Hamburg. Raoul Classen, Vorsitzender von Bündnis Deutschland in Hamburg, zu Migranten, Gendern, Fleisch und Autos. Was er von CDU und AfD hält.
Beim Foto gibt es direkt das erste Problem. Wohin nur mit den Händen? „Nicht so schlaff runterhängen lassen“, sagt der Fotograf. „Die Hände einfach vor dem Körper“, ordert er. „Vielleicht die Merkel-Pose.“ Raoul Classen verzieht das Gesicht. Ganz sicher nicht, sagt er. Wegen Angela Merkels verfehlter Politik sei er schließlich wieder in die Politik zurückgekehrt. „Die CDU ist hauptverantwortlich für die negative Entwicklung Deutschlands in den vergangenen zehn bis 15 Jahren.“
Einen Tag nach seiner Wahl zum Hamburger Landesvorsitzenden der neuen Rechtspartei Bündnis Deutschland steht Raoul Classen an einer dunkelroten Backsteinwand in Altona, posiert und schlägt ganz nebenbei einen Bogen über die großen Themen dieser Tage. Die Probleme mit der „unkontrollierten Zuwanderung“, mit dem traditionellen Familienbild von Mutter, Vater, Tochter und Sohn, die Kernenergie, das Gendern, die Wehrpflicht, das Fleischessen, die doppelte Staatsbürgerschaft und das Autofahren.
Bündnis Deutschland hat Raoul Classen zum neuen Hamburg-Chef gewählt
„Es gibt auch Frauen, die gerne zu Hause sind, in der Küche das Essen zubereiten. Das finde ich legitim“, sagt Classen. „Wenn ich diese Dinge aber sage, dann bin ich sofort in der rechten Ecke. Aus meiner Sicht ist das aber nicht rechts, sondern ziemlich mittig. Man muss alle Lebensentwürfe respektieren. Viele machen das nicht – und dieser Zeitgeist ärgert mich.“
Raoul Classen (55), Harburger, Familienvater, Rechts-Konservativer – und seit diesem Sonntag Parteichef. „Ich bin ein alter weißer Mann – also das perfekte Feindbild für einige Zirkel“, sagt der frühere FDP-Funktionär, der kurz nach den Fotoaufnahmen in einem Café Platz nimmt, einen Americano bestellt und ausgerechnet im bunten Altona versucht zu erklären, warum Rechtssein doch gar nicht so schlimm sei.
Wie rechts ist die neue Rechtspartei Bündnis Deutschland?
„Es gibt eine große Verunsicherung bei uns in der Partei, ob man überhaupt noch sagen darf, dass man rechts sei“, sagt Classen. „Dabei wurde sogar Helmut Schmidt als rechts bezeichnet, Helmut Kohl hat sich selbst rechts genannt, auch Franz Josef Strauß. Das gehört doch zur Demokratie.“
Darüber kann man sicher geteilter Meinung sein. Keinen Zweifel gibt es dagegen, dass seit diesem Sonntag zur Hamburger Parteienlandschaft nun auch das Bündnis Deutschland gehört. Eine Woche zuvor hatte sich die Rechtspartei mit den Bremer Bürgern in Wut zusammengetan mit der Zielsetzung, das angebliche Vakuum zwischen der CDU und der AfD zu füllen.
Classen will sich und das Bündnis Deutschland von der AfD abgrenzen
Da ist sie also: die AfD. Hört man Classen so reden, muss man zwangsläufig an die AfD denken. „Unkontrollierte Zuwanderung“, traditionelles Familienbild, „Genderwahn“ und Schweinefleisch – alles klassische AfD-Themen eigentlich. Doch Classen, der in Harburg Trainer einer B-Jugendmannschaft ist, widerspricht im besten Fußball-Duktus: „Die AfD steht im Abseits, hat das Spiel schon vor dem Anpfiff verloren und würde auch nie ein Tor schießen.“
Der kommissarische Leiter der Fußballabteilung beim Harburger TB bedient AfD-Themen, will sich aber trotzdem abgrenzen. So würde auch jedes Neumitglied auf mögliches rechtes Gedankengut durchleuchtet, erklärt Classen, der in seinem anderen Leben Privatermittler ist. Wie das funktioniert? Classen bestellt noch einen zweiten Americano und ist nun voll im Thema. So gebe es bei der Bundespartei ein eigenes Rechercheteam, das jedes einzelne Neumitglied überprüfe. Twittereinträge würden kontrolliert, genauso wie die eigene Parteienvergangenheit. Classen spricht von Open Source Intelligence, was ein wenig nach FBI, CIA oder NSA klingt.
Hamburgs Bündnis-Chef wirbt für anderen Umgang mit der AfD
Dass trotz aller geheimdienstartigen Überprüfungen frühere AfD- oder Schillpartei-Mitglieder den Weg zum Bündnis Deutschland finden, ist für Classen kein Widerspruch. Er selbst würde sich jeden Tag irren, eine gewisse Fehlerkultur müsse man auch früheren AfDlern eingestehen. Und überhaupt, bei aller Abgrenzung zur AfD müsse man sich mit der Partei schon etwas angemessener beschäftigen, findet er. „Die AfD wird auch von Teilen der Medien unfair behandelt. Eine Partei, die im Osten mehr als 25 Prozent hat, muss man medial behandeln.“
Doch warum sich dann nicht gleich mit der AfD zusammentun? Schon jetzt sitzen mit Arniko Meinhold und Markus Scheer auch langjährige AfD-Mitglieder im Parteivorstand vom Bundesvorstand des Bündnis Deutschland. Classen schüttelt mit dem Kopf. „Ich fühle mich seit Jahren politisch heimatlos“, sagt er. Die AfD habe er nie gewählt, weil diese zu rechts sei. Die CDU und die FDP ist ihm dagegen zu sehr Mainstream. „Die CDU ist beliebig, macht Wischiwaschi-Politik“, sagt Classen.
Bündnis Deutschland will für Freiheit, Wohlstand und Sicherheit stehen
Bleibt nach dem knapp einstündigen Gespräch die Frage, wofür eigentlich das neue Bündnis Deutschland stehen soll. Classen legt ein kleines Heftchen mit zehn Seiten auf den Tisch, dazu noch einen Flyer. „Vernunft statt Ideologie“, steht auf dem Flyer. Auf beiden steht: „Freiheit. Wohlstand. Sicherheit.“
Das sind die Kernbotschaften der neuen Partei. Was sich genau dahinter verbirgt, ist noch offen. Bis zum Herbst wollen Classen und Co. ein Grundsatzprogramm erarbeiten. Was er schon jetzt sagen kann: Der Hamburger Hafen ist ihm wichtig.
„Der Hamburger Hafen verliert immer mehr im Wettbewerb zu anderen Häfen an Bedeutung. Ein Grund dafür könnte sein, dass die Hafeninfrastruktur immer maroder wird“, sagt er. Auf Nachfrage, was er konkret damit meint, antwortet er: „Wer mit offenen Augen durch den Hafen geht, der sieht schrottige Kaimauern und alte oder fehlende Gleise. Das kann doch nicht Hamburgs Aushängeschild sein.“ Und dann kommt da wieder die Analogie zum Fußball: „Hamburg und Deutschland sind in den vergangenen fünf bis acht Jahren schlechter geworden. Das sieht man im Übrigen auch bei der Nationalmannschaft.“
Fußball ist neben der Politik Classens zweite große Leidenschaft. Zunächst sei er früher gerne zum HSV gegangen, doch dann wären Mitte der Achtziger zu viele Nazis und Skinheads in der Westkurve gewesen. Dann hatte er seine neue fußballerische Heimat beim FC St. Pauli gefunden, ist fast zu jedem Heimspiel gegangen und war sogar oft bei Auswärtsspielen. Doch dann ginge es bei dem Fußballverein auch nur noch um Politik und diese habe – vorsichtig formuliert – nicht immer zu seinen Ansichten gepasst.
Classen hat wegen der Abschaffung der Wehrpflicht mit der FDP gebrochen
Wenn man so will, dann kann man Classens wechselhafte Fußballbiografie auch auf seine politische Karriere übertragen. So war er zunächst relativ lange in der FDP und habe dort sogar eher eine sozialliberale Haltung vertreten, wie Weggefährten von früher zu berichten wissen. Als die FDP sich dann gegen eine Wehrpflicht stark gemacht hat, ist der frühere Falschschirmspringer und Berufssoldat ausgetreten. 2014 versuchte er es bei den Neuen Liberalen, die bei der Bürgerschaftswahl 2015 aber lediglich 0,5 Prozent der Stimmen erhielten. Und nun also das Bündnis Deutschland.
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Am Sonntag habe er eine tolle Aufbruchstimmung gespürt. Alle seien engagiert und voller Tatendrang. „Wir wollen im kommenden Jahr in einigen Bezirken bei der Bezirkswahl antreten, dazu 2025 bei der Europawahl und die Bürgerschaftswahl 2025 haben wir auch schon im Blick“, sagt Classen. „Wir wollen bis dahin kampagnenfähig sein.“
Bündnis Deutschland: In Hamburgs Landesverband gibt es nur zwei Frauen
Dass im Hamburger Landesverband lediglich zwei Frauen sind, sei natürlich irgendwie typisch. Und wieder spricht Classen von den weißen, alten Männern – und freut sich über die Selbstironie. Mit einer Quote könne er jedenfalls nichts anfangen – genauso wenig wie mit Gendersternchen oder Fahrraddemos. Das wird man doch wohl noch mal sagen dürfen, sagt Classen zwar nicht. Könnte sich aber genau das denken. Und die Gedanken sind ja bekanntlich frei.