Hamburg. Lea Theus beschäftigt sich in ihrer Abschlussinszenierung an der Theaterakademie mit Mozarts großem Zyniker „Don Giovanni“.
Sex, Gewalt, am Ende fährt der Titelheld zur Hölle: Mozarts „Don Giovanni“ ist harter Stoff. Da verwundert es ein wenig, dass der Komponist die Oper als „Dramma giocoso“ bezeichnet hat. Das ist nämlich eigentlich eine Art Opera buffa, also eher auf leichte Stoffe ausgerichtet.
Mozarts Don Giovanni als Verführer auf der Flucht vor seiner inneren Leere
Formal hat Mozarts Einordnung damit zu tun, dass sich das Gute am Ende genretypisch durchsetzt, inhaltlich aber auch damit, dass Don Giovanni auf alle moralischen Regeln pfeift. Er verführt unzählige Frauen, er denkt nur an den eigenen Lustgewinn; wo es nötig ist, greift er zur Gewalt. Was die Figur zum zwiespältigen (und damit zutiefst modernen) Charakter macht. Don Giovanni ist einerseits ein Bonvivant, andererseits aber auch jemand, der heute zu Recht Probleme mit der MeToo-Bewegung hätte.
Entsprechend bietet Mozarts Oper einiges an Anknüpfungspunkten für eine zeitgenössische Regie – an der Staatsoper etwa gab es zuletzt 2019 eine umstrittene Neuinszenierung durch Jan Bosse. Aber auch der Nachwuchs beschäftigt sich mit dem Stoff. So zeigt Lea Theus „Don Giovanni“ als ihre Abschlussinszenierung der Theaterakademie Hamburg an der Hochschule für Musik und Theater.
In der berühmten „Champagner-Arie“ holzt die Musik brutal durch die Szenerie
Bei Theus ist Don Giovanni nicht der Lebemann, als den er sich gerne sähe, er ist ein Verzweifelter. Theus erkennt dies beispielsweise in der berühmten „Champagner-Arie“, in der der Protagonist sich als Genussmenschen zeichnet, während die Musik brutal durch die Szenerie holzt. „Wir haben also tiefer gegraben und nach Giovannis Motivation gefragt“, beschreibt die Regisseurin ihren Ansatz. „Dabei sind wir auf eine tief verwurzelte Todesfurcht gestoßen. Es ist das Ende der eigenen Existenz, das absolute Nichts, das er fürchtet, eine Furcht, die im Horror Vacui, der Angst vor der Leere, ihren Ausdruck findet.“ Um diese Angst zu vergessen, betäubt Don Giovanni sich mit Sex, mit Alkohol, mit Musik.
Dass diese Betäubung nicht ewig währt, ist klar – am Ende jedes Lebens steht der Tod. Theus’ Inszenierung zeigt einen Menschen, der diese Gewissheit ignoriert, was dadurch deutlich gemacht wird, dass der Held den zu Beginn leeren Bühnenraum (Ausstattung: Ariane Stamatescu) nahezu manisch mit Requisiten vollstopft. Hilft nichts, im zweiten Akt zerfällt der Raum, und übrig bleibt ein alternder, unglücklicher Mann. Der folgerichtig in den Abgrund gezogen wird, ein Untergang, dem er nichts mehr entgegenzusetzen weiß.
Frauen sind für Regisseurin nicht die armen, verführten Opfer, als die sie meist dargestellt werden
„Wir leben in einer Gesellschaft, die ohne eine andauernde Steigerung der Sinnesreize nicht mehr auszukommen scheint“, erklärt Theus, wie sich diese Analyse auf die Gegenwart anwenden lässt. „Wir fürchten uns davor, auf uns selber zurückgeworfen zu sein.“ Allerdings besitzt ihre Inszenierung auch einen Hoffnungsschimmer, den sie bei den von Don Giovanni bedrängten Frauen ausmacht: Das sind nicht die armen, verführten Opfer, als die sie meist dargestellt werden. „Sie wehren sich dagegen, lediglich Figuren in Giovannis Spiel zu sein“, meint Theus. „Sie haben ihre eigenen Persönlichkeiten, eigene Stärken und Schwächen und haben ein eigenständiges Leben außerhalb von Giovannis Wirken. Gegen seinen Willen emanzipieren sich die Frauen von ihm und legen die Rollen der Liebhaberin ab.“
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Die musikalische Leitung des Abends liegt bei Giordano Bruno do Nascimento, in der Rolle des Don Giovanni singt Louis de Boncourt, seinen Diener Leporello gibt Jincun Xu. Und dann eben die Frauen: Esther Bomhard gibt Donna Anna, Anna Pimentel Donna Elvira, Rosa Lüttschwager Zerlina.
„Don Giovanni“ 18.11., 19.30, 19.11., 16 Uhr, Forum der Hochschule für Musik und Theater. Karten zu 22,- / erm. 10,- unter T. 44 02 98; www.hfmt-hamburg.de