Salzburg. Die Sopranistin ist das Zentralgestirn in Verdis Oper. Dazu gibt es da und dort abgestellte Chöre und fragwürdigen Eye Candy.
Bevor die „Salome“-Premiere 2019 bei den Salzburger Festspielen begann, war die Sopranistin Asmik Grigorian eine längst nicht allen bekannte tolle Sängerin; als sie endete, war sie, von jetzt auf gleich, ein Weltstar.
So viel Anlauf braucht es, um ihren diesjährigen Auftritt dort als Leading Lady in Verdis Shakespeare-Schlachtplatte „Macbeth“ angemessen einzuordnen. Auch weil die Festspiele in der Nach-Netrebko-Zeit wohl unbedingt eine „eigene“ Aushänge-Diva als Publikumsmagnet benötigen.
Salzburger Festspiele: Asmik Grigorian beim Gynäkologen in „Macbeth“
Sowohl die Gesangspartie, für die Verdi sich eine „hässliche Stimme“ gewünscht hatte, die dennoch alles zeigen können soll, als auch der von der Musik entblößte Charakter sind furchterregend: eine Herrscherin, die über etliche Leichen geht, um sich und ihren von Wahnvorstellungen geplagten Mann den Weg zur Macht freizumorden.
Regisseur Krzysztof Warlikowski, der es sehr tiefgründelnd mag und sich dabei gern in Selbstgefälligkeiten und Selbstzitaten verliert, bebildert seine zentral dazu konstruierte These gleich in der ersten Szene. Mit einer expressiven Video-Nahaufnahme auf Grigorians Gesicht, die bei einem Gynäkologen-Termin erfährt, dass sie keine Kinder bekommen kann. Aus und vorbei, ihr Traum von der eigenen Dynastie.
Dieses Trauma soll also Auslöser für das machtpolitische Gemetzel sein, bei dem nach und nach alle Konkurrenten ins Highland-Gras beißen. Es braucht einiges an dramaturgieoffenem Wohlwollen, um dieser Argumentation bis zum blutigen Ende zu folgen.
„Macbeth“ in Salzburg: kein Herz und eine Krone
Misslich ist auch, wie sehr sich das Regie-Konzept auf das Bemöbeln der fußballfeldbreiten Festspielhaus-Bühne mit Andeutungen verlässt und die Inszenierungsarbeit vernachlässigt.
Die Chöre werden als Gesangsblöcke nur da oder dort abgestellt statt szenisch sinnstiftend genutzt, etliche Handlungsstränge werden so großflächig wie verwirrend neu verlegt: kein einziger Ast des Waldes von Birnam, kein Zweikampf als Showdown, stattdessen viel fragwürdiger Eye Candy zum Enträtseln.
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Hält dieser „Macbeth“ musikalisch, was er verspricht? Weitgehend. Ein auf höchstem Niveau solide abliefernder Pluspunkt ist das feinmechanische Gespür, mit dem Philippe Jordan – kurzfristig für Franz Welser-Möst eingesprungen – die Wiener Philharmoniker virtuos und millimetergenau zum dunklen Leuchten bringt.
Ruppig und rechtschaffen grausam will Jordan es aber nicht ausarten lassen; er tobt zunächst eher gentlemanlike durch die Partitur-Abgründe, bis er packender aufdreht. Vladislav Sulimskys Macbeth könnte noch einige zusätzliche Fiesheitsschattierungen und mehr Kondition vertragen, Tareq Namzis Banco und erst recht Jonathan Tetelman als Macduff mit satt leuchtendem Tenor dagegen sind exemplarisch gut.
Salzburger Festspiele: „Macbeth“ hält musikalisch weitgehend, was er verspricht
Für Grigorians Sopran, das finstere Zentralgestirn dieses Plots, ist diese Partie eine mutig angenommene Herausforderung: Die große erste Auftrittsarie klingt noch angestrengt, die Koloraturpassagen singen sich für sie oft nicht ganz von selbst, das Trinklied perlt nicht durchgängig.
Eher in ihrem Element – extreme Charaktere extrem sichtbar und hörbar zu machen – ist sie in der Schlafwandelszene, nach der sie ihr Leben mit einem letzten Seufzer aushaucht (und, zumindest hier, trotzdem noch nicht ganz tot ist).
Gefeiert wird Grigorian natürlich, dennoch, als hätte sie diese Partie für immer und ewig neu und endgültig definiert. Ende Oktober wird sie sich an der Hamburger Staatsoper erneut mit der Salome auseinandersetzen. Es bleibt gespannt abzuwarten, ob sich dann, unter ganz anderen Vorzeichen, ein Opern-Wunder wiederholen lässt.
Der „Macbeth“-Mitschnitt ist bei BR Klassik und Arte concert online abrufbar.