Hamburg. Zeitenwende bei der Hamburger Liedertafel: Nach 200 Jahren mischen die neu gegründeten Tontöchter im Verein mit. Ein Probenbesuch.
Wie Engel schweben die Verse von Leonard Cohens „Hallelujah“ am Mittwoch durch das Turmzimmer der Hauptkirche St. Katharinen: 20 Stimmen vereinen sich harmonisch, „I know this room and I‘ve walked this floor.“ Schön klingt das. Aber Katja Klindworth, die Leiterin des Chors Tontöchter, weiß, dass ihre Damen es noch besser können: „Am Anfang bitte mehr legato, und im Alt im Refrain ein wenig mehr crescendo.“ Also noch einmal von vorn, aber sehr gern.
Die Tontöchter, im Herbst 2023 gegründet, sind vermutlich das jüngste Ensemble der an Chören so reichen Hansestadt. Dennoch reicht die Geschichte im Grunde genommen 200 Jahre zurück. Die Tontöchter sind Teil des Vereins Hamburger Liedertafel von 1823, des ältesten Männerchors der Stadt. Im Juni 2023 feierte er Jubiläum mit einem großen Festkonzert in der Elbphilharmonie, und dieser Auftritt inspirierte auch zur Gründung der Tontöchter.
Stimmen gesucht: In Hamburgs ältestem Männerchor singen jetzt die Frauen
„Die Hamburger Liedertafel ist eine starke Stimme der Musikstadt Hamburg, die Tradition und Moderne miteinander verbindet“, schrieb der Erste Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) in seiner Gratulation, denn die Liedertafel ist seit 2019 eng verzahnt mit dem 60-köpfigen Nachwuchs-Chor Bengelsstimmen, viele „Bengel“ brachten ihre Frauen und Freundinnen mit in die Elbphilharmonie. Eine davon war Marlies Krüger: „Ich fand die Bengelsstimmen klasse, die Lieder und ihre lockere Art. Da wollte ich gern mitmachen, aber das ging nun mal nicht mit meiner weiblichen Tonlage. Also habe ich gedacht: Dann gründe ich eben meinen eigenen Chor.“
Dabei hatte Krüger bis dahin nie im Chor gesungen. Aber zuerst durch Freunde und Verwandte und dann durch die vielen Kontakte der Bengelsstimmen hat sich der aktuelle Kern von 20 Sängerinnen gefunden, bunt gemischt in Alter und Chorerfahrung. Alles ist noch im Aufbau, von den Strukturen bis zur Webseite. Alle Sängerinnen tragen Namensschildchen zum Kennenlernen.
„Ideal wären 30 bis 35 Stimmen, Sopran und Alt“, sagt Katja Klindworth, die auch für Klavierbegleitung, Noten, Texte, Arrangements und Übungen für zu Hause sorgt. Das Repertoire aus Vorschlägen von ihr und den Sängerinnen reicht von Klassik über Gospel und Jazz bis Pop, von Cohen bis Beethoven („Ode an die Freude“), und wird an jedem Mittwochabend im Turmzimmer geübt. Die Atmosphäre ist so freundschaftlich wie konzentriert. Denn an diesem Sonnabend singen die Tontöchter beim Neujahresempfang der Hamburger Liedertafel in St. Katharinen. Die zweite Tuchfühlung der Tontöchter mit den Herren und Bengels nach ihrem Debüt auf der Weihnachtsfeier der Liedertafel.
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Tontöchter: Einige Männer der Liedertafel müssen sich noch an den Frauenchor gewöhnen
„Es gibt einige wenige bei den Älteren, die sich noch daran gewöhnen müssen, dass Frauen jetzt auch aktive singende Vereinsmitglieder sind“, sagt der Liedertafel-Vorsitzende Gerhard Pfeiffer, der kurz bei der Probe vorbeischaut und ein paar Takte mitsingt, „aber der Großteil ist sehr aufgeschlossen und auch neugierig.“ Für Katja Klindworth ist es wichtig, „mit der Tradition und Geschichte der Liedertafel umsichtig und respektvoll umzugehen, damit sich alles harmonisch fügt und die Männer einfach sagen: Ach schön, dass ihr da seid.“
„Mein Traum ist es, mit den Tontöchtern in der Elbphilharmonie aufzutreten“, blickt Marlies Krüger in die Zukunft und freut sich auf weitere Frauen, die in das Ensemble einsteigen möchten (Kontakt: contact@tontoechter.de). Das gemeinsame Singen und Erleben, der erhebende Vielklang sind für sie und ihren Chor auch eine zwei Stunden lange Entspannung nach dem hektischen Alltag. Daher gibt es beim Aufwärmen am Beginn der Probe neben Stimm- und Körperübungen auch eine Art Polonaise mit gegenseitigen Schultermassagen. Hallelujah!