Hamburg. Hamburgerin Sonja Lahnstein engagiert sich für Verständigung: „Kunst ist ein Weg, Traumata und Ängste zu verarbeiten“. Trotz allem.

Die Hamburgerin Sonja Lahnstein-Kandel engagiert sich als Geschäftsführende Vorsitzende des Vorstands im Verein zur Förderung des Israel Museums in Jerusalem e.V. und im Projekt „Bridging the Gapnbghn“, das vor Ort über Kulturvermittlung Gräben überwinden will. Der Titel bezeichnet auch eine Diskussionsreihe in den Deichtorhallen Hamburg. Wie aber gestaltet man etwa ein Begegnungsprogramm für israelische und palästinensische Kinder in diesen Zeiten? Woher schöpft Sonja Lahnstein in Hamburg Kraft und Hoffnung? Ein Gespräch.

Hamburger Abendblatt: Sie engagieren sich in dem Verein zur Förderung des Israel Museums in Jerusalem e.V. und im Projekt ‚Bridging the Gap‘ Wie erleben Sie diese schwierigen Zeiten?

Ich habe versucht, stark zu sein für das Museum, die Kinder, das Team. Ich habe mich aber auch angesichts einer mangelnden moralischen Einordnung mit einigen Kulturinstitutionen in Verbindung gesetzt. Einiges war ermutigend, anderes weniger, und das hat mich total erschöpft. Es ist eine Zäsur, die sowohl das Israel Museum, das Programm, das ganze Land und alle Juden für immer begleiten wird.

Sonja Lahnstein: „Die Kinder stellen fest, dass sie die gleichen Wünsche und Ängste haben“

Sie unterhalten das Programm ‚Bridging the Gap‘, das sowohl über einer Diskussionsreihe hier in den Deichtorhallen steht als auch ein Begegnungsprojekt am Israel Museum in Jerusalem für Kinder und Jugendliche aus Ost- und West-Jerusalem darstellt, bei dem sich jüdische und palästinensische Jugendliche begegnen. Was ist Ihre persönliche Motivation, sich zu engagieren?

Ich habe mich mein Leben lang für Verständigung und Co-Existenz engagiert, professionell in der Arbeit für die Weltbank. Und da ich selbst als Jüdin zugewandert bin und mich zurechtfinden musste, war es natürlich, gerade dieses Engagement zu suchen. Am Israel Museum hat die Jugendarbeit eine herausragende Stellung. Mich trägt das unglaubliche Engagement der Leute vor Ort. Die Kinder sind alle neugierig, ob sie palästinensisch oder jüdisch sind – trotzdem kennen die sich überhaupt nicht. Das Programm hat künstlerische Methoden entwickelt, wie sie einander näherkommen, in dem sie sich zum Beispiel Gesichtsmasken gegenseitig auftragen. Dabei stellen sie fest, dass sie die gleichen Wünsche und Ängste haben. Dieses Programm ist unter diesen Umständen in dieser konfliktbeladenen Stadt einmalig. Wir als Verein sind Exklusivpartner und versuchen jedes Jahr Gelder für ein ganzes Schuljahr für bis zu 80 Jugendliche zu sammeln.

Das Projekt „Bridging the Gap“ bringt seit gut 30 Jahren jüdische und palästinensische Kinder am Israel Museum in Jerusalem zusammen.
Das Projekt „Bridging the Gap“ bringt seit gut 30 Jahren jüdische und palästinensische Kinder am Israel Museum in Jerusalem zusammen. © IMJ | Israel Museum in Jerusalem

Ist interkulturelle Begegnung möglich? Welche Erfahrungen machen Sie dort seit 30 Jahren?

Ja, und das beobachte ich übrigens auch in ganz Israel. Ich bin auch an der Universität in Haifa engagiert. Im Norden leben arabische und jüdische Israelis friedlich zusammen. In Jerusalem ist die Situation etwas anders, weil die Stadt einen Sonderstatus hat. Aber dort ist es gerade einigermaßen ruhig. Die Tatsache, dass das Programm in 30 Jahren noch nie unterbrochen wurde, zeigt, dass es möglich ist. Nun mussten wir zum ersten Mal unterbrechen. Ich höre oft, dass es eine Utopie sei, aber es ist möglich, und das beweist, dass es geht.

Sonja Lahnstein: „Kunst ist ein Weg, die Traumata und Ängste zu verarbeiten“

Wie kann man angesichts der Ereignisse ein solches Programm fortführen? Die Chef-Kuratorin des Museums, Efrat Klipshtein möchte die Aktivitäten an die neue Lage anpassen. Wie kann das geschehen?

Man muss ja die Realität verarbeiten. Kunst ist ein Weg, die Traumata und Ängste zu verarbeiten. Und das sind die gleichen, egal ob das palästinensische oder jüdische Kinder sind. Ich bin zuversichtlich, dass es weitergeht nach dem Krieg. Und auch jetzt wollen wir digitale Angebote anbieten und schicken Bastel-Kits zu den Kindern nach Hause.

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Was ist das Besondere an der gleichnamigen Diskussionsreihe hier vor Ort in den Deichtorhallen?

Das Programm hat sich entwickelt aus der Ausstellung aus den Vereinigten Arabischen Emiraten „In Another Country“. Dort wurde auch der Begriff „Diaspora“ verwendet. Diaspora steht aber in erster Linie für die Zerstreuung des jüdischen Volkes in die ganze Welt nach der Zerstörung des Tempels in Jerusalem. In der Folge haben wir gemeinsam mit den Deichtorhallen drei Veranstaltungen geplant zum Thema jüdischer Identität in der Kunst. Die Veranstaltung zur jüdischen Diaspora haben wir nun auf Januar verschieben müssen, weil die Diaspora gerade in Alarmbereitschaft ist.

Was gibt Ihnen in der aktuellen Lage Hoffnung?

Was zeichnet die Juden aus nach über 2000 Jahren Verfolgung und Vernichtung? Dass es sie immer noch gibt. Und das ist die Hoffnung. Wir geben nicht auf. Es gibt keinen Grund, warum „Bridging The Gap“ nicht weitergehen sollte. Nicht jetzt, nicht morgen, nicht übermorgen. Aber nachdem die allerschlimmsten Wunden notdürftig versorgt sind, wird es weitergehen.

„Bridging The Gap“ Infos und Programm www.imj-germany.de ; www.deichtorhallen.de