Hamburg. Konzertkritik: Westfälische Britpopper lieferten raffinierten Auftritt ab. Es war ein Seiltanz zwischen Anspruch und Kommerz.

Deutsche Provinz und internationaler Pop, das ist eine eigenartige Beziehung. Milky Chance kommen aus Kassel, Blackmail aus Koblenz, Miles aus Würzburg, aber das soll niemand aus ihrer Musik heraushören, und womöglich hört man gerade deswegen ein gewisses Strebertum, eine betont internationale Produktion, englischer Gesang, auf keinen Fall mit Akzent. Giant Rooks kommen aus Hamm. Nicht Hamm in Hamburg-Mitte, sondern Hamm in Westfalen, 180.000 Einwohner, zwischen Dortmund und Bielefeld. Hört man nicht.

Zum ersten Mal fiel das Quintett in Hamburg 2017 auf: Beim Dockville-Festival standen fünf Teenager auf der Bühne, Milchgesichter, denen man ansah, dass sie teils noch zur Schule gingen, die aber Musik machten, die überhaupt nicht kindlich klang, Art-Rock nach eigener Aussage, im Grunde Britpop mit vertrackten Rhythmen und melancholischen Melodien, und Sänger Frederik Rabe überraschte mit einer Stimme, die klang, als ob der damals 21-Jährige schon wahnsinnig viel erlebt hatte, einerseits desillusioniert, andererseits voller Hoffnung.

Giant Rooks sind Stars und die Sporthalle in Hamburg bei Konzert ausverkauft

Mittlerweile sind sechseinhalb Jahre vergangen, die fünf sind immer noch sehr jung, gerade wurde die zweite CD „How Have You Been?“ veröffentlicht. Und Giant Rooks sind Stars: „How Have You Been?“ toppt die Charts, die Sporthalle in Hamburg ist ausverkauft. Und das wäre dann der Moment, an dem die Begeisterung für eine international klingende Band aus Westfalen kippen dürfte. Der Moment, an dem es nicht mehr cool ist, Giant Rooks zu hören.

Sind die neuen Songs nicht tatsächlich weniger überraschend, routinierter? Die Bühne wird dunkel, per Leuchtschrift werden Botschaften ans Publikum eingeblendet, eine Ouvertüre für die WhatsApp-Generation: „How Have You Been?“ Und dann spielt die Band „For You“, den Eröffnungssong der neuen Platte, wuchtig, gradlinig, routiniert. Oder?

Giant Rooks in der Sporthalle: Gitarrist Finn Schwieters spielt ein Solo, das an Scorpions-Cheesyness grenzt.
Giant Rooks in der Sporthalle: Gitarrist Finn Schwieters spielt ein Solo, das an Scorpions-Cheesyness grenzt. © FUNKE Foto Services | Marcelo Hernandez

Es ist kompliziert. „For You“ ist einerseits typisch britische Gefühlsballade, aber dann kracht eine Disharmonie rein, ganz kurz nur, aber sie stört die Routine. Der Opener zeigt, was für tolle Songwriter die fünf jungen Männer sind. Und sie ermöglicht schon in den ersten Minuten viel: Sänger Rabe darf aufs Piano hüpfen (und weil er noch jung und gelenkig ist, macht er dabei eine sehr gute Figur), Gitarrist Finn Schwieters spielt ein Solo, das an Scorpions-Cheesyness grenzt, selbst das nimmt man ihm nicht übel.

Ja, die Songs sind nicht besser geworden in den vergangenen Jahren, aber hinter ihrer Zugänglichkeit liegt eine zweite Ebene, die sagt: Vertraut uns nicht zu sehr. Wir klingen nach Popband, wir sind jung, wir sind hübsch, aber wir wissen etwas über die Schattenseiten des Lebens.

Giant Rooks in Hamburg: Konzert ist ein Seiltanz zwischen Anspruch und Kommerz

Die Melancholie älterer Songs wie „New Estate“ harmoniert mit dem gnadenlosen Hitpotenzial von „Flashlights“, und das neue „Morning Blue“ (das man beim ersten Hören als stumpfe Dancenummer abgespeichert hatte), klingt plötzlich vielschichtiger, als es ist. Ibiza-Beats mit Todesahnung, Rabe setzt sich ans Klavier, klimpert ein paar Trance-Läufe, und von der Seite rollt eine Discokugel in den Saal. Raffiniert.

Mehr zum Thema

Das Konzert ist ein Seiltanz, zwischen Anspruch und Kommerz, zwischen jugendlicher Unbekümmertheit und Ernst, zwischen internationalem Sound und Hamm. Man ahnt, irgendwann wird die Band abstürzen, aber ihr bis dahin beim Tanz zuzusehen, das ist nicht nur schön, es ist auch spannend.