Hamburg. Schmerzhaftes Rattern der Züge im Musikteil und eine Diskussion über Erinnerung. In dem Theater wurde der Volkstrauertag begangen.

Am Volkstrauertag wird traditionell der Opfer von Gewalt und Krieg gedacht – doch auch manche Täter wurden zu Opfern. Ein schwieriges, aber eben auch reales Bild, das es zu differenzieren gilt, findet der Berliner Komponist Marc Sinan. Mit dem Ensemble Resonanz hat er sich am Sonntagabend zu einem performativen Antikriegskonzert auf Kampnagel zusammengetan: „Different Bombs“.

Im ersten Teil erklingt die gleichnamige Eigenkomposition, in die er Zeitzeugenberichte seiner Tante mit zeitgenössischer Klassik zu einer Collage verbindet. Die Tante hat für das NS-Regime gearbeitet, etwa Zeichnungen für eine geheime Waffe mit dem Fahrrad transportiert. Zugleich war sie auch von der Bombardierung Berlins betroffen. Beim Konzert präsentiert nunmehr ihre Großnichte diese Texte auf der Kampnagel-Bühne. „Drei Wochen lang haben wir nur Kartoffelschalen gegessen“, singt sie etwa mit flirrendem Sopran. Sie schildert auch, wie um die Leichen am Moritzplatz eine Mauer errichtet wurde. Das zehnköpfige Ensemble Resonanz hat sich an zwei Seiten der Bühne aufgereiht. Beginnt mit zerrissenen Kontrabassklängen, die es bald zu einer reichen, harmonisch vielfältigen Landschaft ausweitet, bei der vor allem die Violinen gefordert sind.

Kampnagel Hamburg: Antikriegskonzert zum Volkstrauertag sorgt für große Emotionen

Im zweiten Teil des Abends erklingt das Musikstück „Different Trains“ von Steve Reich. Eine vierköpfige Ensemble-Resonanz-Besetzung mit Cello, Violine und zwei Violas verstärkt dazu Klänge aus dem Off, in denen Reich dokumentarisches Sprachmaterial verwendet – aus dem Amerika vor dem Krieg, von Opfern des Holocaust während des Krieges und eine abschließende Collage über die Zeit nach dem Krieg. Das Rattern der Züge findet seinen Widerhall in auf- und abwogendem Streicherklang und allerlei programmatisch rotierenden Rädern, während man den Wortfetzen der Deportationen in all ihren entsetzlichen Details lauscht bis hin zum erlösenden Satz „Und der Krieg war vorbei“. Eine wirklich eindringliche künstlerische Verarbeitung dieser schrecklichen historischen Ereignisse. Die Kunst sucht und findet konzertant zu einem Moment der Versöhnung im humanistischen Ideal. In der Empathie. Darin liegt ihre einzigartige Stärke.

Es ist dennoch gut, solche auch emotional enorm nachhallenden Eindrücke nicht einfach stehen zu lassen. Und so versucht sich eine sehr kompetente, zugewandte Diskussionsrunde an einem Gespräch über die Bedeutung und die aktuellen Herausforderungen von Erinnerungskultur mit Nele Fahnenbruck, Geschäftsführerin des Mahnmals St. Nikolai, Oliver von Wrochem, dem Leiter der KZ Gedenkstätte Neuengamme, Sophia Hussain, vom Recherche-Team für die Aufarbeitung der Kampnagel-Geschichte als Rüstungsbetrieb mit Zwangsarbeit während des Nationalsozialismus.

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Hussain mahnte eine Öffnung der Erinnerungsarbeit an, bei der Kunst und Wissenschaft, Tradition und Offenheit für eine diverse Stadtgesellschaft keine Gegensätze bildeten. Auch Fahrenbruck forderte, dass die ritualisierte Gedenkkultur diverser, niedrigschwelliger, partizipativer werden müsse – auch um 80 Jahre nach den Ereignissen Jugendliche thematisch abzuholen. „Jede Generation muss sich das neu erarbeiten und das gerne tun“, so Oliver von Wrochem. Das innovative Konzert-Format „Different Bombs“ ist ein Beispiel dafür, wie das gelingen kann.