Hamburg. Widerspruchslösung: Nur wer sich weigert, kommt in ein Online-Register. Hinter der Organspende-Initiative stecken traurige Zahlen.
„OD“ steht auf der Brust. Bleibt dort, ein Leben lang – und wird mit dem Tod erst richtig bedeutsam. „Organ Donor“, Organspender, haben sich überlegt, ein Organspende-Tattoo zu entwickeln, das sich leicht und schnell stechen lässt und sich auch im sprichwörtlichen Sinne sehen lassen kann. Die Tinte für dieses Bekenntnis auf der Brust symbolisiert die Unterschrift unter einen besonderen Vertrag. Er regelt, dass die so Tätowierten bereit sind, über den Tod hinaus besonders Kranken zu helfen, die auf ein Spenderorgan warten.
Wenn nur ein Bruchteil der Körperbemalungsanhänger in Hamburg Herz. Leber, Niere oder Lunge tatsächlich spenden würde, wäre viel geschafft. Denn in Deutschland trägt rund jeder Vierte ein Tattoo – während die Zahl der Organspenden sogar abnimmt. Dabei werden die orange-blau-weißen Organspendeausweise offenbar immer beliebter
Organspende in Hamburg: Ernüchternde Zahlen
Diese negative Entwicklung – sie ist nicht auf die Corona-Pandemie zurückzuführen – hat Politikerinnen und Politiker sowie Experten und die Ärzteschaft zu weitreichenden, einschneidenden Vorstößen veranlasst. Rund um den Tag der Organspende (3. Juni) regt sich was in der einstigen Transplantations-Hochburg Hamburg. Denn die Lage für die Betroffenen verschlechtert sich mit jedem Tag. 190 Menschen warten nach Zahlen von Eurotransplant in Hamburg auf ein Spenderorgan, neun mehr als im vergangenen Jahr, 19 mehr als 2021.
Für Ärzte ist diese Liste ein Trauerspiel, denn die Bereitschaft zur Organspende ist eigentlich hoch. Nach einer Forsa-Umfrage der Techniker Krankenkasse stehen in Norddeutschland 88 Prozent der Befragten einer Organspende positiv gegenüber. Nur 54 Prozent besitzt einen Organspendeausweis – und erheblich weniger kommen überhaupt für eine Spende nach dem Tod infrage. Die Deutsche Stiftung Organtransplantation zählte 2022 nur noch 28 tatsächliche Spender in Hamburg, fast eine Halbierung in zwei Jahren.
Eurotransplant: Nur Deutschland ohne Widerspruchslösung
Die Grünen-Bürgerschaftsabgeordnete Dr. Gudrun Schittek, selbst Ärztin, hat mit Kolleginnen und Kollegen aus allen Fraktionen (außer AfD) mehrere Vorstöße gemacht. So unterzeichneten 58 Abgeordnete von SPD, Grünen, CDU und Linken einen offenen Brief an den Bundestag, in dem ein neuer Anlauf für die Widerspruchslösung gefordert wird. Sie meint, dass quasi jeder Verstorbene als Organspender in Frage kommt, es sei denn, er hat sich zu Lebzeiten klar dagegen ausgesprochen. Deutschland ist das einzige Land des Verbundes Eurotransplant, in dem das nicht gilt.
Vor drei Jahren konnte sich der Bundestag nicht auf eine Widerspruchslösung verständigen. Schittek sagte im Gespräch mit dem Abendblatt, die Abgeordneten hätten sich erneut Expertise aus dem UKE geholt und unter anderem mit Prof. Stefan Kluge (Intensivmedizin) sowie den Transplantationsexperten Dr. Florian Grahammer und Dr. Gerold Söffker ihr Vorgehen besprochen. „Wir müssen die Bedingungen für die Organspende in Hamburg verbessern“, so Schittek. Dabei stehe oft eine – ansonsten sinnvolle – Patientenverfügung im Wege. Wenn dort stehe, dass ein Patient keine lebensverlängernden Maßnahmen wolle, dann heiße das zumeist: Eine Organspende wird unmöglich. Denn man muss im Krankenhaus oft Zeit überbrücken, um die Organentnahme vorzubereiten. Ärzte sind an die Patientenverfügung gebunden.
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Wie Patientenverfügungen Organspenden behindern
Schittek sagte, man sei im Gespräch mit Ärztekammer, Notarkammer und der Verbraucherzentrale, um die Regelungen in den Patientenverfügungen neu zu gestalten. Und: Möglich sei der Aufbau eines Online-Widerspruchregisters, in das Ärzte schauen können, um zu checken: Hat sich ein Verstorbener gegen eine Organspende entschieden?
In einem weiteren Vorstoß bringen SPD und Grüne am Mittwoch einen Antrag in die Bürgerschaft, der den Aufbau eines Organspende-Registers vorsieht. Krankenkassen und Meldeämter sollen eingebunden werden. SPD-Gesundheitspolitikerin Claudia Loss betonte, dass es im Fall der Fälle um „schnellere Entscheidungen“ gehe.
UKE-Intensivchef Kluge bezeichnete es als „deprimierend“, dass im europäischen Vergleich in Deutschland häufiger Menschen auf den Wartelisten versterben. Er twitterte: Es gebe zwar eine große Organspendebereitschaft. Bei den Angehörigen sei jedoch zu sehen: „Im Gespräch auf den Intensivstationen wird aber dann doch oft eine Organspende abgelehnt.“