Nexø. Bestsellerautor Michael Kobr („Kluftinger“) startet eine neue Krimireihe: „Sonne über Gudhjem“. Eine Begegnung auf Bornholm.

„Hier war ich noch nie“, sagt Michael Kobr und blickt sich interessiert im Coffee Creative um. Ist es überhaupt ein Café? Ein Schauplatz ist es ganz sicher: Mitten im Gastraum, einer ehemaligen Lagerhalle am Hafen von Nexø, wird gerade direkt neben den Tischen ein VW-Bulli mit knalliger Folie und Logo beklebt. Das Café beherbergt zugleich eine aus Kopenhagen auf die Insel gezogene Agentur, die der Lokalzeitung hier ihre Reporterkutschen flott macht. In Pink. Und dass Michael Kobr ein guter Beobachter ist, insbesondere was den Bornholmer Fuhrpark angeht, hat er bereits bewiesen: Für seinen ersten Bornholm-Krimi hat sich der Schriftsteller bei der lokalen Müllabfuhr bedient. Sein Roman-Kommissar heißt Lennart Ipsen. Unmöglich, diesem Namen auf der dänischen Ostseeinsel nicht zu begegnen: In schwungvollen weißen Lettern ziert der Schriftzug des Abfallunternehmens „Lennart Ipsen“ die himmelblauen Insel-Mülllaster. Michael Kobr grinst. „Hier ist überall solch eine Idylle, das schreit doch geradezu danach, die ein bisschen zu brechen.“

Michael Kobr beim Abendblatt-Gespräch im Coffee Creative im Hafenstädtchen Nexø auf Bornholm.
Michael Kobr beim Abendblatt-Gespräch im Coffee Creative im Hafenstädtchen Nexø auf Bornholm. © Maike Schiller | Maike Schiller

Dafür ist er nun zuständig. „Sonne über Gudhjem“, nach dem Bornholmer Lokalgericht mit heißgeräuchertem Bückling, Radieschen und rohem Eidotter benannt, heißt Lennart Ipsens Debüt-Fall. Es ist zugleich der erste Kriminalroman, den Michael Kobr allein, also ohne seinen langjährigen Krimi-Partner Volker Klüpfel, geschrieben hat. Gemeinsam hat das Duo in den vergangenen Jahren schon so manch eine Idylle gestört, vor allem im Allgäu, wo nicht nur die Autoren, sondern auch ihre Kluftinger-Krimis zu Hause sind. Zwölf Bände sind erschienen, alle wurden sie Bestseller, einige mit Herbert Knaup in der Titelrolle zudem verfilmt. Zuletzt haben Klüpfel/Kobr auch in Südfrankreich ermitteln lassen, zur Abwechslung, denn auch an der Côte d‘Azur kennt sich Michael Kobr aus. Jedes Urlaubsziel ein potenzieller Tatort. Berufsrisiko bei einem Krimischreiber.

„Kluftinger“-Michael Kobr: „Auf Bornholm hat es mich irgendwann in den Fingern gejuckt“

„Auf Bornholm hat es mich irgendwann in den Fingern gejuckt“, bestätigt Michael Kobr, der tatsächlich vor Ort in einem Ferienhaus im Kiefernwald mit dem Schreiben loslegte. Und im Gespräch sofort die erste Nachfrage abräumt: Nein, weder Streit mit Schreibpartner Klüpfel noch einen Kluftinger-Burnout habe es gegeben. „Aber mit fast 50 hatte ich Lust, mal etwas Neues zu wagen.“ Die Kluftinger-Reihe wird dennoch fortgesetzt, beim Hamburger Krimifestival stellt das Duo im November gemeinsam den jüngsten Fall „Affenhitze“ vor und gibt auf Kampnagel einen Einblick in den Frankreich-Bestseller „Die Unverbesserlichen. Die Revanche des Monsieur Lipaire“. Der zweite Bornholm-Band ist ebenfalls schon geschrieben und soll im Frühjahr erscheinen. Der Takt ist sportlich, alle halbe Jahre liefert Kobr ein neues Buch. Mindestens.

Michael Kobr, der im Duo mit Volker Klüpfel die „Kluftinger-Krimis“ schreibt, hat erstmals allein eine Krimireihe gestartet.
Michael Kobr, der im Duo mit Volker Klüpfel die „Kluftinger-Krimis“ schreibt, hat erstmals allein eine Krimireihe gestartet. © picture alliance/dpa | Karl-Josef Hildenbrand

Wenn andere seine Werke lesen, nämlich in den Ferien, ist er auf Recherche. Nun also auf Bornholm, seinem persönlichen „Sehnsuchtsort“. Die Insel mit dem (oft) sonnigen Mikroklima liegt näher an Schweden als an Dänemark und ist mit ihren pudrigweißen Stränden im Süden und den rauen Granitfelsen im Norden ein so abwechslungsreiches wie etwas verschlafenes Naturparadies – trotz des spürbar gestiegenen Immobilien-Interesses der Großstadt-Kopenhagener. „Wie Skandinavien im Kleinformat“, findet Michael Kobr. Bezaubernde ockerfarben oder ochsenblutrot getünchte Fischerhäuschen, in fast jedem Ort eine Räucherei, viele Keramiker und Glasbläserinnen. Außer dem inseleigenen Troll Krølle-Bølle wenig finstere Gestalten.

Michael Kobr würzt seinen Roman mit Anspielungen auf die europäische Kriminalliteratur

„Als Kind war er zwei- oder dreimal auf Bornholm gewesen, im Sommerhaus einer befreundeten Familie. Und hatte stets das Gefühl gehabt, auf dem Eiland auf unsagbar angenehme Weise aus der Zeit gefallen zu sein“, erinnert sich Kobrs dänischer Kommissar Ipsen an diesen „zeitlosen Ort der Freiheit und Ruhe“. Ipsen ist frisch getrennt und rechnet an seinem neuen Arbeitsplatz mit betrunkenen Fischern und Touristen, die sich beim Pilzesammeln verlaufen, wird jedoch schnell eines Übleren belehrt. Es gibt einen grausam zugerichteten Toten und ohne allzu sehr ins Detail gehen zu wollen: Wer einen Bornholm-Trip plant, sollte die Lektüre von „Sonne über Gudhjem“ vielleicht nicht unmittelbar vor den Besuch einer der gemütlichen Inselräuchereien legen.

So sieht sie aus, die „Sonne über Gudhjem“, das Bornholmer Nationalgericht mit Räucherfisch und Eidotter, das dem Roman seinen Titel lieh.
So sieht sie aus, die „Sonne über Gudhjem“, das Bornholmer Nationalgericht mit Räucherfisch und Eidotter, das dem Roman seinen Titel lieh. © picture alliance / NurPhoto | Michal Fludra

Deren charakteristische weiße Schlote zieren das Romancover – neben einer rot-weißen Dannebrog, wobei die Bornholmer eigentlich eine eigene Flagge haben, rot mit dunkelgrünem Kreuz. Michael Kobr weiß das natürlich, schon oft war er mit seiner Frau und den zwei Töchtern (beide im Teenie-Alter, auch das verbindet ihn mit seiner Hauptfigur) auf der Insel. Und er würzt seinen Roman nicht nur mit zahlreichen Anspielungen auf die von ihm geschätzte europäische Kriminalliteratur; vor allem Georges Simenon hat es Kobr angetan, aber auch der französische Kommissar Dupin, Miss Marple und Håkan Nessers Gunnar Barbarotti haben Gastauftritte). Es ist auch mit reichlich Lokalkolorit versehen.

„Kluftinger“-Autor mit neuer Krimireihe: Auf der Fähre nach Rönne lagen Leseproben aus

Die fiktive Geschäftsfrau Tine Borup beispielsweise erinnert an die Glasbläserin Pernille Bülow, deren Bornholmer Werkstatt im Wortsinn ein Hotspot für die Touristen geworden ist und die mittlerweile ein richtiges (allerdings recht hyggeliges) Familien-Imperium auf der Insel ihr eigen nennt. Schon vor Erscheinen des Buches lagen in Bülows Lakritzladen wie auch auf der Fähre nach Rönne Leseproben von Kobrs Roman aus.

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Und auch wenn der Autor sich bisweilen eine Kirche in die Dünen von Dueodde hinzuerfindet oder eine Mühle ein paar Kilometer vorverlegt, dürfte das dänische Fremdenverkehrsamt doch sehr zufrieden mit ihm sein. Wer diesen Roman liest, wird buchen wollen. Trotz der düsteren Mordgeschichte, die durch einen Bezug zum Kalten Krieg auch einen ausgesprochen gegenwärtigen politischen Kontext erhält. Die Idylle erhält ausreichend Raum, das Akklimatisieren fällt dem neuen Kommissar nicht schwer und gibt dem Autor Gelegenheit für eine Tour über die Dörfer: die Gemüseverkaufsbuden am Straßenrand, der inseleigene Weinanbau, der Handwerkermarkt in Svaneke, der Bonbonladen, die Stockrosen, das eigenwillige Eilandvolk – alles da, alles souverän und unaufdringlich mit der spannenden Handlung verschränkt.

Michael Kobr: „Sonne über Gudhjem – Ein Bornholm-Krimi“, Goldmann, 416 Seiten, 24 Euro
Michael Kobr: „Sonne über Gudhjem – Ein Bornholm-Krimi“, Goldmann, 416 Seiten, 24 Euro © Penguin Random House | Penguin Random House

Auch in Vester Sømarken ist Michael Kobr gewesen, dort liegt direkt am Strand Bornholms einziges Sternerestaurant, das Kadeau. Vieles deutet darauf hin, dass dieser Ort und die Nordic Cuisine auch in den Lennart-Ipsen-Folgebänden eine Rolle spielen werden. Im Buch heißt der Gourmettempel „Argousier“, in der Realität gibt es für Kobr tatsächlich keine Bornholmreise ohne einen Kadeau-Besuch. Beim letzten Mal sei er allein dort gewesen, erzählt er beim Kaffee in Nexø und lacht. „Ich wurde nach einer halben Stunde angesprochen, die haben mich für einen Restauranttester gehalten, weil ich ohne Begleitung am Tisch saß und mir andauernd beim Essen Notizen gemacht habe. Bezahlen musste ich meine Rechnung aber letzten Endes trotzdem.“

Hamburger Krimifestival 7.-11. November auf Kampnagel. Michael Kobr ist am 9.11. gemeinsam mit Volker Klüpfel zu Gast in der Kampnagelhalle k6, 20 Uhr, Karten gibt es zu 22/18 Euro unterwww.krimifestival-hamburg.de