Hamburg. Staureichste Tage des Jahres: Verkehrsforscher erklärt, ob man bei Stau die Spur wechseln sollte – und wie er zu vermeiden wäre.

Anstatt frustriert bei 30 Grad im Auto sitzen zu bleiben und schlechte Laune zu schieben, stiegen sie einfach mitten auf der Autobahn aus und veranstalteten eine Grillparty. So wie die Autofahrerinnen und Autofahrer auf der A1 in Richtung Hamburg kürzlich auf einen kilometerlangen Stau infolge eines Unfalls reagierten, tun es nicht alle. Gerade jetzt, während der Ferienzeit, liegen die Nerven insbesondere bei Familien mit kleinen Kindern schnell blank, wenn es nicht so vorangeht wie geplant.

Für dieses Wochenende sagt der ADAC die staureichsten Tage des Jahres vorher – auch im Norden insbesondere auf der A1 und A7, denn nun sind alle Bundesländer in den Ferien. Doch wenn nicht durch Baustelle oder Unfall: Wie entsteht überhaupt ein Stau und wie verhält man sich am besten, damit der Verkehr möglichst schnell wieder fließt?

Verkehr in Hamburg: So verhält man sich bei Stau auf Autobahnen

Der Verkehrsforscher Justin Geistefeldt beschäftigt sich seit mehr als 20 Jahren mit dem Thema und war als Professor für Verkehrswissenschaften an der Planung des Ausbaus der A7 beteiligt. Der 46-Jährige leitet den Lehrstuhl für Verkehrswesen der Ruhr-Universität Bochum und verrät, welche Fehler man im Stau am besten vermeiden sollte.

„Wenn die Verkehrsnachfrage höher ist als die Kapazität der Straße, entsteht Stau. Das heißt, wenn mehr Fahrzeuge über die Autobahn fahren möchten, als Platz ist, stockt der Verkehr“, sagt der Verkehrsforscher mit einer Selbstverständlichkeit, die niemand anzweifeln wollen würde, und einem Enthusiasmus, den man kaum stoppen kann.

Stau lässt sich immer auf menschliches Verhalten zurückführen

Stau ist menschengemacht. „Natürlich passiert Stau nicht schlagartig ohne Grund, sondern resultiert letztlich aus dem Verhalten der Verkehrsteilnehmerinnen und Verkehrsteilnehmer“, fährt der studierte Bauingenieur weiter fort. Auf eine sechsspurige Autobahn passten pro Stunde zum Beispiel etwa 5500 bis maximal 6000 Fahrzeuge je Richtung. So wie auf der A7 in Hamburg. „Wenn dort aber plötzlich 7000 Fahrzeuge pro Stunde durchwollen, passt das nicht mehr und der Verkehr staut sich.“

So weit so gut. Doch was genau machen die Autofahrerinnen und Autofahrer falsch? „Die Verkehrsteilnehmer fahren ja meist in dichten Abständen. Schon kleine Störungen und Effekte wie Bremsmanöver oder Fahrstreifenwechsel einzelner Verkehrsteilnehmer können da die Ursache sein“, sagt Geistefeldt. Hinzu komme, dass wir als menschliche Fahrerinnen und Fahrer nicht in der Lage seien, exakt die Geschwindigkeitsdifferenz und den Abstand zum vorausfahrenden Fahrer einzuschätzen, die laut Gesetz vorgesehen sind. „Wir schaffen das nur mit einer gewissen Trägheit.“

Stau auf Hamburgs Autobahnen durch verminderte Reaktionszeit

Wenn sich der Abstand zum Auto vor uns zum Beispiel ein klein bisschen verändert, bemerken wir das erst einmal gar nicht sofort. „Wenn wir es dann aber wahrnehmen, dauert es erst einmal noch eine gewisse Reaktionszeit, bis wir überhaupt bremsen. Das kann dann dazu führen, dass wir sehr viel stärker bremsen müssen, als es der Fall wäre, wenn wir einen Radar-Sensor in unserem Gehirn hätten und wir in jeder zehntel Sekunde genau wüssten, mit welchem Abstand wir zum vorausfahrenden Fahrzeug fahren“, sagt der Verkehrsforscher.

Da drängt sich die Frage auf: Birgt voll automatisiertes Fahren also die Chance auf eine Welt ohne Stau?

Wie eine Welt ohne Stau möglich wäre

Der Verkehrsforscher nickt. „Wenn wirklich alle Fahrzeuge automatisiert fahren würden, wäre die Kapazität der Autobahn deutlich höher als bisher. Dann würde es tatsächlich weniger Stau geben, ja.“ Das Problem, das wir derzeit aber hätten, sagt der Wissenschaftler, sei der Weg dahin.

„Zunächst haben wir einen Mischverkehr aus voll automatisierten Fahrzeugen und Fahrzeugen, die von Menschen gesteuert werden. In Untersuchungen hat man sogar festgestellt, dass die Kapazität der Autobahnen dadurch ein wenig sinken kann, vor allem wenn sich die automatisierten Fahrzeuge strikt an die Abstandsregeln der Straßenverkehrsordnung halten müssen.“

Dieser Mischverkehr könne demnach also noch ein wenig ungünstiger sein als ein komplett manueller Verkehr. Ob es aber tatsächlich so kommt, hängt Geistefeldt zufolge vor allen Dingen davon ab, welche Regeln man für automatisierte Fahrzeuge schafft.

Die Frage ist, was man von automatisierten Fahrzeugen erwartet. Denn, wenn man die fehlende Reaktionszeit herausrechnet und die viel präzisere Abstandsmessung der Fahrzeuge bedenkt, könnte man auch mit dem Mischverkehr oder dem voll automatisierten Verkehr mindestens die gleiche oder sogar eine leicht höhere Kapazität erreichen als heutzutage.“

Die wichtigsten Regeln, wenn man im Stau steht

Was aber, wenn man sich bereits im Stau befindet? Wie geht man am besten vor? Spur wechseln oder lieber warten? „Wir verhalten uns als Fahrerinnen und Fahrer im Stau anders als sonst. Wenn wir einmal stark bremsen mussten, weil wir etwa irgendwo auf einer freien Strecke in einen Stau geraten sind, mit dem wir vielleicht gar nicht gerechnet haben, verhalten wir uns durch dieses Erlebnis in der Folgezeit deutlich vorsichtiger.“

Manche Fahrerinnen und Fahrer hielten dann auf einmal sogar mehrere Hundert Meter Abstand ein, wodurch Kapazität verloren gehe und es länger dauere, bis sich der Stau wieder auflöst, sagt Geistefeldt. Das sei falsch, da sich ein Stau, der einmal entstanden ist, nicht so schnell wieder auflösen lasse.

Abrupte Bremsmanöver, sagt der Verkehrsforscher, seien dabei zum Beispiel sehr ungünstig. Ebenso wie hektische Fahrstreifenwechsel. „Das Unfaire dabei ist übrigens, dass ich die Konsequenzen von meinem Bremsmanöver gar nicht selbst zu spüren bekomme. Der Verkehr gerät meist erst zehn oder 20 Fahrzeuge weiter hinten ins Stocken.“

„Staus breiten sich auf einzelnen Fahrstreifen aus“

Aber warum geht es dann auf manchen Spuren schneller voran als auf anderen? „Staus breiten sich auf den einzelnen Fahrstreifen einer Autobahn häufig unabhängig voneinander aus. Demnach lässt es sich gar nicht vermeiden, dass ich manchmal das Gefühl habe, links und rechts geht es viel schneller“, sagt der Wissenschaftler. Die Erfahrung aber zeige, dass man sich meistens auf allen Fahrstreifen ungefähr gleich schnell vorwärts bewege.

Bei einer Fahrbahnverengung sollte man sich Geistefeldt zufolge aber am besten per Reißverschlussfahren einordnen und nicht vor der Fahrbahnverengung. „Mit dem Reißverschlussverfahren läuft der Verkehr am besten. Aber auch nur, wenn es wirklich eingehalten wird.“

Verkehr: Dickes Lob für Baustellenmanagement bei Hamburg

Im Normalfall sollte eine Fahrstreifenreduktion an Baustellen aber von vornherein vermieden werden, sagt der Verkehrsforscher. „In Hamburg ist allerdings die bestehende Kapazität einiger Autobahnen schon zu gering für die derzeitige Verkehrsnachfrage, weswegen sowohl die A7 als auch die A1 ausgebaut werden.“ Während der Bauzeit führe das zwar zu einem höheren Stauaufkommen. Das sei aber unvermeidbar.

„Was ich aber sagen kann, ist, dass bei den laufenden Baumaßnahmen in Hamburg größtenteils in vorbildlicher Weise darauf geachtet worden ist, dass man auch während der Bauzeit einen vernünftigen Verkehrszustand herstellt.“ So würden Baumaßnahmen teilweise gebündelt und relativ breite Verkehrsführungen gewählt, die zwar etwas teurer, aber dafür verkehrsfreundlicher seien. „Im Hinblick auf die Hafenwirtschaft aber auch natürlich ein ganz wesentlicher Punkt, weil die ganze Hinterlandanbindung des Hamburger Hafens ja gewährleistet sein muss.“