Hamburg. Hamburger Satiriker wie Katie Freudenschuss, Alfons und Jörg Knör zum 100. Geburtstag des unvergessenen Großmeisters.
Früher, so meinen manche noch immer, war alles besser. Ansichtssache. Konsens jedoch ist: „Früher war mehr Lametta“. Der Ausspruch eines gewissen Opa Hoppenstedt beim Dekorieren des Weihnachtsbaums ist längst Teil des allgemeinen deutschen Sprachgebrauchs. Nach Ansicht des Münchner Oberlandesgericht kann er aber nicht urheberrechtlich geschützt werden. Dem Satz fehle die dafür nötige „hinreichende Schöpfungshöhe“, wies das OLG vor gut vier Jahren eine Klage der Alleinerbinnen Loriots ab, sie wollten einer Firma den Vertrieb von T-Shirts mit entsprechendem Aufdruck verbieten lassen.
Eine Besonderheit und Originalität erfahre der laut Gericht „eher alltägliche und belanglose Satz“ erst durch die „Einbettung in den Loriot-Sketch ‚Weihnachten bei den Hoppenstedts‘ und die Situationskomik“. Stimmt auch wieder. Erst recht, wenn man sich dieser Tage an Loriot erinnert. Nicht allein aufgrund seines 1978 erstmals in der ARD ausgestrahlten Blicks auf die vermeintliche heile Familie. An diesem Sonntag, 12. November, wäre Loriot 100 Jahre alt geworden.
Loriots 100. Geburtstag: Was Hamburger Satiriker noch heute mit ihm verbinden
Bernhard-Viktor „Vicco“ Christoph-Carl von Bülow, wie Loriot mit bürgerlichem Namen hieß, war einer der populärsten, wenn nicht der populärste deutsche Humorist. Oder vielmehr Satiriker? Sein Humor wirkt zeitlos, ist trotz der meist leisen Töne bei genauer Betrachtung aber subversiver, als er den Anschein hat. Nach Heinz Erhardt, dem harmlos-heiteren Komiker-Schelm der Wirtschaftswunder-Ära aus Hamburg-Wellingsbüttel, hatten sich seit Ende der 1960er-Jahre Loriots Spitzen über die bundesrepublikanische Gesellschaft dank seiner Reihen im ARD-Fernsehen (erst beim SDR, später bei Radio Bremen) mehr und mehr verbreitet. Und Loriot empfand sich als Satiriker: „Die Satire an sich muss zersetzen, weil die Satire ja etwas zerstören will, was nicht in Ordnung ist.“
Erst Karikaturist, dann Autor, Schauspieler, Moderator, Regisseur, Dirigent, Bühnen- und Kostümbildner, von den 1950er-Jahren bis zu seinem Tod 2011 und darüber hinaus – Loriot war und ist in Literatur, Fernsehen, Theater und Film präsent. Er war der erste deutsche Multimedia-Künstler, und das noch ohne die sogenannten sozialen Netzwerke. Und so manches Mal war er seiner Zeit voraus, auch in Hamburg.
Deutscher Humor: Beim Hamburger Magazin „Stern“ wurde Loriots Vertrag gekündigt
Als der gebürtige Brandenburger nach Studium der Malerei und Grafik in den späten 1940ern an der Kunstakademie in der Hansestadt als Karikaturist fürs Hamburger Magazin „Stern“ arbeitete, hatte er auf seine Art einen Vogel – in seinem Künstlernamen: Loriot ist das französische Wort für Pirol, und der ist Teil im Familienwappen der von Bülows. Doch als eben jener Loriot in seiner Cartoon-Serie „Auf den Hund gekommen“ in Umkehrung der Rollen zeichnete, wie sich große Hunde kleine Menschen halten, kündigte „Stern“-Chef Henri Nannen im Sommer 1953 nach wenigen Folgen den Vertrag, aufgrund von massiven Leserbrief-Protesten („Unwürdig“, „Ekelerregend“). Ein Jahr später erschien „Auf den Hund gekommen“ im Schweizer Diogenes-Verlag – und alsbald fing Loriot mit dem Comic-Strip „Reinhold das Nashorn“ wieder beim „Stern“ an.
Ob nun gezeichnet als „Der sprechende Hund“, „Auf der Rennbahn“ und „Herren im Bad“ oder gespielt in „Die Jodelschule“, „Der Kosakenzipfel“ oder mit „Liebe im Büro“ bis hin zur „Zimmerverwüstung“, der vielfach ausgezeichnete Loriot ist dank seiner humoresken Hinterlassenschaft eine gesamtdeutsche Kultur-Institution. Dazu beigetragen hat auch die im Alter von nur 65 Jahren 2007 gestorbene Hamburger Schauspielerin Eveyln Hamann, fast drei Jahrzehnte lang kongeniale Sketch- und Filmpartnerin („Ödipussi“, „Pappa ante Portas“) des Großmeisters.
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Zur Feier des einzigartigen Künstlers erscheint etwa im Oldenburger Lappan Verlag die Hommage „Er lebe hoch! Loriot zum 100. Geburtstag“ – ein Buch, das Bildwerke, Cartoons und Textbeiträge über Loriot enthält, seine Sketche und seine Kunst ehrt und auch Beiträge bekannter Zeichner wie Till Mette oder Humoristen wie Otto Waalkes und Hape Kerkeling enthält.
In Hamburg zeigt das Altonaer Theater vom 1. Dezember an erstmals „Loriots dramatische Werke“ als Bühnenfassung. Und in der Hansestadt gibt es noch heute satirische Künstler, die mit Loriot Besonderes verbinden, ihn sogar noch persönlich kennengelernt oder dank seiner Werke die Deutschen erst so richtig verstanden haben. Alles Ansichtssache.
Katie Freudenschuss (47), Entertainerin, Musikkabarettistin und Gewinnerin des Deutschen Kleinkunstpreises 2022, ist als Halb-Österreicherin in der hessischen Provinz auch mit Loriot groß geworden. Vom 1. Dezember spielt die Wahl-Hambugerin (seit 1999) im neuen Trio-Programm „Das Ende vom Anfang“ im Lustspielhaus, am 4. Januar moderiert sie das Neujahrskonzert „St. Pauli Theater meets Elbphilharmonie“ sowie danach weitere Shows im Hansa-Varieté-Theater:
„Loriot ist eine Klasse für sich! Die Beobachtung und Darstellung von Menschen ist so treffend, komisch und zeitlos, auch wenn manche Settings heute natürlich so nicht mehr vorkommen. Ich finde nicht, dass Loriot stellvertretend steht für ,den deutschen Humor‘ - leider. Er hat für mich eine absolute Sonderstellung. Ich liebe seine Präzision und die Detailverliebtheit. Großartig und sehr inspirierend. Mein Vater war ein sehr humorvoller Mann und schleppte jede Menge schwarzhumorige Literatur und Filme an. Und er liebte Loriot - so war ich als kleines Mädchen schon sehr vertraut mit dem Werk und kann sehr viele Sketche bis heute mitsprechen. Loriot war schon immer da. Das bleibt auch so.“
Alfons alias Emmanuel Peterfalvi (56) ist bereits seit 1991 Franko-Hamburger, seit 2017 auch deutscher Staatsbürger und seit 2021 Träger des Bundesverdienstkreuzes. Der Gewinner des Deutschen Kleinkunstpreises 2020 spielt drei seiner Programme am 20. November und 18. Dezember im St. Pauli Theater sowie am 12./13. Januar im Lustspielhaus:
„Loriot war ein feiner Beobachter von menschlichen Schwächen. Und die sind aktueller denn je. Ich war noch in Frankreich, als ich das erste Mal etwas von Loriot gesehen habe. Und ich war sehr überrascht: Was? Die Deutschen haben Humor? Das hat meine Welt auf den Kopf gestellt. In Frankreich dachten wir, die Deutschen würden ständig arbeiten und in der Freizeit Formulare für Haftpflichtversicherungen ausfüllen, und dann das! Ich selbst habe Loriot durch einen Besuch im Goethe-Institut in Paris kennengelernt. Der Mann, der unsere Klasse empfangen hatte, wollte uns deutsche Kultur näherbringen. Und statt uns mit schwieriger Literatur zu konfrontieren, hat er uns etwas von Loriot gezeigt. Das war fantastisch. Die ganze Klasse war Fan, und viele haben sich dann ernsthaft für die deutsche Kultur interessiert. Wenn ich daran denke, dass viele Goethe-Institute schließen sollen – was für eine blöde Entscheidung!“
Kerim Pamuk (53), früher Comedian, dann Kabarettist, inzwischen auch Schriftsteller („Allah verzeiht, der Hausmeister nicht“, „Kiffen, Kaffee & Kajal“), wurde als Junge von seinen eingewanderten Eltern aus einem Dorf an der türkischen Schwarzmeerküste nach Hamburg geholt. Der Satiriker moderiert am 11. Dezember ein Konzert der Sinn-Phonietta (Dirigentin: Mercedes Diaz Garcia) in der Elbphilharmonie:
„Man kann heute noch wunderbar über Loriot lachen und wird es auch immer können, weil sein Blick auf die Menschen, im Speziellen auf die deutsche Seele, zeitlos ist. Niemand sonst entlarvt das Kleinkarierte, das Pedantische und die heillose Überforderung des modernen Menschen auf so charmante und liebevolle Art und Weise wie er. Als Jugendliche gehörten die Dialoge seiner Sketche zu unserem Alltagskanon, und es verging kein Wochenende, an dem nicht irgendeiner am Frühstückstisch den göttlichen Opener ,Berta, das Ei ist hart‘ fallen ließ. Und bei jeder sinnlosen Diskussion, die wir über die beste Musikband, die coolsten Klamotten und die angesagteste Frisur führten, war spätestens dann die Luft raus, wenn einer der Kombattanten mit ,Herr Doktor Klöbner… Herr Müller-Lüdenscheidt‘ anfing.“
Jörg Knör (64), Entertainer, Parodist und Cartoonist, hat mit Loriot in den 1980er- und 90er-Jahren noch selbst zusammengearbeitet. Er feiert in seinem Jahresrückblick „Das war’s mit Stars“, am 31. Dezember im Harburger Theater und am 29. Januar in der Komödie Winterhuder Fährhaus, auch Loriots 100. Geburtstag nach, indem er etwa dessen Figuren Wum und Wendelin spricht, wie früher in „Der Große Preis“ im ZDF:
„Man kann über Loriot auch heute noch lachen, weil sich die von Loriot karikierten Menschen und Situationen in ihrer Psychologie und ihrem Aberwitz nicht geändert haben, nur die Umstände, in denen sie stattfinden. Gelernt habe ich von ihm als Künstler das genaue Hingucken, um präzise abzuliefern. Das gilt für meine Parodien wie für meine Karikaturen. Und nur ein bisschen Übertreibung reicht, eher die genaue Wiedergabe. Persönlich war Loriot mein Vorbild in Strich und Stich. Dann wurde er sogar mein ,Arbeitgeber‘ und ,Kollege‘. Sieben Jahre habe ich ihn jeden Monat besucht und im Keller-Studio die Stimmen seiner Figuren für ihn gesprochen. Ich war ,The voice of Wum & Wendelin‘.“
Frank Roder, Schauspieler und Kabarettist (u. a. seit 2013 mit seinem Ringelnatz-Solo auf Hamburgs Theaterschiff), geboren 1967 in Riesa (Sachsen), verbindet auch persönliche Erinnerungen mit Loriot. Insofern ist er prädestiniert, vom 1. bis 27. Dezember im Altonaer Theater in „Loriots dramatische Werke“ als Conférencier das Bindeglied zwischen den Sketchen zu geben und mit seinem Kollegen Herbert Schöberl etwa auch einen der „Herren im Bad“ zu spielen:
„Ich habe Loriot schon immer gemocht. Den ersten Sketch von ihm, den ich als Kind im Radio hörte, war ,Das Ei‘. Der war nachhaltig prägend. Genauigkeit bei der Aneignung von Texten und Disziplin, das habe ich von ihm gelernt. Und ich erinnere mich sehr gut daran, dass ich Loriot und Evelyn Hamann 1987 selbst live im Theatersaal vom Palast der Republik auf der Bühne erlebt habe. Sie gaben anlässlich der 750-Jahr-Feier Berlins im Osten der Stadt mehrere Vorstellungen und saßen auf ihrem ,Verlobungssofa‘. Ich war begeistert, denn ich hatte zuvor eine ganze Nacht lang anstehen müssen, um eine Eintrittskarte zu ergattern.
Loriots Klangfärbung seiner Geburtsstadt Brandenburg hörte man deutlich raus. Bis auf die Menschen im ,Tal der Ahnungslosen‘ in Dresden kannten wir ihn ja aus dem West-Fernsehen, und seine Bücher waren in der DDR nie verboten. Nach der Vorstellung ließ ich mir ,Auf den Hund gekommen‘ und ,Loriots dramatische Werke‘ im Foyer signieren, dort war eine riesige Menschentraube. Ich glaube, Loriot war selbst überrascht, dass er in der DDR so beliebt war. Er hat mich durch den Alltag begleitet, er hat immer an die breite Masse gedacht, deswegen funktioniert sein Humor so gut. Seine Arbeiten sind Medizin für graue Tage.“