Hamburg. Der israelische Sänger und Songschreiber spielte und redete gegen Hass, Rache, Gewalt und Tod an. Zwischendurch mixte er sich einen Drink.

Die Bühne auf Kampnagel erinnert an einen altmodischen Club mit Sofaecke, Stehleuchte, Spirituosenwagen und Flügel. Im Vordergrund lehnen vier Gitarren. Asaf Avidan schreitet mit federndem Gang an die Tasten, und sofort ist alles da: Schmerz, Fassungslosigkeit, Verzweiflung. „Rock of Lazarus“ ist einer der eindringlichsten Songs vom aktuellen Album des israelischen Musikers, „Anagnorisis“.

Zwar lebt er seit Langem in Frankreich, aber auch dort holten ihn die schlimmen Zeiten, in denen wir derzeit leben, ein. Und so kann jemand wie Avidan, der seine Seele ohnehin bei jedem Liveauftritt entblößt wie kaum ein anderer, am Dienstag nur ein Konzert geben, das zugleich so viel mehr ist als ein Konzert. Und was für eines.

Asaf Avidan auf Kampnagel in Hamburg: Eine sagenhaft variantenreiche Performance

Die Janis-Joplin-artige Stimme zelebriert mal wie mit Schmirgelpapier bearbeitet einen verwegenen Blues, dann wieder schraubt sie sich zu einem hohen Sopran hoch, während Avidan schwere Akkorde auf die Tasten prallen lässt. Im eleganten grauen Anzug liefert er vor ausverkauftem Saal eine sagenhaft variantenreiche Performance als Ein-Mann-Orchester ab.

Mal sampelt er die eigene Stimme und diverse Tasten- und Saiteninstrumente. Mal schnallt er sich Glocken um den Fuß oder lässt Trommelstöcke niederprasseln. Ob wuchtig oder zart-intim, sein Pathos wirkt immer echt. Nicht nur in dem herzzerreißenden Liebessong „Lost Horse“.

Asaf Avidan hält persönliche Rede gegen Hass, Rache, Gewalt und Tod

Doch dabei bleibt es nicht. Avidan hebt zu einer sehr persönlichen Rede an. Mit sanfter Stimme formt er druckreife Sätze. Beklagt den immer wiederkehrenden Zyklus aus Hass, Rache, Gewalt, Tod. Auch die eigene Hoffnungslosigkeit. Avidan macht keinen Hehl daraus, dass er nicht mehr isst und nicht mehr schläft.

Die Tour aber will er unbedingt fortführen. Nicht wegen irgendeines Rock-‘n‘-Roll-Klischees. „Als Gesellschaft ist es wichtig, was wir hier tun.“ Die Menschen hätten ein Bedürfnis nach Einfachheit, klarem Kontrast. „Aber die Realität richtet sich nicht danach.“

Hier könne die Kunst helfen, weil sie sich per se in einer Grauzone bewege und sich einer symbolischen, metaphorischen Sprache bediene. Sie biete die Möglichkeit, die eigene emotionale Landschaft zu erkunden, die Zerbrechlichkeit anzunehmen – und zur Empathie und vielleicht zu einer Hoffnung zu finden.

Asaf Avidan: Zwischendurch mixt er sich einen Gin Tonic

Und dann schafft er es, weiterzuspielen. Sein Set formt er aus Solowerken und eher Folk- und Blues-orientierten Liedern aus der Zeit mit seiner früheren Band The Mojos. Natürlich singt er auch seinen größten Hit „Reckoning Song (One Day)“ im funzeligen Licht der Stehlampe, sich selbst an der Gitarre begleitend. Für noch mehr Gänsehaut sorgt er, als er vom Licht zu einem Schattenriss verfremdet „My Tunnels Are Long and Dark These Days“ anstimmt.

Bald schreitet er zum Wagen mit den aufgereihten Alkoholika, mixt sich einen Gin Tonic und offenbart sogar ein wenig feinen Humor an diesem Abend. In einer Anspielung auf die Hollywood-Tradition des Method Acting philosophiert er über sich selbst als „Method Musician“.

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Den Gin Tonic eingeflößt, findet er bald in die nächste expressive Songrolle. Die Kunst ist ihm innere Notwendigkeit, Zuflucht und Rettung, das ist in jeder Sekunde eindringlich zu spüren bei dem Konzert dieses Ausnahmemusikers. Zuhörer fragen, wie es ihm gehe. „Ich bin kompliziert“, lautet die Antwort.

Als Zugabe hat er Lust auf etwas Euphorisches, malträtiert noch einmal den Flügel und sampelt sich selbst zu einem gewaltigen Schlusschor in „900 Days“. Ein Konzert für die Ewigkeit.