Hamburg. In der Uraufführung von „Die gläserne Stadt“ wimmelt es von Anspielungen auf Hamburger Skandale. Mit dabei: ein Mann mit Augenklappe.

Ein ausgehöhlter Bauch eines Containerschiffs erhebt sich auf der Bühne des Schauspielhauses. Roh und irgendwie modrig gähnt er das Publikum an. Eine Reinigungskraft schrubbt die versifften Wände. An diesem unwirtlichen Ort hält ein Bankier Hof und lädt eine illustre Runde aus Reedern, einem Investor, einem Anwalt und einer Krankenhausmanagerin zu einem Geheimtreffen ein. Und bald dämmert es dem Publikum der Uraufführung von „Die gläserne Stadt“ von Felicia Zeller nach „Der Revisor“ von Nikolai Wassiljewitsch Gogol in der Regie von Viktor Bodo: gemeint ist mit der Stadt im Titel Hamburg.

Lina Beckmann ist unter der Maske des tatterigen, fast kahlköpfigen Bankiers Bernd Baktus nur noch an der leicht heiseren Stimme zu erkennen. Als Inhaber der Kaktus-Bank spricht der bald verklausuliert von Mixmax-Geschäften, die jeden auch nur halb informierten Besucher sofort an den ab 2016 losgetretenen Cum-Ex-Skandal erinnern, an die mutmaßliche Verwicklung des Bankhauses M.M. Warburg und ihres Chefs Christian Olearius in schwere Steuerhinterziehung in Millionenhöhe nach einem ausgeklügelten System – bei undurchsichtiger Rolle der Politik.

Cum-Ex-Skandal mit Olaf Scholz als Farce im Schauspielhaus

Auf der Bühne steht der Kaktus-Bank nun eine Steuerprüfung ins Haus, ein Revisor ist angekündigt und wird bald alle Geschäfts-, Privaträume, Ferienhäuser, Zweitwohnsitze auf den Kopf stellen. Zeit also für die Taskforce „Schwierige Situation“. Erst mal ablegen mit dem Schiff und abwarten. Und dann tun, was gierige Menschen gerne tun, wenn sie illegale Dinge getätigt haben, sie gründen eine Stiftung.

Gogols 1836 uraufgeführte böse Komödie entlarvte die Korruption im zaristischen Russland, der Kunstgriff aber, sie an den Hamburger Cum-Ex-Skandal anzubinden, entwickelt sich zu einer grandiosen, spielerisch entfesselten Parodie auf die Gegenwart.

Ein Bürgermeister mit Augenklappe fliegt ein

Auch die Politik ist in das illegale Gebaren verwickelt. Per Hubschrauber fliegt der Bürgermeister ein – an seiner Augenklappe unschwer zu erkennen als ehemaliger Erster Bürgermeister und heutiger Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD). Bei Samuel Weiss nennt er sich Anton Schatz und ist ein Worthülsen strickender Machtmensch mit Erinnerungslücken. Fest steht aber, Schatz steckt knietief drin im Morast der dreckigen Geschäfte.

Dass diese skandalösen Vorgänge hier so erheiternd über die Rampe kommen, liegt daran, dass Regisseur Viktor Bodo die dankbare Vorlage nutzt, um die vermeintlich ehrenwerte Hamburger Gesellschaft klug und sehr bissig zu karikieren. Jan-Peter Kampwirth glänzt darin als glamouröse, nervlich überreizte Bankiersgattin, die die Rolling Stones in die Elbphilharmonie managen möchte.

Reeder im Tennisdress und blitzenden Zähnen

Yorck Dippe gibt im Tennisdress mit blitzendem Zahnweiß und sonnenbankgebräuntem Teint einen Reeder. Jan Thümer überzeugt als halbseidener Immobilieninvestor mit Fliegerbrille. Ute Hannigs Krankenhausmanagerin kommt ständig verbal ins Straucheln. Und bei Christoph Jödes Anwalt zucken die Gesichtsmuskeln vor lauter Rechtsbeugung.

Vieles ist total überdreht, aber die Komödie ist perfekt durchgetaktet, der Slapstick sitzt. Und immer, wenn ein Ausgleiten in der Schmiere droht, bekommt das sensationell aufspielende Ensemble gerade noch die Kurve.

Das Lachen bleibt dem Publikum im Halse stecken

Und so sorgt die Truppe auch noch für Lacher, wenn sie zum x-ten Mal die Stufen der steilen Schiffstreppe herunterrutscht. Die Bühne von Zita Schnabel ist ohnehin ein echter Hingucker und hält auch auf der Kommandobrücke einige interessante Ausblicke bereit. Ilka Giligas Kostüme variieren gekonnt zwischen schick und schäbig.

Als die Handlung ein wenig ins Stocken gerät, sorgt im richtigen Moment neues Personal für Aufregung. Der mit dem Revisor verwechselte Chlestakow Gogols ist bei Carlo Ljubek ein Obdachloser, der sich samt seinem Schlafsack aus einem Rohr schält. Bald realisiert er, dass bei der Panik schiebenden Truppe einiges für die eigenen Zwecke zu holen ist. Und schließlich mischt auch noch die mit einem hellen Sopran gesegnete Eva Maria Nikolaus als Finanzbeamtin mit, die dem kriminellen Treiben auf der Spur ist und sich mit einem Potpourri aus Schlagern und Pop-Hits kampflustig motiviert. Bald wird sie zur riesigen Spinne, die sich den Bankier Baktus krallt, der sich in kafkaesken Träumen verfolgt glaubt.

„Never Given“ droht in die Fassade der Elbphilharmonie zu krachen

Schließlich entgleitet und entgleist alles in einem Mix aus Nebel, Techno, Suff, karnevalesker Kostümierung und Koks. Und der Kahn – er trägt den schönen Namen „Never Given“ – droht just in dem Moment in die Fassade der Elbphilharmonie zu krachen, als die Rolling Stones – wiederum in einer grandiosen Parodie – „Paint it Black“ auf der Kommandobrücke schrubben.

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So gut geölt diese Komödienmaschine rollt, das Lachen bleibt einem auch im Halse stecken. Das liegt an einer nahezu brechtschen Erkenntnis, und es ist kein Zufall, dass die „Ballade von Mackie Messer“ erklingt. Gerechtigkeit gibt es in der Illusionsmaschine Theater. In der rauen Wirklichkeit sind die Schurken meist einen Schritt voraus. Der Renner für die nächste Silvestersause im Schauspielhaus dürfte trotzdem feststehen.

„Die gläserne Stadt“ weitere Vorstellungen 25.2., 18 Uhr, 3.3., 18 Uhr, 8.3., 19.30 Uhr, 13.3., 19.30 Uhr, 28.3., 19.30 Uhr, 7.4., 19.30 Uhr, 21.4., 18 Uhr, 28.4., 19.30 Uhr, Schauspielhaus, Kirchenallee 39, Karten unter T. 24 87 13; www.schauspielhaus.de