Hamburg. Fraktion spricht von „staatlichem Totalversagen“ in der Hansestadt. Angehörige der Opfer verdienten eine umfassende Aufklärung

Sie sprechen von einem „staatlichen Totalversagen“ in der Hansestadt und fordern erneut eine umfassende Aufklärung: Die Abgeordneten der Linken-Fraktion beantragen zur Bürgerschaftssitzung am 13. April die Einrichtung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses (PUA) zu den Aktivitäten der rechtsextremistischen Terrorgruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) in Hamburg. Für einen solchen PUA hatten sich die Linken schon 2015 und 2018 eingesetzt – ohne Erfolg.

Lockerlassen will die Fraktion nicht, im Gegenteil. „Es ist ein Schlag ins Gesicht aller Opfer rechter Gewalt, dass Hamburg als einziges Bundesland, in dem der NSU gemordet hat, bis heute einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss verweigert“, sagt der Linken-Abgeordnete Deniz Celik. „Wir sind es den Opfern rechter Gewalt und deren Angehörigen schuldig, ihre Fragen zu beantworten und verloren gegangenes Vertrauen zurückzugewinnen.“

Bürgerschaft entschuldigte sich bei Angehörigen

In Hamburg geht es um den Fall von Süleyman Tasköprü. Der 31 Jahre alte Gemüsehändler aus Altona war am 27. Juni 2001 im Laden seines Vaters mit drei Schüssen regelrecht hingerichtet worden. Nachdem lange im persönlichen Umfeld des Opfers ermittelt und sogar angebliche Kontakte zum Rotlichtmilieu untersucht worden waren, kam erst 2011 heraus, dass der NSU für den Mord verantwortlich war – ebenso wie für acht weitere Morde an Menschen mit Migrationshintergrund.

Im Juni 2018 verabschiedete die Bürgerschaft mit großer Mehrheit eine Resolution, in der das Landesparlament den Angehörigen von Süleyman Tasköprü Mitgefühl und Beileid für den erlittenen Verlust aussprach und das Leid bedauerte, dass die Angehörigen „durch die mit einem falschen Verdacht geführten Ermittlungen erfahren“ hätten.

Linke sieht „staatliches Totalversagen“

Deniz Celik von den Linken sagt: „In Hamburg hat es ein staatliches Totalversagen gegeben – und zwar zweimal: bei den Ermittlungen zum Mord an Taşköprü und dann erneut durch die verweigerte Aufklärung.“ Wenn der Senat behaupte, es sei alles aufgearbeitet, sei das eine „glatte Lüge“, so Celik. „Es gibt zahlreiche gewichtige offene Fragen.“ Welche das aus Sicht der Linken sind, hat die Fraktion in ihrem 20-seitigen Bürgerschaftsantrag aufgelistet.

Grünen-Fraktionschefin Jennifer Jasberg erklärte am Donnerstag auf Abendblatt-Anfrage, ihre Fraktion habe sich den Linken-Antrag noch nicht genauer ansehen können. Aber: „Als Fraktion sind wir grundsätzlich der Auffassung, dass es eine stärkere Untersuchung von Kontinuitäten rechten Terrors in Hamburg braucht.“ Das hätten die Grünen 2021 mit einem Parteitagsbeschluss bekräftigt. „Auffällig ist in jedem Fall, dass in Bundesländern wie Mecklenburg-Vorpommern und Bayern zum NSU bereits schon die zweiten Untersuchungsausschüsse laufen, während Hamburg in Sachen Aufklärung beschämend hinterherhinkt“, sagt Jasberg.

Grüne: Bisherige Ablehnung eines PUA „erschütternd“

Eine abschließende und öffentlich nachvollziehbare Bewertung der Hamburger Taten und Vernetzungen des NSU sei daher „aktuell nicht möglich“, so Jasberg. „Dass es bisher keine parlamentarischen Mehrheiten für eine konsequente Aufklärung gegeben hat, bedauere ich. Es ist erschütternd, dass es hier seit vielen Jahren eine vehemente Ablehnung zur Einsetzung eines PUAs seitens der SPD und CDU gibt.“

Ob es in dieser Frage „perspektivisch Bewegung geben“ könne, klärten die Grünen derzeit in „vertrauensvollen Gesprächen“ mit ihrem Koalitionspartner, der SPD. „Klar ist: Das Thema NSU und Gefährdung durch rechten Terror muss in unserem Fokus bleiben, alleine schon aus Respekt vor den Angehörigen der Opfer und Menschen, die sich in unserer Stadt um ihre Sicherheit sorgen“, sagte Jasberg.

SPD: Darstellung der Grünen „unsachlich und nicht hilfreich“

SPD-Fraktionschef Dirk Kienscherf zeigte sich am Donnerstag verärgert. Seine Fraktion weise die „Vorgehensweise und unhaltbaren Vorwürfe von Jennifer Jasberg auf das Schärfste zurück“, sagte er. „Es ist unsachlich und nicht hilfreich, dass die grüne Fraktionsvorsitzende ohne Rücksicht auf die Angehörigen der Opfer des NSU Stimmung macht“, so Kienscherf. „Ein PUA ist ein parlamentarisches Kontrollgremium, in dem die parteipolitische Aufarbeitung im Fokus steht. Deshalb halten wir diese Instanz für ungeeignet, 20 Jahre nach der Tat für Aufklärung zu sorgen.“

Die Anfang des Jahrtausends in den Sicherheitsbehörden tätigen Personen seien mittlerweile nicht mehr im Dienst; die polizeilichen Strukturen und gesetzlichen Grundlagen hätten sich verändert. „Die Zeug:innen, die noch helfen könnten, offene Fragen zu beantworten, haben sich bislang in Schweigen gehüllt“, sagte Kienscherf. „Es ist leider nicht davon auszugehen, dass dies bei einem PUA in Hamburg anders wäre.“

Die Grünen hätten in der Vergangenheit immer gegen einen PUA gestimmt, sagte Kienscherf. „Jetzt den falschen Eindruck zu erwecken, die SPD verhindere eine Aufarbeitung der NSU-Taten in Hamburg – obwohl diese bereits im parlamentarischen Kontrollgremium (PKA) in 15 Sitzungen und im Innenausschuss der Bürgerschaft mit zehn Sitzungen unter Beteiligung der Grünen-Fraktion umfassend vorgenommen worden ist –, lässt tief blicken“, erklärte der SPD-Fraktionschef. „Vertrauensvolle Gespräche und falsche Schuldzuweisungen schließen sich nach unserem Verständnis aus.“

Das Hamburger Bündnis gegen Rechts kündigte auf Twitter für Donnerstagabend ein Streitgespräch zu der Forderung nach einem PUA an. Auf dem Podium sitzen sollen neben Deniz Celik von den Linken auch der SPD-Abgeordnete Kazim Abaci und Jennifer Jasberg, Fraktionsvorsitzende der Grünen.