Hamburg. Die Dokumentartheatergruppe organisiert auf Kampnagel eine „Konferenz der Abwesenden“, hat aber leider wenig zu erzählen.

Anja ist Karl Heinz Pantke. Anja, die als Beruf „Trainerin und Coach“ angibt, ist also ein Physiker Mitte Sechzig, der über Schwarze Löcher doziert. Ein Referent, der bei der Konferenz zum Thema Abwesenheit nicht dabei sein kann und entsprechend eine Vertretung braucht, einen Avatar, den Anja mit viel Verve gibt. Pantke ist abwesend, und er hat einen guten Grund dafür: Seit einem Schlaganfall vor über 25 Jahren lebt er mit dem „Locked-In-Syndrom“, das seine Kommunikation mit der Außenwelt verunmöglicht. Der optimale Gast, wenn es darum geht, nicht da zu sein.

Helgard Haug, Stefan Kaegi und Daniel Wetzel, bekannt als Dokumentartheatergruppe Rimini Protokoll, haben die „Konferenz der Abwesenden“ auf Kampnagel organisiert. Keiner der Referenten ist vor Ort, alle werden von Freiwilligen aus dem Publikum vertreten, die mittels Live-Einflüsterungen per Headset instruiert werden und darüber hinaus auf schriftliches Material zur Vorbereitung zurückgreifen.

Rimini Protokoll auf Kampnagel: Vertraue keinem Avatar!

Insgesamt neun Referate gibt es: Tamara aus der russischen Teilrepublik Sacha berichtet von der Diamantenmine Mir, deren Tagebauloch mit über 500 Metern Tiefe einer der größten menschlich geschaffenen Schächte weltweit ist. Die Astrophysikerin Suzanna Randall erzählt, wie sie aktuell zur Astronautin ausgebildet wird und damit das eigene Verschwinden vorwegnimmt.

Und ein namenloser somalischer Militär bekennt, wie er zeitweise für den italienischen Geheimdienst gearbeitet habe und mittlerweile mit einer neuen Identität versorgt wurde. Aber Vorsicht: In den Schlussapplaus für diese Passage hinein fragt er (beziehungsweise sein Vertreter), ob man ihm denn glauben würde? „Beim Geheimdienst habe ich das Lügen gelernt.“ Vertraue keinem Avatar!

Rimini Protokoll auf Kampnagel: Erstaunlich wenig zu sagen

Man schaut den Abwesenden gerne zu, was vielleicht auch damit zusammenhängt, dass parallel eine echte Konferenz auf Kampnagel stattfindet: Freie Perfomancekünstler aus dem gesamten Bundesgebiet treffen sich in Winterhude zum „B.A.L.L. – Bundesweites Artist Labor der Labore“, und die Rimini-Protokoll-Produktion ist Teil des Begleitprogramms. Entsprechend sind die freiwillig teilnehmenden Zuschauer selbst meist Menschen mit Bühnenerfahrung, und natürlich ist deren Auftreten als Vertreter der Abwesenden professionell, im Bewusstsein der eigenen Bühnenwirkung. Heißt: Als Theater funktioniert der Abend, weil einem Künstler da eine Realität vorspielen, die Ahnung davon haben, was Vorspielen bedeutet.

Was ein wenig überspielt, dass Rimini Protokoll mit „Konferenz der Abwesenden“ überraschend wenig zu erzählen haben. Der Abend stellt ein paar interesssante Fragen nach dem Verhältnis von Schauspieler und Rolle, aber darüber hinaus bleibt er dünn. Dass der Geflüchtete, der im Auffanglager auf einer griechischen Insel festsitzt, eine Leerstelle performt – eine Binsenweisheit. Dass der US-Amerikaner Les Knight als Vertreter des Antinatalismus freiwillige Kinderlosigkeit fordert, um so eine Feier der abwesenden Menschheit zu formulieren – ganz originell, aber auch nicht wirklich weiterführend. In einer quälend langen Passage wird das Publikum aufgefordert, untereinander zu diskutieren, wann man jemanden vertritt und wann man von jemanden vertreten wird, und spätestens da fragt man sich, ob Haug, Kaegi und Wetzel eigentlich gar nichts mehr eingefallen ist.

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Rimini Protokoll auf Kampnagel: Uraufführung während Corona-Lockdown

Uraufgeführt wurde „Konferenz der Abwesenden“ 2021 in Dresden und hatte damals, in zeitlicher Nähe zum Corona-Lockdown, auf jeden Fall noch eine gewisse inhaltliche Schärfe: Wie verändert sich unser Umgang miteinander, wenn wir nicht gleichzeitig vor Ort sein können? Und können wir den Dialog so einfach an Avatare delegieren? Heute wäre eine entsprechende Frage, ob ständige gemeinsame Präsenz eigentlich in Zeiten der Klimakatastrophe nachhaltig ist. Wirklich nachgehen will der Abend dieser Frage nicht, aber, immerhin: Spaß macht er schon.

Konferenz der Abwesenden Wieder am 21. und 22. Oktober, 20 Uhr, Kampnagel, Jarrestraße 20, Tickets unter 27094949, www.kampnagel.de