Hamburg. Künstler schütteln haarsträubend virtuose Passagen aus Prokofjews „Symphonie classique“ bei Konzert locker aus dem Ärmel.
Ein knackiger Akkord erklingt, dann huschen schon die Geigen leichtfüßig-silbrig durch die hohen Lagen, die Bläser werfen etwas ein. Man trifft sich auf dem nächsten Akkord, stößt sich von ihm aber gleich wieder ab. Das muss Mozart sein.
Ist es nicht. Das Mahler Chamber Orchestra feiert an diesem Abend in der Elbphilharmonie den sogenannten Neoklassizismus. Komponisten der Moderne eigneten sich die Stilmerkmale der „echten“ Klassik an, arbeiteten aber mit zeitgemäßen harmonischen Verfremdungen und rhythmischen Eigenheiten. Absolut tabu war Gefühligkeit. Die hätte ja nach Romantik klingen können, pfui!
Elbphilharmonie Hamburg: Mahler Chamber Orchestra kreiert beglückende Gänsehautmomente
Was zur Folge hat, dass Werke wie Prokofjews „Symphonie classique“ oft gewollt ironisch wirken, uneigentlich, distanziert. Und das wirkt dann leicht ermüdend. Aber nicht bei Mahler Chamber. Die Musiker und Musikerinnen dieser international besetzten Elite-Combo schütteln Prokofjews haarsträubend virtuose Passagen nicht nur locker aus dem Ärmel. Sie trauen sich auch, Empfindung hineinzulegen. Und plötzlich kommt die „Symphonie classique“ aus ihrer abgezirkelten, holzpuppenhaften Trippelecke heraus und beginnt zu atmen, Farben zu verströmen, zu leben.
Wie sie das machen? Das ist ein Geheimnis dieses besonderen Orchesters. Mit dem Dirigenten Daniele Gatti werden sie es wortlos teilen. Der beschränkt sich auf ein paar gestische Impulse und lässt immer mal die Hände sinken nach dem Motto, ihr kommt ja klar.
Elbphilharmonie Hamburg: Ein Höhepunkt ist die „Sinfonie in C“ von Igor Strawinsky
Den Gegenpol zur „Symphonie classique“ bildet die „Sinfonie in C“ von Strawinsky, entstanden rund ein Vierteljahrhundert nach dessen wüstem „Sacre du printemps“. Die Sinfonie fängt ganz klassisch-anmutig an, aber dann kann man dem Komponisten geradezu dabei zuhören, mit welcher Lust er die Rhythmen ins Stolpern bringt oder orientalische Gesänge hineinmischt. Am Schluss schiebt er nur noch einzelne leise Akkorde hintereinanderher. Aus dem glitzernden Ebenmaß ist ein Bekenntnis zur grässlichen Gegenwart der späten 30er-Jahre geworden.
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Herz und Mittelpunkt des Programms ist die „Sinfonia concertante“ B-Dur von Haydn, also echte Klassik. Die vier Solopartien bestreiten Orchestermitglieder, und das mit so viel Witz, Inspiration, klanglicher Subtilität und Intimität des Zusammenspiels, dass die Gänsehaut gar nicht mehr weggehen will.
Ist es nicht vielleicht doch möglich, den Moment einfach festzuhalten?