Hamburg. Der Autorin gelang mit „Eine Frage der Chemie“ ein weltweiter Hit. Im Schauspielhaus stellte sie sich ihren deutschen Fans vor.
Dieser Literaturabend war so fluffig und unterhaltsam wie das Buch, das ihn trug. Der Superhit „Eine Frage der Chemie“ ist, das wurde nun tatsächlich klar, nur in zweiter Linie ein Buch über weibliche Emanzipation und direkte gesellschaftliche Anliegen. In erster ist „Lessons in Chemistry“, wie der Roman im englischen Original heißt, eine Erzählung über das Leben, Familie, Durchsetzungskraft, Beharrungsvermögen. Unter Zuhilfenahme von Sentiment und Humor. Die Welt verändern wird der Roman nicht, aber er macht sie im Zweifel zum etwas besseren Ort.
Die US-Amerikanerin Bonnie Garmus ist in jedem Fall vermutlich die gewaltigste Debütantin der jüngeren Vergangenheit. Übersetzt in 40 Sprachen, zuletzt auch ins Türkische (man denkt erst mal automatisch an so Sachen wie Zwangsheirat– unangenehme Sachen, die das Frausein dort bisweilen mit sich bringt), sechs Millionen verkaufte Exemplare; in Deutschland wurde kein Buch in den vergangenen anderthalb Jahren so oft verkauft: Der Stoff um die lange tragisch geprüfte und erst kochend triumphierende Chemikerin Elizabeth Zott kommt weltweit gut an. Zum Abschluss des Harbour Front Literaturfestivals trat ihre Erfinderin Garmus nun in Hamburg auf.
Bonnie Garmus im Schaupielhaus Hamburg: Es waren fast keine Männer da
Dass die in der hochtourig patriarchalisch organisierten Welt der 1950er-Jahre beruflich erst auf Umwegen reüssierende Romanheldin Zott eine beinah ganz und gar weibliche Identifikationsfigur ist, zeigte sich dort nachdrücklich. 95 Prozent der Menschen in den vollbesetzten Reihen waren weiblich. Aber längst nicht jede hat den unlängst auch verfilmten Bestseller gelesen, wie eine zu Beginn erhobene Handzeichen-Umfrage ergab. Felicitas von Lovenberg, die Verlegerin der deutschen Ausgabe, moderierte die flott dahinschnurrende Veranstaltung. Wobi zumindest bemerkenswert war, dass sie mit keinem Wort auf die riesige Überzahl der Frauen einging.
War es, weil dieses so eminent weibliche Thema die generelle Tendenz, wonach Belletristik von weiblichen Lesern gelesen wird, ganz logisch vestärken musste, also nicht der Rede wert war? Oder, weil Appelle in Richtung männlicher Leser, mit diesem Roman ein für allemal und dabei aber amüsant das jahrzehntelange, bis heute anhaltende Schicksal deklassierter und ausgegrenzter Frauen besichtigen zu können, zu lahm wären? Weil: Muss ja jeder selbst wissen, ob er wegen seines Privilegiertseins ein schlechtes Gewissen haben möchte.
Bonnie Garmus stellt „Eine Frage der Chemie“ im Schauspielhaus Hamburg vor
Jedoch, wie erwähnt – „Eine Frage der Chemie“ ist vor allem ein geschickt geschriebener Unterhaltungsroman, seine Schöpferin auch auf der Bühne eine eloquente Erzählerin. Das Wort „Misogynie“ nahm Bonnie Garmus immerhin einmal in den Mund. Das war, als die begeisterte Ruderin von der Metaphorik ihres Lieblingssports sund von Dysbalancen sprach. Frauenverachtung ist, gesellschaftlich gesprochen, bekanntlich eine. Sie besteht bis heute fort, ist aber nicht mehr so bizarr und lächerlich wie in der Zeit, in der „Eine Frage der Chemie“ spielt.
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Wenn die eigene Verlegerin einen Abend wie diesen moderiert, muss sich niemand Sorgen machen, dass zu wenig Lob für die Autorin dabei herumkommt. Lovenberg schmeichelte ihrer Autorin auf keineswegs unsympathische Weise. Und Storys wie die von der enthusiasmierten Kritikerin Elke Heidenreich, die Lovenberg eine Mail schrieb, sind nun mal gut. Heidenreich teilte Lovenberg mit, dass sie erfolglos im Internet nach Elizabeth Zott gesucht habe. Dabei gab und gibt es Zott nicht. Nein, keine Reale Person, versicherte Bonnie Garmus dem andächtig lauschenden Publikum. Da kann Heidenreich die Roman-Chemikerin noch so lebenig finden.
Garmus erzählte vom Entstehungsprozess ihres Sensationserfolgs. Wie sie sich erstmals an den Schreibtisch setzte nach einem besonders miesen Arbeitstag. Sie hatte eine Präsentation gemacht, wurde anschließend von einem Mann kritisiert. Der erzählte dann allerdings genau noch mal dasselbe wie sie, sagte: „So wird‘s gemacht.“ Keiner sprang ihr – sie war die einzige Frau in diesem sehr kalifornischen Konferenzraum eines Tech-Unternehmens – angesichts dieses ungeheuerlichen Ideen-Klaus vor Publikum zur Seite. Was die größte Ungeheuerlichkeit war.
„Eine Frage der Chemie“: In der Neu-Ausgabe von Bonnie Garmus sind zwei Bonus-Kapitel
Gute Geschichte, von Garmus sicher schon oft erzählt, diese Saat, aus der ein durchschlagender literarischer Text wurde. In dem sich Garmus die Freiheit nimmt, auch einen Hund zu einer Hauptfigur zu machen. So tollkühn muss man erst mal sein. Der Roman ist ansonsten natürlich konventionell erzählt. Nur so kann man so viele Bücher verkaufen. Es gibt jetzt, für Garmus-Ultras, eine „Schmuck“-Ausgabe von „Eine Frage der Chemie“. Mit zwei Bonus-Kapiteln, die bislang nicht veröffentlicht wurden. Nicht wenige in der langen Signier-Schlange dürften sich nach der Veranstaltung in ebenjene Sonderedition ein Autogramm haben geben lassen.
Es ist die Unterschrift einer Frau, die weiß, dass sie in ihrem Debüt vor allem die Lebenswirklichkeit der Generation ihrer Mutter porträtiert hat. Im Publikum waren übrigens Frauen verschiedenen Alters, immerhin da war die Streuung groß. Welche Sätze blieben in Erinnerung? Zum Beispiel „Ich hasse Kochen“: Garmus, die in ihrem Buch viele schöne Gerichte auffährt, steht also erklärtermaßen anders als ihre kulinarisch patente Heldin nicht selbst gerne am Herd. Ein Fall von weiblicher Emanzipation, ganz klar.