Hamburg. Ex-Grünen-Politiker übernimmt vor Gericht Verantwortung für fast alle Anklagepunkte. Mit Folgen – auch auf Hamburgs Justizsenatorin.

Der ganze Auftritt dauerte nicht mal eine Viertelstunde. Aber es dürften mit die wichtigsten Minuten im Leben des Michael Osterburg gewesen sein. Denn mit seinem weitgehenden Geständnis im Untreue-Prozess vor dem Landgericht hat der frühere Fraktionsvorsitzende der Grünen in Hamburg-Mitte seine Chancen, um eine Haftstrafe herumzukommen, deutlich erhöht.

Auch seine frühere Lebensgefährtin, Justizsenatorin Anna Gallina (Grüne), dürfte angesichts der neuen Einlassung Osterburgs aufgeatmet haben. Denn eine unangenehme Befragung im Zeugenstand dazu, was sie von den Machenschaften ihres einstigen Partners und Vaters der gemeinsamen Tochter mitbekommen hat, könnte ihr nunmehr erspart bleiben.

Michael Osterburg lässt durch Anwalt verkünden: Ich räume die Vorwürfe ein

Doch der Reihe nach. Nachdem die geplante Verhandlung am Montag wegen der Erkrankung eines Schöffen abgesagt werden musste, tat sich auch am Mittwochmorgen erst einmal – nichts. Der Andrang vor den Sicherheitsschleusen des Strafjustizgebäudes war wegen anderer Verhandlungen so groß, dass auch der Angeklagte nur mit Verspätung hineinkam.

Danach verging eine weitere halbe Stunde, weil angeblich ein Schöffe im Stau stand – das Riesenfestival Online Marketing Rockstars (OMR) in den benachbarten Messehallen ließ grüßen. Als der Vorsitzende Richter André Hienzsch die Verhandlung um kurz nach 10 Uhr eröffnete, kam er aber sofort zur Sache.

Ausnahmen gelten für die Anschaffung von Computern und Milchaufschäumern

Es stehe eine weitere Erklärung des Angeklagten im Raum, ob da „etwas im Busche“ sei?, fragte er dessen Rechtsanwalt Nils Fock. Was dieser bejahte und im Namen seines Mandanten klarstellte: „Die Vorwürfe“, dann folgte eine Liste mit Anklagepunkten, „räume ich ein.“

Ausnahmen würden aber für neun Vorwürfe gelten, und zwar: die Anschaffung von Mac minis, MacBooks, Milchaufschäumern, einer Laptoptasche, einem Drucker, einem Dreibeinstativ, einem Wasserkocher, Maler-utensilien und Aufklebern, so Fock. Der schloss in Osterburgs Namen mit den folgenden Worten: „Ich übernehme die Verantwortung für mein Handeln und stehe zu meiner Schuld.“

Richter will wissen: Ist das nun ein komplettes Geständnis?

Richter Hienzsch hakte nach: Ob das nun als komplettes Geständnis mit Ausnahme der technischen Geräte zu verstehen sei? „Ja“, so Anwalt Fock. Auch diese anderen Dinge seien zwar wie in der Anklage formuliert gekauft worden, aber dort habe es einen Bezug zur Fraktionsarbeit gegeben, deutete der Anwalt unter Verweis auf frühere Aussagen Osterburgs an. Weitere Angaben machte er dazu nicht.

Der Richter fragte allerdings auch vorerst nicht weiter nach. Man müsse die erweiterte Einlassung nun erst mal genau prüfen und sehe sich dann am Freitag wieder, so Hienzsch. Offen blieb, ob dann schon ein Urteil verkündet wird oder weitere Verhandlungstage folgen werden.

Spannende Frage: Wie wertet das Gericht Osterburgs neue Erklärung?

In einem Verständigungsgespräch im Vorfeld der Hauptverhandlung hatte der Vorsitzende Richter nach eigenen Angaben deutlich gemacht, dass für ihn eine Geldstrafe nur „schwer darstellbar“ erscheine. Auch eine Bewährungsstrafe von bis zu zwei Jahren komme für ihn nur in Betracht, wenn der Angeklagte ein vollumfängliches Geständnis ablege.

Die spannende Frage ist nun, inwiefern das Gericht die Aussage vom Mittwoch als so ein „vollumfängliches Geständnis“ wertet – oder ob ihm die Ausnahmen etwas zu weit gehen. Denn allein bei den hochwertigen Apple-Computern geht es um Ausgaben von mehreren Tausend Euro.

Osterburg soll knapp 33.000 Euro aus der Fraktionskasse veruntreut haben

Der einst einflussreiche Politiker Osterburg, der seit 2019 politisch nicht mehr aktiv ist und inzwischen auch nicht mehr den Grünen angehört, ist der gewerbsmäßigen Untreue in 121 Fällen angeklagt, teils in Tateinheit mit Betrug und Urkundenfälschung. Knapp 33.000 Euro soll sich der 55-Jährige laut Anklage zwischen 2015 und 2019 aus der Fraktionskasse zu Unrecht erstatten lassen haben. Die Ermittlungen hatte die 2019 neu gewählte Bezirksfraktion angestoßen, nachdem ihr Unregelmäßigkeiten aufgefallen waren.

Justizsenatorin Anna Gallina (Grüne) war mehrere Jahre mit Michael Osterburg liiert. Das Paar hat eine gemeinsame Tochter, ist aber seit 2019 getrennt.
Justizsenatorin Anna Gallina (Grüne) war mehrere Jahre mit Michael Osterburg liiert. Das Paar hat eine gemeinsame Tochter, ist aber seit 2019 getrennt. © dpa | Marcus Brandt

Unter anderem ging es dabei um diverse Restaurantbesuche, die Osterburg über die Fraktion abgerechnet hatte, bei denen aber nicht die auf den Belegen genannten Personen – unter anderem viele Senatsmitglieder – anwesend waren, wie der Angeklagte zu Beginn der Verhandlung eingeräumt hatte. Mit wem er wirklich essen war, wollte er aber nicht preisgeben, sein Anwalt verwies nur auf „Tippgeber“.

Anna Gallina hatte sich für Hummer-Essen auf Malta entschuldigt

Zweitens wirft die Anklage ihm vor, mehr als 9000 Euro aus Fraktionsmitteln für Kinderbetreuungskosten verwendet zu haben. Die 33 Jahre alte Kinderfrau sagte im Prozess aus, dass sie deutlich weniger erhalten und es ihres Wissens auch keine weiteren Betreuungspersonen gegeben habe. Nur die Großmutter sei zuweilen eingesprungen. Auch hier hatte Osterburg eingeräumt, dass das Geld nicht allein für eine Kinderbetreuerin ausgegeben worden war, aber die wahre Verwendung nicht enthüllt.

Besonders viel Wirbel hatte ein „Hummer-Essen“ für 250 Euro im Zuge eines Besuchs bei Flüchtlingshelfern auf Malta ausgelöst, bei dem 2017 auch Anna Gallina anwesend war und für das sie sich später entschuldigt hatte: „Ich habe Verständnis dafür, dass ein solches Essen Irritationen und Empörung bei den Menschen hervorruft.“ Sie selbst esse aber gar keinen Hummer.

Brisant: Im Vorfeld des Prozesses war die 39-Jährige von der Staatsanwaltschaft befragt worden, deren Vorgesetzte sie seit ihrem Amtsantritt 2020 ist. Weil sich aber „kein zureichend tatsächlicher Anhaltspunkt“ für eine strafrelevante Beteiligung ergeben habe, sollte die Justizsenatorin vorerst nicht als Zeugin gehört werden – dabei dürfte es angesichts der neuen Sachlage nun bleiben.