Hamburg. Sieben Kapitel über Zusammengehörigkeit: Das Münchner Erfolgsstück „Scores That Shaped Our Friendship“ ist zu Gast in Hamburg.

Vor dreieinhalb Jahren schlug „Scores That Shaped Our Friendship“ wie eine Bombe in die deutschsprachige Theaterwelt ein. Eine winzige Freie-Szene-Produktion, uraufgeführt im Februar 2020 an der kleinen Münchner Off-Bühne Schwere Reiter. Die sich postdramatisch Fragen nach Begehren, Sexualität, Solidarität, Queerness, Behinderung und Zusammengehörigkeit stellte und damit einen Nerv traf. Eine Einladung zum Berliner Theatertreffen war die Folge sowie der Theaterpreis „Der Faust“ (allerdings in der Kategorie Tanz, was ein Hinweis darauf ist, dass die Arbeit ästhetisch nur schwer eingeordnet werden konnte).

Kampnagel: Sieben Kapitel erzählen von Zusammengehörigkeit

Zu sehen bekam den Abend allerdings kaum jemand – nach der Premiere werden Stücke in der Freien Szene in der Regel noch ein paarmal gezeigt, und wenn sie dann nicht in Netzwerken wie dem Bündnis Internationaler Produktionshäuser (zu dem auch Kampnagel gehört) auf Tour gehen, verschwinden sie wieder. Produktionen aus der Diaspora, zum Beipsiel aus München, haben es da schwer. Entsprechend ist es ein Glücksfall, dass „Scores That Shaped Our Friendship“ jetzt doch noch auf Kampnagel gastiert. Auch wenn man überraschend feststellt, dass drei Jahre eine lange Zeit für Theaterästhetik sind.

Lucy Wilke, Pawel Duduś und Kim_Twiddle lümmeln da auf einer Flokatilandschaft (Bühne: Theresa Scheitzenhammer, Alexander Wilke), begrüßen das Publikum und erklären, dass jetzt in sieben Kapiteln von Zusammengehörigkeit erzählt werden solle. Also: Es geht um das Entdecken des eigenen Körpers, um Aggressionen, um Lust, um gedehnte Zeit, später dann auch ganz konkret um die Eigenarten von Dating-Apps. Duduś verwandelt sich in eine Raubkatze, die sich an eine geschwächte Antilope heranpirscht, welche von Wilke verkörpert wird (die sich anscheinend gar nicht so ungern zerfleischen lässt), Kim_Twiddle erzeugt dazu einen suggestiven Sound zwischen New Age, Elektro, manchmal auch Rap. Das ist klug, es ist sensibel, es ist selbstentäußernd. Aber es ist auch ein klein wenig von gestern.

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Die explizite Darstellung von Behinderung und Sexualität etwa, die Wilke – die Schauspielerin lebt mit der neuronalen Erkrankung Spinale Muskelatrophie und sitzt im Rollstuhl – hochkreativ performt, hat sich von der Freien Szene etabliert, auch Wilke ist mittlerweile Ensemblemitglied an den Münchner Kammerspielen. Und die Problematisierung von Blicken und Hierarchien innerhalb von Begehrensstrukturen ist längst nicht mehr so drängend fürs Theater, wie es noch 2020 war. Was bleibt: sanfte Berührungen zu sanften Klängen, Achtsamkeitstheater.

Wobei dieses Urteil nicht ganz fair ist. Wilke, Duduś und Kim_Twiddle beweisen ein Gespür für szenische Wirkungen, das Stück hat Humor und Mut, diesen Humor auch wieder zu brechen, das Trio berührt mit seiner Bühnenpräsenz. Es stellt auch die richtigen Fragen. Nur die Diskussion, die diese Fragen 2020 noch anstoßen konnte, die ist mittlerweile ein gutes Stück weiter.