Hamburg. Beim Silvesterkonzert in der Elbphilharmonie unterläuft Kent Nagano gekonnt alle Erwartungen. Im Kleinen allerdings hakt es bisweilen.
Besinnung oder Party? Das ist die Frage zu Silvester. Traditionsgemäß spielt man Beethovens Neunte. Das Philharmonische Staatsorchester stellte unter seinem früheren Chef Ingo Metzmacher alljährlich die so beliebte wie unterhaltsame Frage: „Who Is Afraid Of 20th Century Music?“ Und der aktuelle Chef? Geht seinen eigenen Weg, mal ernst, mal leichtfüßig.
Am Ende eines weltpolitisch betrachtet grauenhaften Jahres feiern Kent Nagano und die Seinen in der Elbphilharmonie das Feiern. Das Silvesterkonzert 2023 kreuzt Neues mit Vertrautem, kontrastiert unterschiedlichste Stile und unterläuft mit Vorliebe alle Erwartungen.
Silvesterkonzert in der Elbphilharmonie: Schlagzeuger in den Hauptrollen
Die Usbekin Aziza Sadikova (geboren 1978) hat – ausdrücklich „für Dieter Rexroth“, den Mann hinter Naganos exquisiter dramaturgischer Gestaltung – vier Stücke für Schlagzeug solo geschrieben, die das Programm strukturieren. Meditativ-poetische Miniaturen rund um die Klangwelt von Vibra- und Marimbafon sind das geworden, starring: Fabian Otten und Matthias Schurr, die beiden ersten Schlagzeuger des Orchesters.
Den Bogen zu den übrigen Werken schlägt Sadikova, indem sie Anklänge an die klassische europäische Musik einwebt. Auf „Der barocke Traum von Bach“ folgt des Großmeisters prachtvolle 3. Orchestersuite in D-Dur. Pauken- und trompetenbewehrt macht sie einiges her.
Bei Bachs 3. Orchestersuite hakt es bisweilen
Im Kleinen hakt es allerdings bisweilen. Der schnelle Teil des ersten Satzes ist nicht nur schnell, sondern atemlos. Häufig klappern die Auftakte, die Bassgruppe ist oft zu tief im Verhältnis zu den Melodiestimmen, die Trompeten dafür zu hoch. Das ist ein Bach von der Stange.
Tiefe und Ernst gewinnt das Stück durch die Beteilung des Bundesjugendballetts. Leider ist nicht zu erfahren, von wem die originelle Choreografie stammt. Eine Tänzerin und ein Tänzer treten zum Ende des ersten Satzes der Bach-Suite auf und bewegen sich traumwandlerisch fließend zur berühmten „Air“. Doch just zu den nachfolgenden Tanzsätzen verschwinden sie wieder. Als wollten sie sagen, höfische Kamellen wie Gavotte, Bourrée oder Gigue sind nichts für uns.
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Die Compagnie bereichert die erste Konzerthälfte mit der Expressivität und Natürlichkeit ihrer Bewegungen, der sichtlichen Lebensfreude, die sie versprüht, und immer wieder witzigen Einfällen. Eine Tänzerin bleibt am Ende von Strawinskys frechem „Ragtime“ übrig und tanzt und hüpft den anderen hinterher.
Johann Strauß‘ „Kaiserwalzer“ ist natürlich das Werk schlechthin für ein Silvester- oder Neujahrskonzert. Aber Rexroth wäre nicht Rexroth, würde er die Donau-Monarchie-Perückenseligkeit nicht konterkarieren. Der Walzer erklingt in einer Bearbeitung für Kammerensemble von Arnold Schönberg. Ausgerechnet der führende Kopf der Zwölftonmusik hatte das Stück – ein Zeichen der Ehrerbietung – zur Aufführung bei seinem „Verein für musikalische Privataufführungen“ bearbeitet. Natürlich legt Schönberg einiges frei und verfremdet die Wirkung. Und die jungen Tänzer und Tänzerinnen bewegen sich wie auf einer Wiese, hinreißend zwanglos und unmajestätisch.
Mozarts „Jupiter“-Sinfonie wird zu mitreißendem Finale
Zwischendurch hält Nagano eine kurze, launige Ansprache, philosophiert über die Bedeutung des Ausdrucks „Guten Rutsch“ und lotet auch sonst nicht besonders tief. Dafür wird Mozarts „Jupiter“-Sinfonie zu einem mitreißenden Finale. Die Musik atmet, das Metrum ist flexibel und der Klang ungemein körperlich.
Dazu passt, dass die Hornisten auf Naturhörnern spielen. Der langsame Satz singt. Insgesamt fällt auf, wie milde dieses C-Dur klingt, statt zu scheppern. Piekfein gelingt der berüchtigte Beginn des letzten Satzes in den Geigen. Und am Schluss baut sich das Tutti zu leuchtenden Jubelklängen auf.
Ein Fest des Lebens. Wir können es brauchen in diesen Zeiten.