Hamburg. Grigorians Salzburger „Salome“ war 2018 eine Sensation und machte sie weltbekannt. Jetzt singt sie die Rolle in Hamburg.
Als Asmik Grigorian kürzlich zu Recht als „Sängerin des Jahres“ ausgezeichnet wurde, trug sie bei ihrem Auftritt im Berliner Konzerthaus einen Ohrring mit den vier Buchstaben „DIVA“. Sie fand den lustig, meint sie nun und amüsiert sich noch nachträglich darüber. Jetzt aber, direkt nach einer langen Probe, ist sie weltenweit von Diva entfernt, sie ist vor allem: erledigt.
2018 wurde die litauische Sopranistin mit einem Schlag endgültig weltbekannt, als kühle, furchterregend lodernde Prinzessin Salome in Romeo Castelluccis Inszenierung der Strauss-Oper bei den Salzburger Festspielen. Seitdem ging ihre Karriere durch die Decke – Stamm-Star in Salzburg, weltweit gebucht. Nach einer „Salome“ in Moskau, die ursprünglich noch als Koproduktion mit der New Yorker Met geplant war, singt sie nun ihre erst zweite neue „Salome“-Bühnenproduktion an der Hamburger Staatsoper.
Chefsache, so ein Gast, deswegen dirigiert Generalmusikdirektor Kent Nagano diese Strauss-Oper, Regisseur ist Dmitri Tcherniakov, mit dem Grigorian 2021 ihr Bayreuth-Debüt als Senta im „Fliegenden Holländer“ erlebte und der gerade im „Opernwelt“-Poll zum „Regisseur des Jahres“ gewählt wurde. Es gibt also einiges mit dieser Ausnahmesängerin zu besprechen, über Leben und Tod, Freiheit und Erfolg, Angst und Maria Callas.
Hamburger Abendblatt: Wie oft hätten Sie diese Rolle nach der Salzburg-Sensation überall auf der Welt singen können?
Asmik Grigorian: Ziemlich oft.
Warum dann Hamburg?
Als Erstes: Dmitri Tcherniakov. Kein Risiko also, in einer schlechten Produktion zu landen. Und ich habe noch nie mit Kent Nagano gearbeitet. Es war ein sofortiges Ja.
Asmik Grigorian: „Ich weiß, dass ich als Mensch alles sein kann“
Ihr O-Ton, 2018, über die Salome: „Ich habe ihr Wesen absolut begriffen.“ Warum also noch proben?
In jeder Inszenierung ist es eine komplett andere Rolle. Wenn man zum Kern eines Menschen vordringt, erkennt man, dass es im Grunde keine Veränderungen gibt. In jeder Inszenierung bleibt es immer das gleiche Mädchen, die gleiche Frau – Asmik. Ich weiß, dass ich als Mensch alles sein kann. Deswegen empfinde ich die Unterschiede zwischen den Charakteren als gar nicht so groß. Aber der Unterschied zwischen der Salzburger und dieser Salome ist so groß, als ob wir Verdis Lady Macbeth und Tschaikowskys Tatjana vergleichen würden.
Haben Sie hier dem Regisseur Vorschläge gemacht oder sind noch deutlicher geworden?
Nein, seine Arbeitsweise ist sehr präzise. Aber natürlich beeinflusse ich seine Entscheidungen, weil ich die bin, die ich bin. Ihm war beim Entwurf seines Konzepts also schon klar, wie ich mich dazu verhalten würde.
Asmik Grigorian: „Man muss immer wieder neu daran arbeiten“
Eine Rolle verkörpern ist das eine, sie nach einer längeren Pause wieder singen zu sollen, etwas ganz anderes. Ist alles sofort wieder da, wie beim Fahrradfahren – höchstens einmal kurz runterfallen, dann geht’s wieder?
Mit manchen Partien ja, mit der Salome aber nicht. Man muss immer wieder neu daran arbeiten.
Wird es mit der Wiederholung solcher Rollen auch einfacher?
Viel einfacher. Sie sind dann im Blut, und der Körper ist weniger erschöpft als beim ersten Mal.
Asmik Grigorian: „Den stärksten Druck mache ich mir immer selbst“
Versuchen Sie, immer einen gewissen zeitlichen Abstand zwischen dem Wieder-Singen einer Partie zu haben?
So etwas passiert ganz natürlich – im letzten Jahr war es ständig „Rusalka“, in diesem Jahr viele „Butterfly“. Für mich ist das aber nicht wichtig, weil ich darin keine unterschiedlichen Charaktere sehe. Das bin immer ich. Ob ich dafür nach London oder New York gehe – egal.
Wie wichtig ist es für Sie, mit einem Regisseur zu arbeiten, den Sie respektieren können? Und gibt es gerade hier, bei dieser Produktion, besonders viel Erfolgsdruck?
Den stärksten Druck mache ich mir immer selbst. Dmitri ist ein Freund, ich bewundere ihn wirklich sehr. Jeder kleine Fehler schmerzt dann besonders, weil ich ihn nicht enttäuschen will.
Asmik Grigorian: „Mit Maestro Nagano sind wir noch mitten in unserer Reise“
In Salzburg hatten Sie Franz Welser-Möst als Dirigent und die Wiener Philharmoniker im Graben – hier sind es Kent Nagano und das Philharmonische Staatsorchester. Wo liegt der Unterschied?
Zwei komplett unterschiedliche Charaktere. Aber mir gefallen Vergleiche generell nicht. Franz wird immer meine erste Liebe sein, das war meine erste Salome, wir haben so viel Zeit miteinander und mit den Details dieser Rolle verbracht. Mit Maestro Nagano sind wir noch mitten in unserer Reise, und ich freue mich sehr darüber.
Für die Hamburger Inszenierung gibt es die Altersempfehlung „ab 16 Jahren“. Wissen Sie, warum, mal abgesehen davon, dass Ihnen als Salome der Kopf von Jochanaan auf einem silbernen Schild serviert wird?
Keine Ahnung. Ich möchte meine Tochter, sie ist sieben, in die Vorstellung mitnehmen – oder wenigstens in eine Probe. Solche Regeln, was Menschen sehen sollen dürfen oder nicht, habe ich noch nie verstanden. Im Internet können sich Kinder so viele Dinge ansehen, die offenbar alle erlaubt sind.
Was bedeutet Erfolg für Sie?
Freiheit! Wobei – ich hatte gedacht, dass ich sie durch Erfolg bekommen würde. Aber ich war schon immer frei gewesen. Erfolg beschützt meine Freiheit, für die ich mein ganzes Leben lang gekämpft habe. Dafür, wie ich denke, wie ich fühle. Jetzt muss ich nicht mehr dafür kämpfen. Ich bin, was ich bin.
Asmik Grigorian: „Ich sterbe auf der Bühne, gehe, umarme meine Tochter“
Das fast ständige Sterben auf der Bühne, das kann auf Dauer doch nicht gesund sein.
Mit dem Tod verbindet mich eine freundschaftliche, warme Beziehung, das war schon immer so. Der Tod ist für mich auch eine Veränderung. Wir sind in jeder Sekunde mit ihm konfrontiert, wir sterben und werden wiedergeboren. Ich sterbe auf der Bühne, gehe, umarme meine Tochter. Und morgen sterbe ich wieder.
Wie erklären Sie Ihrer Tochter, dass all das, was auf der Bühne passiert, doch nur gespielt ist?
Das weiß sie auch ohne mich. Sieht sie etwas, das zu schmerzhaft für sie ist, sagt sie sofort: Na ja, ist ja nur Theater.
Es wird gerade ein Biopic gedreht, in dem Maria Callas von Angelina Jolie verkörpert wird. Ihre Meinung zu dieser Opern-Legende?
Man hat mich schon oft mit Callas in Vergleich gebracht. Es hat mich dabei sehr gefreut, dass sie mich nicht als Sängerin, Darstellerin oder Frau verglichen haben, sondern womöglich meine Einzigartigkeit – das würde ich nur zu gern glauben ... Sie war die Größte. Nicht nur die größte Sängerin oder Darstellerin. Sie war „the only one“, und das war ihr immer bewusst.
Wo sehen Sie sich in zehn Jahren?
Schwer zu sagen. Weil ich heute so erschöpft bin: unter einer Palme, im Warmen. Aber nicht schlafend, das mag ich nicht. Bräuchte mein Körper keinen Schlaf, würde ich das nicht tun.
Asmik Grigorian: „Ich weiß, dass ich heute zehnmal besser bin“
Wie ist es für Sie, sich selbst auf der Bühne singen zu hören?
Eine Art „Wow“-Gefühl hatte ich schon auch, hin und wieder. Aber es geht ja nicht um mich. Es ging immer ums Kämpfen, um die Möglichkeit, wachsen zu können. Immer wieder habe ich mir gedacht, dass ich nie wieder dort rausgehen würde – die Panik-Attacken, das schreckliche Gefühl, mit sich selbst zu kämpfen. Und wenn es wirklich einmal „Wow!“ war, kam es mir niemals so vor, als ob ich das ausgelöst hätte. Wenn man sich so offen fühlt, versteht man, dass man nur ein Werkzeug ist, mit dem das Universum durch meinen Körper hindurch all diese Dinge anstellt.
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Fürchten Sie sich davor, dass das Gefühl von damals, 2018, nach der allerersten Salzburger „Salome“, nach der Premiere hier nicht wieder so intensiv sein wird? Speziell, das ja, aber nicht mehr buchstäblich lebensverändernd?
Damit habe ich ganz und gar meinen Frieden gemacht. Da besteht keine Verbindung. Den Erfolg von damals kann man nicht wiederholen, die Sterne werden nie wieder so stehen. Wenn ich vergleiche, wie ich heute die Salome singe und darstelle, weiß ich, dass ich heute zehnmal besser bin. Jedes Mal, wenn ich auf die Bühne gehe, werde ich besser. Also, ganz klar: keine Angst.
„Salome“-Vorstellungen:29.10. (18 Uhr), 1. / 4. / 8. / 15.11. (19.30 Uhr), 12.11. (17 Uhr). Die Premiere wird live auf www.arte.tv gestreamt und von NDR Kultur übertragen.Aktuelle Grigorian-CD: Schostakowitsch Sinfonie Nr. 14 mit dem Orchestre Philharmonique de Radio France, Mikko Franck (Dirigent), Matthias Goerne (Bariton) (alpha, CD ca. 22 Euro). DVD:„Salome“ (Regie: Romeo Castellucci, Dirigent: Franz Welser-Möst, Wiener Philharmoniker) Mittschnitt von den Salzburger Festspielen 2018 (Unitel, ca. 25 Euro)