Hamburg. Die Premiere „Lobby Hero“ am English Theatre nutzt die Krimikomödie, um über gesellschaftliche Verwerfungen zu erzählen. Wo es hakt.
Hierzulande hat es sich noch nicht durchgesetzt, dass normale Mietshäuser einen Concierge haben, der im Erdgeschoss sitzt und protokolliert, wer kommt und wer geht. Aber am English Theatre geht es nicht darum, dass ein Stück für die Verhältnisse des Aufführungsortes angepasst wird, es geht darum, eine Vorlage so zu zeigen, wie sie im West End oder am (Off-)Broadway gespielt wird. Weswegen es auch in Ordnung ist, dass die Wohnverhältnisse in Kenneth Lonergans Krimikomödie „Lobby Hero“ eindeutig US-amerikanische sind: Das Schild „Visitors Welcome! Please Sign In At Front Desk“ wird dann eben hingenommen, weil von vornherein klar ist, dass man sich in Manhattan befindet und nicht auf St. Pauli.
English Theatre: Krimis haben es an Hamburger Theatern schwer
Krimis haben es auf den Hamburger Theaterspielplänen schwer – man scheut das vorgeblich Triviale, und außerdem glaubt man, dass endlose Verhöre fürs Theater wenig hergeben. An Letzterem krankt auch „Lobby Hero“ ein wenig: Nach der Pause geht es über mehrere Szenen ausschließlich darum, wer wann mit wem im Kino gewesen ist. Da wird der Abend dann ein wenig lang, zumal das Publikum längst weiß, dass überhaupt niemand der Anwesenden im Kino war und der behauptete Filmgenuss ein falsches Alibi ist.
Aber das ist eigentlich gar nicht wichtig, weil die Krimihandlung für Lonergan nur der Aufhänger ist für eine Geschichte, die etwas über gesellschaftliche Verwerfungen erzählt. Im Subtext geht es hier nämlich um Polizeigewalt, um sexuelle Nötigung, um Racial Profiling. Trivial ist „Lobby Hero“ nicht. Das Stück mag komödiantische Elemente besitzen, aber es ist eine Komödie, die klug aufgebaut ist und die etwas verstanden hat vom sozialen Kontext, in dem sie spielt.
„Lobby Hero“: ein Vier-Personen-Stück, das einiges an Konfliktpotenzial bereithält
Zumal der Text auch Wortwitz hat und raffinierte Dialoge. Lonergan ist bekannt als Drehbuchautor und Filmregisseur, er schrieb das Buch zu Martin Scorseses „Gangs Of New York“ und führte Regie beim Oscar-prämierten Filmdrama „Manchester By The Sea“: Der weiß, wie man einen schweren Stoff leicht daherkommen lässt. Und am English Theatre findet er ein Ensemble, dass das umzusetzen versteht.
Ned Rudkins-Stow ist der Concierge Jeff, der die Ödnis seines Jobs mit Sarkasmus zu überdecken versucht, Daniel Gregory sein Vorgesetzter William, ein überkorrekter Familienmensch, der zwischen familiärer Solidarität und Wahrheitsliebe zerrieben wird. Außerdem tauchen immer wieder zwei Cops auf, Bill (Peter Dewhurst), ein souveräner Polizist, der kurze Dienstpausen für Prostituiertenbesuche nutzt, und Dawn (Chloe Ballantine), Streifenpolizistin auf Probe, die zu ihrem älteren Kollegen aufschaut (und mehr oder weniger naiv mit ihm ins Bett geht). Voilà: ein Vier-Personen-Stück, das einiges an Konfliktpotenzial bereithält.
Regie ambitionslos, der Abend lebt von der Chemie zwischen den Darstellern
Dass Clifford Deans Regie abgesehen von ein paar elegant choreografierten Auf- und Abgängen ambitionslos daherkommt, ist dabei so wenig ein Problem wie die in realistischer Einfallslosigkeit stecken bleibende Bühne (Mathias Wardeck) und Kostüme (Patricia Royo): Der Abend lebt von der Chemie zwischen den Darstellern, er lebt von der untergründigen Aggressivität bei Dewhurst und der Verzweiflung bei Gregory, vor allem lebt er von Rudkins-Stows komödiantischem Talent. Gerade Letzterer setzt Punchline auf Punchline und überspielt so geschickt, dass es längst nicht mehr um Unterhaltung geht, sondern um die ziemlich schonungslose Analyse einer Gesellschaft, die ihren Mitgliedern kaum noch etwas zu bieten hat.
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Dass Ballantine als seine Sparringspartnerin dabei ein wenig untergeht, ist nicht die Schuld der Schauspielerin: Die gibt ihr Bestes, aber Dawn ist in ihrer Backfischhaftigkeit schlicht eine wenig dankbare Rolle, auch wenn sie in der zweiten Hälfte des Abends die heillos in ihren Strategien verknoteten Protagonisten zu einem Befreiungsschlag nötigt. Ohne Rücksicht auf Verluste übrigens.
Und das ist vielleicht das kleine Problem, das dieser interessant besetzte, unterhaltsame, gesellschaftlich kluge Theaterabend nicht lösen kann: Es geht hier über weite Strecken schonungslos zu, Gefangene werden nicht gemacht. Aber dass die Geschichte nach gut zweieinhalb Stunden in ein Happy End mündet, das ist dann doch mehr Zugeständnis an die Konvention als echtes Gespür für einen Stoff.
„Lobby Hero“ bis 6. April, The English Theatre, Lerchenfeld 14, Tickets unter 2277089, www.eth-hamburg.de