat sich sogar schon selbst eine Guillotine gebaut, an der er üben kann. Die weist jedoch ein paar Konstruktionsmängel auf, das Fallbeil klemmt. Ein unfreiwilliges Opfer gibt es dennoch. Madame Dubarry, Geliebte von Ludwig XV., zieht an der falschen Strippe und enthauptet sich selbst.
Die beiden Autoren inszenieren ihr Stück als völlig durchgeknallte Farce
Im Laufe des absurden Spiels machen weitere berühmte Personen der Geschichte ihre Aufwartung wie Robespierre, Kardinal Louis de Rohan und Napoleon. Das macht die Komödie zunehmend unüberschaubarer. Es gibt eine Reihe historischer und aktueller Anspielungen, ein Halsband bekommt eine wichtige Rolle und immer wieder wird nach Kuchen verlangt. Als der dann letztlich serviert wird, stellt er sich als prächtige Dekoration heraus. Ungenießbar.
Die beiden Autoren, die auch Regie geführt haben, inszenieren ihr Stück als eine völlig durchgeknallte Farce. Jede Geste ist übertrieben, es wird hysterisch geschrien, zum Gotterbarmen gejammert und gekalauert. Jordan und Koppelmann und das Ensemble geben ihrem Affen Zucker – manchmal allerdings etwas zu viel. Es gibt Momente, gerade im zweiten Teil, da zerfasert die Story, sodass man kaum noch folgen kann, was auf der Bühne (Stefanie Bruhn) eigentlich verhandelt wird.
Jordans höfische Welt ist ein Ort für Lügen, Intrigen und Dekadenz
Doch das ist Teil von Jordans Methode. Seine höfische Welt ist ein Ort für Lügen, Intrigen und Dekadenz. Er zeigt die Welt als ein absurdes Affentheater, in der Logik und auch Psychologie keinen Platz haben, aber Verschwörungstheorien gedeihen. Seine Figuren sind Karikaturen, nur der Musiker hinter dem Cembalo ist von dieser Welt und kommentiert das Geschehen mit kurzen Passagen aus „My Way“, „Je t‘aime, moi non plus“ oder „Non, je ne regrette rien“.
Schon bei der Premiere im Oktober 2022 in der Komödie am Kurfürstendamm spielte Anna Thalbach die Marie-Antoinette, damals zusammen mit Alexander Simon, der lange am Thalia-Theater engagiert war. In der Komödie Winterhuder Fährhaus gibt es ein Wiedersehen mit einem anderen urkomischen Thalia-Schauspieler aus der Flimm-Ära: Klaus Schreiber stürzt sich als König Ludwig XVI. mit Verve in das absurde Treiben. Anna Thalbach gibt die Marie-Antoinette als schrille Göre, doch ihr exzentrisches Spiel ist oft am Rande des Erträglichen. Hoch zu loben sind Nils Hohenhövel und Isabell Giebeler, die in verschiedene Rollen und Kostüme (Barbara Aigner) schlüpfen müssen und jede Figur mit der nötigen Akkuratesse und Komik auf die Bühne bringen.
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„Marie-Antoinette“: Wildes Durcheinander ist nach dem Geschmack des Publikums
Im zweiten Teil machen Jordan und Koppelmann aus der prächtigen Kostüm-Komödie ein Endspiel. Marie-Antoinette und Ludwig laufen in Unterwäsche durch die Szenerie, auf dem Boden breitet sich nach dem Abgang der Dubarry eine riesige Blutlache aus, in der sich alle suhlen und jedes Kostüm rotbefleckt ist. Doch dieses wilde Durcheinander ist ganz nach dem Geschmack des Premierenpublikums. Es bejubelt Schauspieler und Regie-Team. Sie bescheren der Komödie mal ein Stück, das keine Boulevard-Komödie ist, sondern ein zweieinhalbstündiger Enthemmungswahnsinn.
„Marie-Antoinette oder Kuchen für alle!“ Komödie Winterhuder Fährhaus, läuft bis 14.4., Karten unter T. 040/480 680 80; www.komoedie-hamburg.de