Hamburg. Quartett in der Elbphilharmonie zeigt seine Freude an der Disharmonie. Weil man die sägende Verzweiflung in Bela Bartóks Streichquartetten spürt?
Wohlklang ist das nicht, was das Jerusalem Quartett da im Rahmen des NDR-Festivals „Kosmos Bartók“ im Kleinen Saal der Elbphilharmonie zu Gehör bringt. Gespielt werden Béla Bartóks Streichquartette Nr. 2, 4 und 6, entstanden zwischen 1908 und 1940, in der Zeit also, als Erster und Zweiter Weltkrieg, Nationalsozialismus und scheiternde demokratische Versuche die Krisen des 20. Jahrhunderts eskalieren ließen. Man hört das in dieser Musik: Die Begeisterung des Komponisten für die Volksweisen seiner ungarischen Heimat ist noch da, gerade im zweiten Quartett, aber im Laufe der Zeit schleichen sich Misstöne ein, eine Düsternis, eine sägende Verzweiflung. Das Streichquartett Nr. 6 ist kaum noch erträglich.
Elbphilharmonie: Jerusalem Quartett muskulös, virtuos, berührend – schon eine Leistung!
Und das Jerusalem Quartett sorgt nicht dafür, dass der Klang angenehmer wird. Immer wieder geht es schwelgerisch und tänzerisch zu, aber auch mit Freude an der Disharmonie, die sich dann wieder in Melodien auflöst. Wobei diese Freude an der Disharmonie ein Schlüssel zu dem Konzert ist: Die Stücke mögen eine schwere Zeit versinnbildlichen, aber sich auf diese schwere Zeit einzulassen, das kann auch Spaß machen. Über das Gesicht von Cellist Kyril Zlotnikov huscht immer wieder ein Lächeln, wenn er einen besonders harten Akkord in die Reihen brettert – wieder eine Verstörung überstanden, muskulös, virtuos, berührend. Schon eine Leistung.
Und dann geht es weiter, in den gezupften vierten Satz des Streichquartetts Nr. 4, lieblich fast, aber dann auch wieder scharfkantig, gefährlich. Dass die Entstehungszeit Ende der 1920er verhältnismäßig friedlich war, das spürt man in dieser freundlichen Melodie, aber eine Ahnung, was bald darauf folgen wird, die spürt man eben auch.
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Der Publikumszuspruch hält sich in Grenzen: Der Kleine Saal ist gerade mal zur Hälfte gefüllt, das liegt vielleicht daran, dass bekannt ist, was für schwere Kost Bartók sein kann, vielleicht hält auch der Sturm, der am Dienstagabend um das Konzerthaus fegt, Teile des Publikums vom Besuch ab. Wer allerdings da ist, der erlebt die beeindruckende Darbietung dreier beeindruckender Kompositionen, eigenwillig, leidenschaftlich, auf eine gewisse Weise auch verstörend. Und trotz des schwach besuchten Saals spricht der Applaus Bände – der tost nämlich, ganz untypisch für das als eher zurückhaltend geltende Hamburger Publikum.