Hamburg. Am Steindamm beginnt die Artistik-Saison, Tino Dico und Tim Bendzko singen, die „linguale Axt“ spottet, ein politischer Film feiert Premiere.
Im Hansa-Theater tanzen wieder die Puppen, aber auch bei Tim Bendzko auf Club-Tour in der Großen Freiheit 36. Kleine Kunst und große Kunst in Bild und Ton gibt es auch mit Dänemarks Indie-Perle Tina Dico und den deutschen Ambient-Pop-Pionieren Tangerine Dream. Auch an Kritik an den Umständen unserer Zeit wird nicht gespart, so wie im Film „Breakin Social“ im 3001 Kino. Unsere Kulturtipps der Woche.
Kultur-Tipps Hamburg: Tina Dico gastiert zwei Abende in der Laeiszhalle
Das Reeperbahn Festival 2020 hatte pandemiebedingt nicht viel zu bieten, aber mit dem Auftritt von Tina Dico einen echten Höhepunkt. Nicht anders war es beim Festival-Besuch 2014, als die dänische Sängerin und Songwriterin hierzulande noch ein Geheimtipp war. In ihrer Heimat ist sie allerdings seit bald 20 Jahren ein Superstar und veröffentlicht in Zusammenarbeit mit ihrem kongenialen Ehemann Helgi Jónsson, mit dem sie auf Island lebt, Spitzenalbum auf Spitzenalbum und beweist sich als Vielseitigkeitskünstlerin zwischen Indie-Pop, Rock, Synthie und Folk. Zumeist singt Dico englisch, aber 2022 erschien mit „Bitte Små Ryk“ ein Album auf Dänisch. Hamburger Fans freuen sich auf alles, das Konzert am 23. Oktober in der Laeiszhalle ist bereits ausverkauft, für den 24. Oktober gibt es noch Karten. tl
Tina Dico Mo 23.10., Di 24.10., jew. 20.00, Laeiszhalle (U Gänsemarkt), Johannes-Brahms-Platz, Karten für 24.10. ab 44,40 im Vorverkauf; www.tinadico.com
Lustspielhaus Hamburg: Kabarettist Schmickler hört nicht auf
Als „linguale Axt“ wurde Wilfried Schmickler gern bezeichnet, als er noch fester Bestandteil der langlebigsten deutschen TV-Satiresendung war, der WDR-„Mitternachtsspitzen“. Und zu der gehörte der unter dem Bayer-Kreuz geborene und mehrfach ausgezeichnete rheinländische Kabarettist bis 2020 immerhin 28 Jahre. „Aufhören, Herr Becker! Aufhören!“, mahnte Schmickler in der Liveshow aus dem Alten Wartesaal unterm Kölner Hauptbahnhof regelmäßig im Schlussmonolog seinen Kollegen Jürgen Becker. „Es hört nicht auf“, sagt sich Schmickler nun in seinem neunten, stets aktuellen Soloprogramm, mit dem er an diesem Sonnabend und Sonntag im Lustspielhaus gastiert. Mit hohem moralischem Anspruch, aber auch mit durchdringendem und hintergründigem Spott sowie scharfer Analyse auf meist sprachlich hohem Niveau. str
„Es hört nicht auf“ Sa 21.10., 20.00, So 22.10., 19.00, Lustspielhaus (U Hudtwalckerstraße), Ludolfstraße 53, Karten zu 30,- (erm. 20,-) bis 37,-: unter T. 040/ 55 56 55 56; www.almahoppe.de
Lesung und Signierstunde mit Christopher Clark in Hamburg: „Frühling der Revolution“
1848 war europaweit ein Jahr der bürgerlich-revolutionären Erhebungen gegen die damals herrschenden Mächte der Restauration und deren politische und soziale Strukturen. Angefacht von der französischen Februar-Revolution, griff die revolutionäre Stimmung auf die Staaten des Deutschen Bundes, das Reich der Habsburger, auf Italien bis nach Brasilien über. Das neue Werk des polyglotten Bestsellerautors Christopher Clark, „Frühling der Revolution“ (DVA), erweckt jene Epoche zum Leben. Der populäre Historiker erläutert, in der Geschichte Europas habe es keinen Moment gegeben, der aufregender war, aber auch keinen, der beängstigender war als im Frühjahr 1848. Wer es nicht glaubt, der kann den gut Deutsch sprechenden Australier im Anschluss an seine Lesung an diesem Sonntag im Altonaer Theater selbst fragen: Clark signiert am Büchertisch der Buchhandlung Christiansen. str
Lesung und Signierstunde Christopher Clark So 22.10., 18.00, Altonaer Theater (S Altona), Museumstr. 17, Karten zu 18,- bis 24,- unter T. 040/39 90 58 70; www.altonaer-theater.de
„Lili Marleen“-Schöpfer Hans Leip wird dank Kirchbergs neuer CD geehrt
Der (Klein-)Künstler selbst nennt das Projekt „meine Herzensangelegenheit“: Johannes Kirchberg sieht seine neue CD auch „als Beitrag für die Stadt, diesen Dichter nicht zu vergessen“. Und so hat der zwei Jahrzehnten in Hamburg ansässige Chansonnier und Schauspieler aus Sachsen dem Hanseaten Hans Leip zu dessen 130. Geburtstag ein Album gewidmet, das er in diesem Herbst mehrmals live präsentiert. Leip hatte bereits 1915 das Gedicht „Lili Marleen“ geschrieben, das im Zweiten Weltkrieg diesseits und jenseits der Front zum ersten Hit des 21. Jahrhunderts werden sollte. Kirchberg berührt mit seiner Version, hat fürs Klavier aber auch Leip-Gedichte wie „Heimweh“, „Alte Liebe“, „O Johnny“ und „An meine Töchter“ neu vertont. Nach der Live-Premiere am 22. September im Blankeneser Goßlerhaus lädt Kirchberg an diesem Sonntag, 22. Oktober, zum Heimspiel aufs Theaterschiff, ehe er seine CD noch im Tschaikowsky Saal (4.11.) und Tonali Saal (11.11.) präsentiert. str
Johannes Kirchberg: „Wie einst Lili Marleen“ live So 22.10, 18.00, Theaterschiff (U Rödingsmarkt), Holzbrücke 2, Karten zu 25,-bis 29,-: T. 040/ 69 65 05 60; www.theaterschiff.de; auch Sa 4.11., 19.30, Tschaikowsky Saal, Sa 11.11., 19.30, Tonali Saal; www.johannes-kirchberg.de
Im Hansa-Varieté-Theater in Hamburg tanzen wieder die Puppen und noch mehr
Kommt der Herbst, öffnet das Hansa. Vom 24. Oktober bis zum 25. Februar 2024 hebt sich der Vorhang zur neuen Saison für ein hochkarätiges Varieté-Programm, das amüsiert, fesselt, womöglich sogar elektrisiert. Präsentiert vom St. Pauli Theater, dem Hamburger Abendblatt und Gastro-Partner Strauchs Falco entführen an fünf Abenden pro Woche (sowie zusätzlich an manchen Nachmittagen) internationale Artisten in die faszinierende Welt des Varietés, stets hautnah auf der schnuckeligen Bühne und begleitet vom Live-Orchester, den Hansa-Boys. Bei den beiden Voraufführungen am Dienstag und Mittwoch vor der Premiere (26. Oktober) gibt Hamburgs populärster „Bulle“, der eigentlich bereits pensionierte Herr Holm alias Dirk Bielefeldt, als Conférencier sein Comeback – im Smoking statt in Polizeiuniform. Weitere Kabarettisten und Entertainer wie Rolf Claussen, Alfons, Robert Kreis, Katie Freudenschuss, Jan-Christof Scheibe und Matthias Brodowy präsentieren dann jeweils acht Artistik-Acts pro Vorstellung, etwa Alex und Barti mit ihrem Puppenspiel, die Akrobaten vom Duo Fabulous und Duo Flash sowie erstmals im Hansa-Theater die Ethio Brohers aus Addis Abeba mit ihrer Partner-Jonglage. Varieté ist eben eine weltweite Attraktion! str
Varieté im Hansa-Theater Voraufführungen Di 24./Mi 25.10., jew. 19.30 (Karten auf allen Plätzen je 41,85), Premiere Do 26.10.. (ausverkauft), Vorstellungen bis 25.2. 2024, täglich außer Mo und Di (Ausnahme: Di 31.10., 18.30) jew. Mi bis Fr, jew. 19.30, Sa 15.30 und 19.30, So 14.30 und 18.30 plus besondere Feiertags-Termine, Hansa-Varieté-Theater (U/S Hbf.), Steindamm 17, Karten zu 46,90 bis 71,90 in der Hamburger-Abendblatt-Geschäftsstelle, Großer Burstah 18-32, Ticket-Hotline T. 040/30 30 98 98; www.hansa-theater.com
Laeiszhalle Hamburg: Experimentierfreudige Tonkunst mit Tangerine Dream
Die Band ist ein Pionier von Electro, Krautrock, Ambient, New Age, Progressive und macht dennoch immer ihr eigenes Ding: Tangerine Dream, 1967 in Berlin gegründet, steht seit mehr als 50 Jahren für grenzenlose Experimentierfreude, Tonkunst und Hörgenuss, der viele Generationen von Porcupine Tree bis Schiller beeinflusst hat – und weiterhin zum popkulturellen Kanon gehört, zum Beispiel in mehreren Folgen der Serie „Stranger Things“. Gründer und langlebigstes Mitglied Edgar Froese starb leider 2015, aber Thorsten Quaeschning, seit 2005 dabei, trägt die Fackel weiter und am 26. Oktober in die Laeiszhalle. tl
Tangerine Dream Do 26.10., 20.00, Laeiszhalle (U Gänsemarkt), Johannes-Brahms-Platz, Karten ab 58,50 im Vorverkauf
3001 Kino in Hamburg: Dokumentation „Breaking Social“ feiert Premiere mit Regisseur
Zur Schule gehen, die Hausaufgaben machen, dann Studium oder Ausbildung absolvieren. Das Ziel: einen Job finden, viel und hart arbeiten. Wer sich an Regeln hält und Leistung erbringt, dem wird es gut gehen. So der Mythos unseres Gesellschaftsvertrages. Doch nicht wenige müssen schmerzhaft erfahren, dass die Wirklichkeit anders aussieht. Der preisgekrönte schwedische Filmemacher Fredrik Gertten beschäftigt sich in seinem neuen Dokumentarfilm „Breaking Social“ mit den Themen Kleptokratie und Ungerechtigkeiten wie Ausbeutung von Lehrkräften in den USA, ein korruptes Regime in Malta, Übergriffe an Frauen in Chile. Schon zwei Tage vor dem bundesweiten Start (26. Oktober) können Hamburger die Doku im 3001 Kino in der Schanze sehen. Regisseur Gertten ist bei der Premiere vor Ort, um mit dem Publikum anschließend zu diskutieren (Gespräch auf Englisch). gef
„Breaking Social“ (FSK ab 16 J.) Di 24.10., 21.00, 3001 Kino (U/S Sternschanze), Schanzenstraße 75, Karten zu 10,- (erm. 7,-): T. 040/ 43 76 79; 3001-kino.de
Tim Bendzko bringt den Frühling in die Große Freiheit auf St. Pauli
„Eigentlich ein richtig talentierter Musiker, schade, dass ihn keiner mehr kennt“, kommentiert jemand unter dem Musikvideo von Tim Bendzkos „Nur noch kurz die Welt retten“-Song auf YouTube. Der Post ist fünf Jahre alt, und seit dem Album „Immer noch Mensch“ (2016) scheint den Berliner zwischenzeitlich das Glück verlassen zu haben. Auch seine „April Club Tour“ musste er im Frühjahr aus gesundheitlichen Gründen abbrechen – doch nun ist der deutsche Singer-Songwriter wieder fit und kann den Abend in der Großen Freiheit 36 am 23. Oktober nachholen. Sein aktuelles Album „April“ ist Ende März dieses Jahres erschienen – und auch wenn der gleichnamige Song jahreszeitlich gesehen weit weg vom verregneten Oktober ist: Ein wenig Frühling im musikalischen Herzen kann ja nicht schaden. gef
Tim Bendzko Mo 23.10., 20.00, Große Freiheit 36 (S Reeperbahn), Karten zu 49,95,- im Vorverkauf; www.timbendzko.de
„Coachical“ für gestresste Business-Menschen spielt jetzt im Pulverfass Cabaret auf der Reeperbahn
Travestie war gestern, Musical ist heute: Im 50 Jahre alten Pulverfass Cabaret, seit 2001 an der Reeperbahn ansässig, spielt jetzt (zusätzlich) ein Musical, genauer ein „Coachical“. Jan-Christof Scheibes Stück „Glücklich in 90 Minuten“ hatte vor gut vier Jahren Uraufführung in den Kammerspielen. Es hat Workshop-Charakter, ist jedoch musikalischer als ein herkömmlicher Lehrgang. Und so versucht in der Revue über Sinn und Unsinn des Lebens der stimmlich starke Schauspieler Tim Grobe als Coach erneut einen von Geliebter und erwachsener Tochter gestressten Investmentbanker (Mario Ramos) wieder fit zu machen für den harten Alltag. Noch bis Ende Dezember regelmäßig im plüschigen Pulverfass-Ambiente. str
„Glücklich in 90 Minuten“ bis 27.12., jew. Di und Mi., nächste Termine 24. und 25.10, jew. 19.30, Pulverfass Cabaret (S Reeperbahn), Reeperbahn 147, Karten zu 34,- bis 47,- unter T. 24 97 9126.10., 20.00; www.pulverfasscabaret.de