Hamburg. Das Ernst Barlach Haus zeigt das unbekannte Frühwerk des Künstlers, der vor den Nationalsozialisten von Berlin nach Tirol floh.
Die schauen einen nicht an. Immer wieder drehen die Figuren auf Werner Scholz’ Bildern den Betrachtern den Rücken zu: die Spaziergänger auf dem „Winterweg“ (1927), das Paar auf der „Tiergartenbrücke“ (1933), „Die Kartoffelleserinnen (Feldarbeit)“ (1933). Für Karsten Müller, Leiter des Ernst Barlach Hauses, sind diese Motive ein Hinweis auf die Isolation von Scholz – der Maler findet keinen Zugang zu den Protagonisten, er bleibt außen vor. Und beobachtet.
Häufig zeigt das Ernst Barlach Haus Ausstellungen von Künstlerinnen und Künstlern, die, so Müller, bislang „nicht die verdiente Aufmerksamkeit bekommen“, der Expressionist Conrad Felixmüller etwa oder die Malerin und Bildhauerin Mary Warburg (geborene Hertz), die zu Lebzeiten im Schatten ihres berühmten Mannes Aby stand. Auf Werner Scholz trifft das nicht unbedingt zu – der 1898 in Berlin geborene und 1982 in Tirol gestorbene Künstler ist eigentlich recht gut in der Museumswelt vertreten.
Ausstellung Jenischpark: Werner Scholz malte Halbwelt, Zirkus, Proletariat
Allerdings hauptsächlich mit Arbeiten, die von 1939 an entstanden sind: Der Künstler, der unter den Nationalsozialisten als „entartet“ verfemt war, zog sich damals in die Alpen zurück und änderte dort seinen Stil, aus der von der Neuen Sachlichkeit beeinflussten Großstadtmalerei wurden Landschaftsbilder und Darstellungen bäuerlichen Lebens, trotz eines kritischen Blicks auf die Umgebung. Die früheren Bilder hatte Scholz in seinem Berliner Atelier aufbewahrt; als dieses 1944 ausgebombt wurde, verbrannte ein Großteil dieses Werks. Der Künstler selbst schien allerdings auch wenig motiviert, auf diese Malerei zurückzukommen, sodass sein heutiger Erfolg weitgehend auf den Tiroler Motiven beruht.
Karsten Müller aber konzentriert sich in der Ausstellung „Das Gewicht der Zeit. Menschenbilder 1927–37“ auf die noch erhaltenen Gemälde des frühen Werner Scholz. Es sind berührende Porträts, die einen sozialkritisch engagierten Künstler zeigen. Etwa mit Figuren aus Halbwelt, Zirkus und Proletariat, die Scholz, der selbst aus einem bürgerlichen, kunstsinnigen Milieu stammte, faszinierten. Manchmal erkennt man Gewaltverhältnisse, am deutlichsten in „Mord“ (1930), aber auch in seltsam ungemütlichen Paardarstellungen oder in Bildern von Kindern, auf denen eine unterdrückende Macht zu lasten scheint – eine Nonne etwa hat nichts Gutes mit den „Waisenkindern“ (1932) im Sinn.
Erstaunliche Parallelen zum Namensgeber des Museums, Ernst Barlach
Gerade „Die Waisenkinder“ ist ein Musterbeispiel dafür, weswegen die Ausstellung im Barlach-Haus den richtigen Ort gefunden hat. Einerseits, weil man der Bildkomposition ansieht, wie genau Scholz an seinen Figuren arbeitete, womit er dem Bildhauer Ernst Barlach verwandt ist. „Das ist eine plastische Malerei, die fast ein bildhauerisches Denken beinhaltet“, beschreibt Karsten Müller das. Aber dann sind da auch die religiösen Motive, die freilich kritisch betrachtet werden. „Scholz ist durch den Umzug nach Tirol nicht vom Kommunisten zum Katholiken geworden“, meint Müller – eine weitere Parallele zu Barlach, der sich zeit seines Lebens dagegen gewehrt hatte, als christlicher Künstler gesehen zu werden. Letztlich vergebens.
„Das Gewicht der Zeit“ jedenfalls erweist sich als klug gehängte, umfassende Ausstellung. Mit einem ungewohnten Blick auf einen Künstler, den man eigentlich zu kennen glaubte.
„Das Gewicht der Zeit. Werner Scholz. Menschenbilder 1927–37“ bis 9. Juni, Ernst Barlach Haus (S Klein Flottbek), Baron-Voght-Straße 50a, Di– So 11–18, Eintritt 9,-/6,- (erm.), Kinder und Jugendliche bis 18 J. frei; barlach-haus.de