Hamburg. „Andere Verhältnisse“: Berufsverband bildender Künstler*innen stellt Malerei, Zeichnung und Installation im Kunsthaus Hamburg aus.
Es sind zwei Eyecatcher, die um die Aufmerksamkeit der eintretenden Besucherinnen und Besucher buhlen: Zur Linken strahlt eine grellgelb-grüne Kunststoffinstallation wie eine gleißende Sonne von der Wand, in der Mitte schwebt ein schwarz gefärbter Ast von der Decke, an dem verschieden große, durchsichtige Plastikbälle, kleine Meerestierfiguren und Algen baumeln. Darunter ein weiterer Ast, der vom Boden emporsprießt. Von unsichtbaren Motoren angetrieben, kreisen sie ruhig und gleichmäßig um sich selbst; man fühlt sich ein bisschen wie in einem Märchenwald.
Die „Sonne“ mit dem Titel „Seeing Green“ hat Vivi Linnemann entworfen; die Künstlerin konzipiert ihre Arbeiten eigentlich für den öffentlichen Raum. Dort, integriert in Bäumen und an Gewässern, wirken ihre farbintensiven, zwischen organischem und künstlichem Zustand changierenden Kunstwerke wie ein Energieschub. Die Ast-Installation stammt von Anne Dingkuhn, die dafür allerlei persönliche Fundstücke aus ihren Reisemappen verwendet hat. Beide Künstlerinnen gehören dem Berufsverband Bildender Künstler*innen an, der die aktuelle Ausstellung im Kunsthaus Hamburg bespielt.
„Andere Verhältnisse“: Künstlerinnen und Künstler zeigen Lust an der Veränderung
„Andere Verhältnisse“, der Titel spielt auf unsere besondere Zeit an, die sich gerade von einer Pandemie erholt und noch immer damit zu schaffen hat, diesen Ausnahmezustand, neben vielen weiteren Krisen, zu verarbeiten. „Wer bin ich, was will ich hinter mir lassen, in welcher Welt wollen wir leben? Existenzielle Fragen, die sich viele von uns gestellt haben“, sagt Èv van Hettmer, die die Ausstellung zusammen mit Peter Schindler kuratiert. Sie selbst erlebte den Shutdown in ihrem Atelier an der Hochschule für bildende Künste als heilsam, hinterfragte und veränderte ihre künstlerische Strategie.
In der Ausstellung will sie Kunst zeigen, die einen Transformationsprozess sichtbar, aber vor allem Hoffnung macht. Dem zugrunde liegt die Theorie des deutschen Philosophen Ernst Bloch (1885–1977): „Er sah in der Hoffnung des Menschen die Triebkraft für soziale Verbesserungen und zugleich den Schlüssel zu einer lebenswerteren Zukunft“, so die Kuratorin. Der Kunst komme darin eine besondere Bedeutung zu, sie mache Unerfülltes sichtbar, bringe alternative Vorstellungsbilder zum Ausdruck und könne so Veränderungsprozesse in Gang setzen.
Diesen „Kippmoment“ findet Simone Kesting auch besonders spannend. Das Publikum konfrontiert die Künstlerin in der Ausstellung mit einer am Boden liegenden Skulptur, in die man sich spontan hineinkuscheln möchte, so flauschig sieht das bräunliche Gebilde aus. Doch „Argh“ besteht aus hunderttausend hölzernen Zahnstochern, ist also alles andere als flauschig. „Vielmehr könnte es eine Art Pelz sein, den man sich um die Schultern legt, um sich zu schützen“, so die Künstlerin.
Lust an der Veränderung: Künstlerin thematisiert Mutterschaft
Oder Kai Brüninghaus: Seine in Sepia gehaltenen Porträts sind an einer Wand in Petersburger Hängung angebracht. Auf den ersten Blick erinnern sie an Fotografien der 1920er-Jahre. Schaut man aber genauer hin, sind an den Köpfen Messinstrumente angebracht, die Gesichter der Dargestellten sind eigenartig leer, als wären es keine echten Menschen. „Diffusionisten“ ist eine mit generativer KI entwickelte Arbeit, die nach fotografischer Zeugenschaft sucht, indem sie einen Einblick in eine wissenschaftliche Gesellschaft vor 100 Jahren gibt. Eine, die von Erkenntnissen, Naturgesetzen und dem ewigen Traum von der Weltformel geprägt war.
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Das Thema Veränderung, und zwar durch Mutterschaft, greift Lena Oehmsen in ihren „Landschaften“ aus Tusche auf. Seit der Geburt ihres Sohnes habe sie lauter Daten gesammelt: Still- und Gewichtsprotokolle für Hebamme und Kinderarzt, Fieberkurven im ersten Kita-Winter, Arbeitszeiterfassung für die Elterngeldstelle. Diese Fakten dienen der Künstlerin für ihre Schwarz-Weiß-Zeichnungen, die in ihrer Abstraktheit an Landschaften erinnern und folgerichtig mal „Waldlandschaft mit See“, mal „Winterlandschaft in Berlin“ oder auch „Nebellandschaft im Frühling“ heißen.
„Andere Verhältnisse. Jahresausstellung des Berufsverbands bildender Künstler*innen“20.1.–25.2., Kunsthaus Hamburg (U Steinstraße), Klosterwall 15, Di–So 11.00–18.00, Eintritt 6,-/4,-(erm.). 8.2., 19.00 Artist Talk u.a. mit Lena Oehmsen; kunsthaushamburg.de