Hamburg. Die russische Pianistin spielt im Kleinen Saal der Elbphilharmonie späte Werke von Franz Liszt – ohne Tastenglitzer und mit einem klaren Plan.

Ein ganzes Programm nur mit Klaviermusik von Liszt zu bestreiten, ist ziemlich speziell. Das muss man schon wollen. Aber auch können. Und Yulianna Avdeeva kann.

Die russische Pianistin fokussiert sich im Kleinen Saal der Elbphilharmonie vor allem auf Werke aus der späten Schaffensphase des Komponisten, in der er dem virtuosen Tastenglitzer abgeschworen hat und stattdessen eher karge Stücke schreibt. Da gebe es „keine Melodien mehr, nur noch Stimmungen“, erklärt Avdeeva in ihrer Moderation – und spürt diesen Stimmungen sensibel nach.

Mit feinem Klangsinn erkundet sie die dunklen Farben der Musik. In „La lugubre gondola“ beschwört sie das Bild einer venezianischen Trauergondel, deren Umrisse sich hinter einem Nebelschleier abzeichnen. Mit „Unstern!“ gründelt sie in tiefer Seelendüsternis. Und in den Rhythmen des „Csárdás macabre“ scheint sich bei ihr der Teufel in Ekstase zu tanzen. Ganz schön morbide, ganz schön düster, das alles.

Wenn Yulianna Avdeeva die Pranke auspackt – dann geht‘s nur um Musik

Nur in der Legende vom Heiligen Franziskus, der auf seinem Mantel das Meer überquert, scheint auch mal die Sonne – nachdem ein Sturm getobt hat, in dem der Flügel rauscht und donnert. Ja, Kraft hat Yulianna Avdeeva auch, und zwar nicht zu knapp, sie packt die Pranke aus, wenn es das Stück will, macht daraus aber keine Show. Ihr geht’s nur um die Musik. Und dafür hat sie einen klaren Plan.

Wer sich in der ersten Hälfte vielleicht etwas mehr Licht und Süße gewünscht hätte, merkt nach der Pause, dass sie das bloß aufgespart hat. Für die h-Moll-Sonate von Liszt, das Hauptwerk des Abends. Da gönnt Avdeeva sich und dem Publikum auch Phasen der Verzückung. Wenn sie eine verträumte Melodie auskostet, mit weichem Anschlag, ganz entrückt, als hätte sie alle Zeit der Welt.

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Diese zärtlichen Momente, womöglich von der Figur der Grete aus Goethes „Faust“ inspiriert, bilden die Ruhepunkte. In einem packenden pianistischen Drama, in dem Avdeeva die Charakterwechsel der Musik durchlebt. Mit einem breiten Spektrum an Nuancen, vom innigen Gesang bis zu gemeißelten Akkorden und mit ihrem Gespür für die Spannungsbögen des Stücks formt sie eine dichte Erzählung – und macht die Aufführung der h-Moll-Sonate zum Ereignis.