Hamburg. Liedermacher begeistert bei Konzert in Hamburg mit seiner fulminanten Band. Mit nunmehr 67 Jahren rockt Kunze wie wohl nie zuvor.
- Heinz Rudolf Kunze spielte am Freitagabend in der Laeiszhalle in Hamburg
- Mit außergewöhnlichem Konzerteinstieg, kritischen Texten und großen Emotionen begeisterte er sein Publikum
Als die ersten Takte ertönen, steht er da, eingehüllt in eine weiße Zwangsjacke. Ein Mann im Arztkittel eilt auf die Bühne und befreit ihn aus seiner misslichen Lage. Wie entfesselt spielt Heinz Rudolf Kunze dann auf, ballt die Becker-Faust, animiert die Zuschauer zum Mitklatschen und elektrisiert fortan die ausverkaufte Laeiszhalle.
„Vor 40 Jahren habe ich das erste Mal hier gespielt. Und Ihr seid immer noch da, mehr geht nicht“, sagt Kunze. Im Publikum dominiert die Ü-50-Generation, für fast alle zählten Kunze-Hits aus den 1980er-Jahren wie „Leib und Seele“, „Wunderkinder“ und natürlich „Dein ist mein ganzes Herz“ zum Soundtrack ihrer Jugend.
Heinz Rudolf Kunze – entfesselter Auftritt in der Laeiszhalle
Kunze könnte mühelos aus seinem Liedgut Best-of-Abende in Serie bestreiten, rund 550 Lieder hat er seit 1981 veröffentlicht, an die 10.000 Texte geschrieben. Aber das ist für einen wie ihn unvorstellbar. Heinz Rudolf Kunze war immer ein Suchender, „Meine eigenen Wege“, eines seiner bekanntesten Lieder, könnte der Titel einer Autobiografie sein. Er studierte Germanistik und Philosophie, legte das Erste und Zweite Staatsexamen für Lehrer an Gymnasien ab, moderierte Radiosendungen, übersetzte Musicals ins Deutsche und arbeitete als Dozent an der Hochschule Osnabrück.
In der Laeiszhalle präsentiert er „Können vor Lachen“, sein 39. Album. Mit nunmehr 67 Jahren rockt Kunze wie wohl nie zuvor. Mit seiner fulminanten Band – darunter mit Stephan Gade (Bass), Jens Carstens (Schlagzeug) und Natalie Pütz (Gesang) drei Hamburg-Importen – lässt er es richtig krachen. Den berührendsten neuen Song spielt er noch vor der Pause: „Igor“, ein Lied über das Schicksal eines jungen russischen Soldaten, der in Kiew zu lebenslanger Haft verurteilt wurde, weil er auf Befehl einen wehrlosen alten Mann erschossen hatte. „Wie geht es Ihnen, Herr Putin? Wie schlafen Sie bei Nacht?“, fragt Kunze, während auf der Videoleinwand Bilder des Kriegsgrauen eingespielt werden. Am Ende zeigt das Video ein Foto ukrainischer Kinder, die in einem russischen Bus aus Mariupol verschleppt werden. „Es sind immer die kleinen Leute, die für einen Krieg bluten müssen“, sagt Kunze.
„Igor“ ist kein typischer Protestsong von Heinz Rudolf Kunze
Nein, „Igor“ ist kein typischer Protestsong. Die Binse „Krieg, böse, böse, Frieden, gut, gut“ sei ein musikalischer Irrweg. „Das braucht kein Mensch, das wissen wir doch alle“, sagt Kunze. Nur mit konkreten Schicksalen könne man den „Pathos-Fettnapf“ umgehen.
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In Schubladen hat Kunze noch nie gepasst. Er beklagt eine „leistungs-, elitenfeindliche Zeit in Deutschland.“ Schon mit 15 werde heute „von der Work-Life-Balance gefaselt.“ Er hält die Gender-Debatte für Irrsinn, warnt vor Dekadenz („In absehbarer Zeit werden wir durch Arroganz, Dämlichkeit und Faulheit nur noch die Westküste Chinas sein“) – und appelliert dann, für die Demokratie gegen Rechtsextremismus zu kämpfen: „Es ist fünf Millisekunden vor zwölf.“
Am Ende des regulären Programms kehrt der Mann im Arztkittel zurück auf die Bühne und steckt Kunze wieder in die Zwangsjacke. Natürlich kommt er nach ein paar Sekunden für die Zugaben zurück und tobt sich mit seinen Klassikern aus. „Alles was sie will“, „Mabel“, „Lola“ – längst sitzt keiner mehr im Saal. Heinz Rudolf Kunze verneigt sich und wirkt zutiefst berührt: „Hamburg, das war magisch.“