Hamburg. Das gab‘s seit 1986 nicht: Am 7. Oktober überträgt der NDR aus dem Theater. Warum das Stück „De leven Öllern“ ein Wagnis ist.

Im Ohnsorg-Theater ist dieses Jahr fast immer fix was los – ob nun vor oder hinter den Kulissen. Erst trat Ende April nach der überraschenden Wahl von Sandra Keck ein Teil des Vorstands vom Ohnsorg-Eigentümer Niederdeutsche Bühne Hamburg e.V. zurück; im Spätsommer folgte bei einer außerordentlichen Mitgliederversammlung eine Teil-Neuwahl und daraufhin die Konstituierung des neuen Ohnsorg-Aufsichtsrats. Vom 4. Oktober an wird auf der Bühne wieder ein trautes Heim errichtet: „De leven Öllern“ kehren zurück.

Damit das Stück noch mehr Menschen sehen können als von Mitte Januar bis Mitte Februar dieses Jahres zur deutschsprachigen Erstaufführung des französischen Erfolgs (Originaltitel „Chers Parents“) op Platt, hat sich wieder mal der NDR am Heidi-Kabel-Platz angesagt. Eine Sensation, weil die rund 30 anrückenden Fernsehleute die Komödie am 7. Oktober nicht nur wie üblich aufzeichnen, sondern an jenem Sonnabend live ausstrahlen wollen. Und zwar zur besten Sendezeit um 20.15 Uhr gleich nach der „Tagesschau“.

Ohnsorg-Theater endlich wieder live im TV – mit Plattdeutsch und zur besten Sendezeit

Das hat es seit fast vier Jahrzehnten nicht gegeben. Laut NDR-Archiv wurde zum bisher letzten Mal am 16. Juni 1986 live aus dem Ohnsorg gesendet, damals noch vom alten Standort Große Bleichen. „Strandräuber“ hieß das Stück mit Heidi Kabel, in dem der 2009 verstorbene Charakterkomödiant Rolf Bohnsack an der Seite der legendären Hamburger Volksschauspielerin und dreifachen Mutter agierte.

Turbulent geht es unter den drei Kindern (v.l.) der lieben Eltern zu: 
Julius (Marco Reimers), Peer (Flavio Kiener) und Luisa (Rabea Lübbe) sind sich nicht immer grün.
Turbulent geht es unter den drei Kindern (v.l.) der lieben Eltern zu: Julius (Marco Reimers), Peer (Flavio Kiener) und Luisa (Rabea Lübbe) sind sich nicht immer grün. © Oliver Fantitsch | Oliver Fantitsch

Im Vorjahr hatte der NDR gleich zwei Stücke aufgezeichnet: im Mai „Alarm in’t Grandhotel“ (mit Sandra Keck, Beate Kiupel und Erkki Hopf) mit Gesang und auf Missingsch, in dem Plattsnacker bekanntlich ihr recht breites Standarddeutsch hervorholen und dabei auch mal über einen „ssspitzen Stttein stttolpern“ (tun). Und im Januar 2022 noch unter Corona-Bedingungen (2G-plus und mit Teststation) die „Extrawurst“. Die Satire um einen eigenen Grill für einen Muslim in einem Tennisclub war bei den bundesweiten Privattheatertagen 2021 als beste Komödie ausgezeichnet worden und hatte bereits bei der Uraufführung einige hochdeutsche Anteile.

Seit Beginn der Übertragungen gab es Ohnsorg-Stücke im Fernsehen nur auf Missingsch

Der noch bis Ende 2024 laufende vierjährige Kooperationsvertrag zwischen Ohnsorg und NDR sieht vor, dass der NDR „bis zu zwei Produktionen im Kalenderjahr aufzeichnet“. Das impliziert auch Direktübertragungen. „Eine Live-Sendung hat immer, auch für Zuschauende, eine andere Faszination, als sich eine bearbeitete Aufzeichnung anzusehen“, nennt Daniela Drinkuth auf Abendblatt-Anfage einen triftigen Grund. Die Redakteurin ist seit diesem Jahr für das Ohnsorg zuständig und „möchte einen neuen Fokus auf die Zusammenarbeit von NDR und Theater legen“.

Nicht nur das: Mit Ohnsorg-Intendant Michael Lang, Fernsehregisseur Klaus-Dieter Rentel und Theaterregisseurin Nora Schumacher hat Daniela Drinkuth entschieden, mehr Plattdeutsch-Anteile denn je live zu senden. Erstaunlich, da seit der ersten Fernsehübertragung 1954 mit „Seine Majestät Gustav Krause“ – damals als Aufzeichnung aus dem Hochbunker auf dem Heiligengeistfeld – die Stücke stets auf Missingsch ausgestrahlt worden sind. Das hatten die Redakteure dem Ohnsorg-Intendanten Hans Mahler einst abgerungen, der landesweiten Verständlichkeit wegen.

Ohnsorg-Theater: In „De leven Öllern“ sprechen die Beteiligten Hochdeutsch, Plattdeutsch und Missingsch

In „De leven Öllern“, welche das Ohnsorg aus Frankreich nach Norddeutschland verfrachtet hat, dreht es sich um ein noch recht junges Rentnerpaar (Meike Harten, Kontstantin Graudus), das seine drei erwachsenen Kinder zu sich ins Haus lädt, um ihnen etwas Wichtiges mitzuteilen. Familiäre Strukturen sowie die Themen Geld und Erben rücken in dieser stetig absurder werdenden Komödie ins Zentrum. Die vielen Menschen bekannte Ausgangslage sei wie „geschaffen, die sprachliche Bearbeitung auf drei Ebenen zu stellen“, meint NDR-Frau Drinkuth.

Heißt für diese TV-Fassung: „Die Kinder sprechen untereinander Hochdeutsch, die Eltern Plattdeutsch und alle fünf in gemeinsamen Situationen Missingsch“, sagt Drinkuth. Da insbesondere viele Ältere noch Plattdeutsch können und die Jüngeren oft neugierig sind auf die Regionalsprache, kann es durchaus Sinn ergeben, die beiden Sprachen dramaturgisch glaubhaft zu kombinieren. Daniela Drinkuth: „Schließlich muss man ja auch Neues gemeinsam ausprobieren.“

„Das lebendige Spiel mit der Sprache liegt uns am Herzen. Auf Plattdeutsch eine Lebenswirklichkeit abzubilden und eine Geschichte so zu erzählen, wie sie real passieren könnte, ist auch unser Anliegen“, freut sich Michael Lang auf das Wagnis des NDR.

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Für den Fall, dass am Abend des 7. Oktobers live doch etwas schiefgeht, zeichnet der NDR nachmittags die Generalprobe auf (für beide Vorstellungen gibt es noch Karten). Um schlimmstenfalls einem Stromausfall oder Ähnlichem vorzubeugen. Falls alle Stricke reißen, könnte diese Version ins Programm eingespielt werden. Kurios an der Ohnsorg-TV-Historie: Unter den seit 1961 im NDR archivierten 193 Stücken fehlt ausgerechnet die bisher letzte Live-Übertragung von vor 37 Jahren, „Strandräuber“.

„De leven Öllern“ Sa 7.10., 20.15 Uhr, NDR-Fernsehen live