Hamburg. Bei „Frankenstein (A Love Story)“ sind die Autorin des Werks, der Student Viktor und das Monster eins. Ein interessanter Ansatz.

Literaturtheater ist nicht gerade die Spezialität von Kampnagel. Also ist man erst mal skeptisch, wenn man sich anschaut, was auf dem Programm steht: „Frankenstein“, die 1818 veröffentlichte Schauergeschichte von Mary Shelley. Und als man den Saal betritt, wird der Voreindruck bestätigt: Der Raum ist dunkel, leise wabern Beats, und an die Rückwand der fast leeren Bühne ist der Titel projiziert, „Frankenstein (A Love Story)“, wie die Umschlagseite eines Romans.

Theater Hamburg: Kampnagel präsentiert Schauergeschichte „Frankenstein“

Während freies Theater aus Großbritannien und Frankreich regelmäßig in Deutschland zu sehen ist, ist die italienische Szene hierzulande verhältnismäßig unbekannt. Motus, 1991 von Enrico Casagrande und Daniela Nicolò in Rimini gegründet, zählt zu den wenigen Ausnahmen, die regelmäßig international touren, was vielleicht ein wenig erklärt, weswegen hier eine Ästhetik vorherrscht, die seltsam aus der Zeit gefallen wirkt. Denn: Casagrande und Nicolò beziehen sich tatsächlich konsequent auf Shelley, weitgehend ohne ironische Brüche, weitgehend ohne Einreißen der vierten Wand. Angesichts der auf Kampnagel allgegenwärtigen Postdramatik ist das ungewohnt.

Alexia Sarantopoulou also schreitet durch die Dunkelheit und erzählt, wie Shelley als Teil der britischen Bohème „Frankenstein“ auf einer Schweiz-Reise schrieb. Nach und nach überlagern sich die Ebenen: Die Autorin erschafft ein imposantes literarisches Werk, in dem der Student Viktor (Silvia Calderoni) einen monströsen künstlichen Menschen (Enrico Casagrande) baut, der freilich Gefühle entwickelt, Zuneigung einfordert und so eine Katastrophe heraufbeschwört. Jeder der Beteiligten erschafft etwas, das so vorab nicht geplant war, und jeder erschrickt früher oder später vor der eigenen Schöpfung – die Autorin, Viktor und das Monster sind eins, und auch wenn bei Motus die drei Figuren von unterschiedlichen Personen dargestellt werden, bleibt das die nicht uninteressante Grundthese dieser Inszenierung.

Theater Hamburg: Bei „Frankenstein“ trifft sparsames Bühnenbild auf leise Popmusik

Erzählt wird das in einem sparsamen, hauptsächlich aus auf- und abfahrenden Prospekten bestehenden Bühnenbild, mit mal etwas lauterer, mal leise im Hintergrund pluckernder Popmusik, nicht zuletzt mit viel nackter Haut. Was einem zunächst ein wenig unangenehm aufstößt: Sarantopoulous Körper ist ohne jeden Zweifel normschön, da fragt man sich schon, ob hier ein klassisches Schönheitsideal ausschließlich für den Schauwert zementiert werden soll. Erst gegen Ende löst Casagrande dieses Problem auf, da wird klar, dass diese Inszenierung klüger ist als man bei der ersten Verunsicherung dachte. Und tatsächlich ist es gar nicht weit hergeholt, wenn Casagrande und Nicolò Horror und sexualisiertes Begehren zusammendenken.

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Ziemlich viel Konvention bleibt der Abend dennoch, in all seinem Theaterzauber und seiner Betonung auf klassisch beherrschtes Schauspielhandwerk. Zum Abschluss erscheint ein neuer Text auf der Rückwand (die währenddessen für die zurückhaltende Übertitelung des italienischen Stücktexts genutzt wurde): „To be continued.“ Ja, auf eine Fortsetzung darf man gespannt sein. Ob sie unbedingt im Kampnagel-Rahmen stattfinden muss, darüber kann man ja noch mal diskutieren.

„Frankenstein (A Love Story)“ wieder am 28. Oktober, 19.30 Uhr, Kampnagel, Jarrestraße 20, Tickets unter T. 040/27094949, www.kampnagel.de