Hamburg. Im Streit um einen PUA zu den NSU-Morden solidarisierte sich die Grüne Miriam Block mit der Opposition. Nun drohen ihr Konsequenzen.

  • Die Koalition zwischen SPD und Grünen schrammte nur knapp an einem Koalitionsbruch vorbei
  • Grund dafür war ein Antrag der Linken bezüglich der Aufarbeitung der NSU-Morde
  • Die Grünen-Politikerin Miriam Block solidarisierte sich mit der Opposition
  • Jetzt drohen ihr ernste Konsequenzen

So kurz vor dem Scheitern war das rot-grüne Rathaus-Bündnis in den acht Jahren seines Bestehens vermutlich noch nie: Am Donnerstag der vergangenen Woche lehnte die Bürgerschaft in namentlicher Abstimmung den Antrag der Linken-Fraktion ab, einen Parlamentarischen Untersuchungsausschuss (PUA) zu den Aktivitäten der rechtsextremistischen Terrorgruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) in Hamburg einzurichten.

Krise in Hamburg: SPD hat Grüne vor Koalitionsbruch gewarnt

Die Grünen, die einen PUA stets wollten, sich aber gegenüber dem Koalitionspartner SPD nicht durchsetzen konnten, waren in einer Zwickmühle. Mehrere ihrer 33 Abgeordneten hatten zu erkennen gegeben, dass sie sich in der moralischen und politischen Pflicht sähen, dem Linken-Antrag zuzustimmen.

Jennifer Jasberg und Dominik Lorenzen, die beiden Fraktionsvorsitzenden der Grünen, hatten in den internen Sitzungen zuvor eindringlich davor gewarnt, mit der Opposition zu stimmen. Das Signal der SPD war eindeutig gewesen: Wenn mehrere Abgeordnete aus der gemeinsamen Koalitionslinie ausscheren, bedeutet das den Koalitionsbruch.

Es ist das eherne, nicht zuletzt machterhaltende Prinzip jedes Regierungsbündnisses, nicht mit wechselnden Mehrheiten abzustimmen. Im Hamburger Fall ist das auf Seite 201 des rot-grünen Koalitionsvertrages von 2020 nachzulesen.

Koalitionskrise: Drei Grünen-Abgeordnete verließen Plenarsaal vor der Abstimmung

Die Nerven waren also angespannt bei etlichen Akteuren. Die Sache ist letztlich gerade noch mal gut gegangen: Mit der Wissenschaftspolitikerin Miriam Block stimmte bekanntlich nur eine Grüne für den Linken-Antrag. Aber: Drei Grünen-Abgeordnete verließen nach Abendblatt-Informationen den Plenarsaal vor der Abstimmung, zwei weitere hatten sich für den Tag krankgemeldet. Ein stiller Protest gewissermaßen. Eine gewisse Erleichterung machte sich dennoch erst einmal im rot-grünen Lager breit.

Aber: Für die Grünen, allemal für die grüne Fraktionsspitze, ist der Konflikt nicht ausgestanden. Nach dem Willen von Jasberg und Lorenzen sollen die grünen Abgeordneten am Montag beschließen, Miriam Block von allen Ämtern abzuberufen, weil sie mit ihrem Abstimmungsverhalten der Koalition „schweren Schaden“ zugefügt habe.

Es geht um Blocks Posten als wissenschaftspolitische Sprecherin sowie ihre Mitgliedschaft im Wissenschafts- und Innenausschuss. Bemerkenswert ist, dass sich der Fraktionsvorstand ausdrücklich auf die Unterstützung der grünen Senatsmitglieder und des Landesvorstandes beruft, wo es doch um eine rein fraktionsinterne Personalie geht.

Abweichlerin Miriam Block soll ihre Ämter verlieren – Mehrheit nicht sicher

Für die Sanktionierung der 33-Jährigen ist eine einfache Mehrheit der Abgeordneten erforderlich. Der Druck von außen auf die Fraktion ist groß. Motto: Eine Abgeordnete, die ihrem Gewissen gefolgt ist, dürfe nicht bestraft werden.

So kursiert inzwischen sogar ein Offener Brief mit dem Aufruf „Miriam Block muss bleiben!“. Studierende und wissenschaftliches Personal von Hochschulen aus Hamburg, aber auch aus dem ganzen Bundesgebiet fordern darin, die junge Abgeordnete müsse eine „prägende Stimme in der Wissenschaftspolitik bleiben“.Die Unterzeichner und Unterzeichnerinnen des Briefes sprechen sich „entschieden“ gegen ihre Abberufung aus und rufen die Fraktionsführung der Grünen dazu auf, „sofort von ihrem Vorhaben Abstand zu nehmen, sowie die Fraktionsmitglieder, dem nicht zuzustimmen“.

Miriam Block: Absetzung ist unsicher

„Es ist nicht vermittelbar, weshalb eine Abgeordnete, die zudem nach Grünen Beschlusslage gehandelt hat, aus sachfremden Gründen ihre wissenschaftspolitische Rolle verlieren sollte“, heißt es in dem Brief. „Besonnene Wissenschaftspolitik wird dringend benötigt. Dafür steht Miriam Block seit langem und seit drei Jahren auch insbesondere in der Hamburgischen Bürgerschaft.“

Angesichts der tief zerstrittenen, um nicht zu sagen, gespaltenen Grünen-Fraktion ist nicht sicher, ob es am Montag eine Mehrheit für die Abberufung Blocks von ihren Ämtern und die Rückstufung zur einfachen Abgeordneten gibt. Dazu später mehr.

Zunächst lohnt der Blick darauf, wie schlechtes Management, der Druck der grünen Basis und persönliche Unverträglichkeiten im rot-grünen Bündnis das Regierungsschiff einmal mehr heftig ins Schlingern gebracht haben. Und das bei einer zwar sehr relevanten, aber angesichts der aktuellen politischen Agenda eben doch eher nachrangigen Frage: SPD und Grüne sind nicht bei einem der großen Themen wie Klimaschutz oder Mobilitätswende aneinandergeraten.

Um nicht missverstanden zu werden: Die Hintergründe für den Mord an dem Altonaer Gemüsehändler Süleyman Tasköprü, die im Zentrum des PUA stehen sollten, sind nicht aufgeklärt, es gibt viele offene Fragen. Aber die Tat, zu der sich der NSU bekannt hat, liegt fast 22 Jahre zurück.

Koalitionskrise: Der Beschluss der Grünen ignorierte den Koalitionsvertrag

Eigentlich war der Fall PUA NSU für die rot-grüne Koalition längst entschieden. Die SPD hatte ein solches Gremium bereits in den Koalitionsverhandlungen 2020 (wie auch schon 2015) unter anderem mit dem Hinweis auf das schwindende Erinnerungsvermögen vieler Zeugen abgelehnt.

Entsprechend heißt es im Koalitionsvertrag lediglich: „Der Mord an Süleyman Tasköprü wirft bis heute Fragen auf und hat Narben in unserer Stadt hinterlassen. Die Koalitionspartner betrachten es daher als bleibende Verpflichtung, auf allen Ebenen die Sensibilität für rassistische und menschenfeindliche Haltungen zu stärken und ihr mit größtmöglicher Anstrengung entgegenzutreten.“ Von einem Untersuchungsausschuss ist nicht die Rede.

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Ende Mai 2021 beschloss dann die Landesmitgliederversammlung der Grünen, den Koalitionsvertrag zu ignorieren. In dem Beschluss wird die Notwendigkeit eines PUA erneut betont, ergänzt um den Hinweis, dass die Grünen „unseren Koalitionspartner leider nicht für dieses wichtige Anliegen gewinnen“ konnten. Und weiter: „Das sollte uns aber nicht davon abhalten, bei der parlamentarischen Arbeit und Aufklärung weiterhin dafür zu kämpfen.“ Eine kaum verhüllte Drohung.

Die Fraktionsvorsitzenden von SPD und Grünen gerieten hart aneinander

Um den absehbaren Konflikt zu entschärfen, kam in der SPD vor einigen Wochen die Idee auf, das Thema Rechtsextremismus und rechte Netzwerke wissenschaftlich aufarbeiten zu lassen, so wie es beim Thema Radikalenerlass schon einmal erfolgreich geschehen war. Die Gespräche zwischen SPD und Grünen zur Ausgestaltung der Idee liefen bereits, als Jennifer Jasberg den verdutzten Sozialdemokraten plötzlich einen 26 Seiten umfassenden Antragsentwurf für die Einsetzung eines PUA NSU präsentierte.

„Als Fraktion sind wir grundsätzlich der Auffassung, dass es eine stärkere Untersuchung von Kontinuitäten rechten Terrors in Hamburg braucht“, sagte Jasberg im Abendblatt. In Mecklenburg-Vorpommern und Bayern liefen schon die zweiten Untersuchungsausschüsse, „während Hamburg in Sachen Aufklärung beschämend hinterherhinkt“. Es sei „erschütternd, dass es hier seit vielen Jahren vehemente Ablehnung zur Einsetzung eines PUAs seitens der SPD und CDU gibt“.

Der NSU-Mord an Süleyman Tasköprü liegt mehr als 20 Jahre zurück

Der Konter folgte prompt. „Die SPD-Fraktion weist die Vorgehensweise und unhaltbaren Vorwürfe von Jennifer Jasberg aufs Schärfste zurück. Es ist unsachlich und nicht hilfreich, dass die grüne Fraktionsvorsitzende ohne Rücksicht auf die Angehörigen der Opfer des NSU Stimmung macht“, empörte sich SPD-Fraktionschef Dirk Kienscherf. Ein PUA sei ungeeignet, mehr als 20 Jahre nach der Tat für Aufklärung zu sorgen.

Der Eklat war da, und nur eine Krisensitzung der rot-grünen Spitzen noch am gleichen Abend konnte Schlimmeres verhüten. Letztlich gelang dann doch die Einigung auf einen gemeinsamen Antrag zur Einsetzung einer wissenschaftlichen Evaluierung des Rechtsextremismus mit parlamentarischer Begleitung. Jasberg kann sogar für sich verbuchen, mit ihrem forschen Auftritt in der Sache etwas erreicht zu haben, wenn auch keinen PUA.

Koalitionskrise: Vertrauensverhältnis zwischen Jasberg und Kienscherf dahin?

Dennoch wird die sehr emotionale Auseinandersetzung Beschädigungen hinterlassen. Das Vertrauensverhältnis zwischen Jasberg und Kienscherf, die ohnehin nicht besonders gut miteinander können, dürfte dahin sein. Längst vorbei die Zeiten, als die beiden Fraktionsvorsitzenden Andreas Dressel (SPD) und Anjes Tjarks (Grüne), auch das „A-Team“ genannt, für Stabilität und erfolgreiches Krisenmanagement im Bündnis sorgten. Für die SPD stellt sich insgesamt die Frage, wie verlässlich die Koalitionspartner von den Grünen noch sind.

Schwer beschädigt ist auch das ohnehin belastete Binnenverhältnis der Grünen-Fraktion. Jasberg und Lorenzen mussten mit dem Antrag auf Bestrafung von Miriam Block reagieren, um zu verhindern, dass ihr Beispiel Schule macht, und um der SPD ein Signal der Verlässlichkeit zu senden. Wenn sich die Fraktionsspitze am Montag nicht durchsetzen sollte, könnte es eng werden.

Grüne Hamburg: Bei der Wahl vor einem Jahr erhielt Jasberg nur 20 Stimmen

Bei der Wahl zum Fraktionsvorstand vor einem Jahr erhielt Jasberg nur 20 Stimmen, und Lorenzen kam sogar nur auf 18 Stimmen – beide ohne Gegenkandidaten. Die kurzzeitig erwogene Option, Block sogar aus der Fraktion auszuschließen, wurde schnell fallengelassen. Dafür wäre nach der Geschäftsordnung der Grünen-Fraktion sogar eine Dreiviertel-Mehrheit nötig.

Und die scheint die Fraktionsspitze im Zweifel nicht zu haben.