Hamburg. Die französische Mezzosopranistin bewies in der Elbphilharmonie, warum sie als eine der aufregendsten Sängerinnen der Klassik gilt.

Was für eine Stimme! Charakterstark. Sehr eigen. Und wandlungsfähig, bis ins Extrem. Wenn sie in die Tiefe geht, ins Brustregister, dann flutet Lucile Richardot den Kleinen Saal der Elbphilharmonie mit einem fülligen, kraftvoll-gutturalen Ton, der an den Sound von Countertenören erinnert. Doch in der hohen Lage verschlankt sie den Klang, strahlt hell und leicht in den Raum. Phänomenal, dieses Volumen und diese Gegensätze.

Was die französische Mezzosopranistin zu einer der aufregendsten Sängerinnen der Klassik macht, ist allerdings nicht allein ihr besonderes Timbre, sondern das, was sie damit anstellt und wofür sie es einsetzt. Ihr Repertoire reicht vom Frühbarock bis in die Neue Musik. Beim Liederabend in der Elbphilharmonie widmen sich Richardot und ihre sensible Klavierpartnerin Anne de Fornel vor allem Werken von Komponistinnen des 20. Jahrhunderts.

Elbphilharmonie: Lucile Richardot lauscht und schmeckt den Klängen nach

Nadia Boulanger und ihre Schwester Lili sind die Hauptfiguren im spannenden Programm. Ihre Lieder, oft impressionistisch angehaucht, vertonen Texte von Dichtern wie Paul Verlaine oder Albert Victor Samain, die die Sinnlichkeit der französischen Sprache kunstvoll ausschöpfen. Und Richardot schöpft mit. Sie lauscht und schmeckt den Klängen nach, dehnt Worte wie „douce“ oder „pourpre“, um die Vokale so richtig zu genießen. Wachsam unterstützt von Anne de Fornel am Flügel, erkundet sie eine Fülle an Farben. Von unfassbar zarten Pianissimo-Nuancen – etwa in Nadia Boulangers „Soleils couchants“, das die Melancholie von untergehenden Sonnen beschwört – bis zu den Forte-Wellen, in denen sie eine Ausfahrt des Odysseus durchlebt („Le retour“).

Lucile Richardot haucht und säuselt, sie gurrt dunkel und samtig, fräst die Töne aber auch mal scharf ins Ohr, wenn die Musik es will. Und manchmal ruft sie fast. In einem Wiegenlied der fieseren Sorte von Benjamin Britten, bevölkert von Furien und hässlichen Hexen, herrscht sie das imaginäre Kind so garstig zum Schweigen an, dass einem angst und bange wird: „QUIET!“

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Lustvoll reizt Richardot die Kontraste aus, unterstreicht den Charakter und die Bilder der Lieder mit ihrer ausdrucksvollen Mimik und kleinen Gesten. Sie gestaltet und erzählt packend. Und doch gleitet der Fokus beim Hören immer mal wieder weg vom Inhalt. Hin zu dieser einmaligen Stimme, von der das Trommelfell Gänsehaut lernt.