Hamburg. Ein lahmer Galaabend? Nein: Mit dem Auftritt der lettischen Mezzosopranistin änderte sich die Temperatur im Saal. Ganz gehörig.

Ach, der gute alte Galaabend. Da kommt ein Goldkehlchen in großer Robe, begleitet von einem gedungenen Orchester, und gibt ein paar Bravour-Häppchen zum Besten. Aber bitte nicht zu viele, die Stimmbänder sollen ja die Tour durchhalten. Lieber einmal mehr die Federboa schwenken. Die Erholungspausen werden mit Instrumentalstücken aufgefüllt.

Das Wiener Kammerorchester orgelt in der Elbphilharmonie durch die „Marche hongroise“ von Hector Berlioz, als wollte es sämtliche Vorurteile bestätigen, die man gegen das Gala-Format haben kann. Ungarisch sind höchstens die Motive, die Spielweise aber ist so glattgebügelt und uninspiriert und im Blech auch noch unsauber, dass die schlimmsten Befürchtungen aufkommen.

Elbphilharmonie: Plötzlich ist das Orchester wie ausgewechselt

Aber dann. Dann kommt Elīna Garanča herein, und schon ändert sich die Temperatur im Saal. Die Flöte spielt ihr eine Girlande zu, Garanča singt nur drei Töne: „Où suis-je?“ (Wo bin ich?), und 2000 Menschen fühlen mit der frisch verlassenen Sapho aus der gleichnamigen Oper von Charles Gounod, so bezwingend gestaltet Garanča Saphos Zögern, ihre Ratlosigkeit. Das Orchester ist wie ausgewechselt, wach und einfühlsam und womöglich etwas angespannt, jedenfalls wackeln einige Einsätze leicht.

Garanča hat den ganzen vorderen Bühnenrand für sich und bespielt ihn mühelos. War da mal was? Ärger um einen gewissen Tenor, der sich über die Bauweise des Saals beschwerte? Nicht mit dieser Sängerin. Sollen andere vom oberen, hinteren Bühnenbereich aus singen, Garančas Stimme füllt den Raum auch von der untersten Ebene aus selbst dann mühelos, wenn sie ein zartes Piano noch weiter abschattiert.

Elīna Garanča in der Elbphilharmonie: Programm mit Köpfchen

Es ist ein Programm mit Köpfchen, das die lettische Mezzosopranistin und ihr Mann, der Dirigent Karel Mark Chichon, nach Hamburg mitgebracht haben. Die erste Hälfte kreist um die Pariser Oper des 19. Jahrhunderts. Instrumentales Bonbon zwischendurch ist die berühmte „Méditation“ aus „Thaïs“ von Massenet mit Schmacht-Violinsolo, das die Konzertmeisterin allerdings eher ordentlich als betörend spielt.

Dafür bereiten Chichon und das Orchester Garanča in „Mon coeur s’ouvre à ta voix“ aus Saint-Saëns‘ „Samson et Dalila“ ein Klangbett, das an erotischem Beben nichts zu wünschen übrig lässt. Wenn die Priesterin Dalila ihre Gefühle für ihren politischen Gegner Samson besingt, ist die Zeit als Kontinuum aufgehoben. Dies ist reine Gegenwart. Garančas lockendes, flutendes, leuchtendes Timbre zu hören ist ein körperliches Erlebnis.

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Dass Dalila ihr Begehren nur spielt, dass sie den angeblich Geliebten wenig später verraten wird, das weiß ja noch keiner. Dalilas Volk feiert sie für den Verrat im anschließenden Bacchanal. Das beginnt federnd und präzise abgemischt und mündet in einen wahren Showdown. Die Volksseele kocht, in andalusisch-orientalischen Arabesken übrigens unter fröhlichem Kastagnettenklappern.

Elbphilharmonie: Begeisterte Partystimmung schon zur Pause

Im Saal herrscht schon zur Pause begeisterte Partystimmung, danach schieben die Beteiligten den Regler immer höher. Faszinierend, wie Garanča, jetzt in ferrariroter Seide, in der verboten sinnlichen „Ária“ aus den „Bachianas Brasileiras“ von Villa-Lobos selbst mit gesummten Tönen noch deutlich zu hören ist. Der Höhepunkt ist mit der zweiten von vier Zugaben erreicht, der Habanera aus „Carmen“. Da ergreift Garanča von der ganzen Bühne Besitz und singt einzelne Musiker an. Wenige Gesten, enorme Wirkung.

Ein durch und durch glückliches Publikum ist es, das da langsam wieder ins echte Leben zurückfinden muss. Aber wo bitte war jetzt die Federboa?