Hamburg. Aktivisten kündigen ab Dienstag massiven Protest an. Die Methode stößt auf Empörung. Hamburger Polizei bereitet sich „intensiv“ vor.

Wie weit werden die Klimaaktivisten der „Letzten Generation“ diese Woche gehen? Werden sie ihre Drohung, Hamburg lahmzulegen, wahr machen? Wird es bei Straßenblockaden und dem Beschmieren von Gebäuden bleiben oder planen sie womöglich Größeres? Die Hamburger Polizei bereitet sich jedenfalls „intensiv“ auf entsprechende Aktionen vor und wird „bei etwaigen Straftaten in Verbindung mit den angedrohten Störungen konsequent“ einschreiten.“ Das verkündete Innensenator Andy Grote (SPD).

In einem Schreiben an den Senat und die Bürgerschaft hatten die Aktivisten unter anderem Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) dazu aufgerufen, ihnen „öffentliche Unterstützung zur Etablierung eines Gesellschaftsrats Klima für Deutschland “ zuzusichern. Sollten sie bis zum 13. März keine Antwort auf ihre Forderung erhalten, werde sie „gegen den aktuellen Kurs Widerstand leisten“ und für eine „maximale Störung der öffentlichen Ordnung sorgen“.

Letzte Generation: Klimaaktivisten drohen, Hamburg lahm zu legen

Der geforderte Gesellschaftsrat solle auf dem Instrument des Bürgerrats aufbauen und aus gelosten Mitgliedern bestehen. In einem definierten Zeitraum sollen konkrete Schritte erarbeitet werden, wie Deutschland bis 2030 emissionsfrei werden kann. Der Rat soll eine „ehrliche gesellschaftliche Debatte anregen, wie Lösungen gefunden werden können“ – zum Beispiel bei den Themen Erneuerbare Energien oder der Landwirtschaft. Zudem soll die Bundesregierung „öffentlich versprechen, dass sie die Empfehlungen des Gesellschaftsrats umsetzen wird.“

Die Methode der Klimaaktivisten stieß in der Politik auf Empörung: Bürgermeister Tschentscher hält das Vorgehen für nicht vertretbar, Gespräche oder gar Vereinbarungen mit den Initiatoren seien ausgeschlossen. Der Brief wurde an die Sicherheitsbehörden weitergeleitet. CDU-Fraktionsvorsitzender Dennis Thering beschreibt die Methode als „Erpressung“ und sagt der Letzten Generation ein gefährliches Demokratieverständnis nach.

Mitglieder sprechen trotzdem von friedlichem Protest

Lea-Maria Rhein, Sprecherin der Letzten Generation in Hamburg, widerspricht: „Wir sehen das Ganze nicht als Erpressung ist, weil wir keine Gewalt androhen. Friedliche, gewaltfreie Proteste waren für uns immer an oberster Stelle“. Zudem sei das Ziel des Protests eine lebenswerte Welt für alle – und nicht nur ein „persönlicher Mehrwert“, erklärte sie gegenüber dem Abendblatt. Zu den genauen Protest-Plänen in dieser Woche wollte sie sich nicht äußern.

Die Straßenblockaden der Letzten Generation hatten in Hamburg bereits zu Auseinandersetzungen geführt: Die Klimaaktivisten wurden von genervten Verkehrsteilnehmern von der Straße gezerrt, ein Mann schubste einen klebenden Demonstranten. Kurzvideos der Vorfälle kursieren auf Social Media-Plattformen, viele Menschen kommentieren die Beiträge: Das Thema polarisiert.

Auf die Frage, ob die Art der Proteste nicht einige Menschen für das Thema verprelle, hat Rhein eine klare Antwort: „Ich finde, es muss keine Mehrheiten für Klimagerechtigkeit geben.“ Es sei wissenschaftlich erwiesen, was getan werden muss – und was passieren werde, wenn zu wenig geschieht. „Es sollte selbstverständlich sein, dass wir nach wissenschaftlichen Erkenntnissen handeln,“ so Rhein.

Der Brief erntet auch bei den Grünen in Hamburg viel Kritik

Die zweite Bürgermeisterin, Katharina Fegebank (Grüne), fand den Brief „völlig daneben“, sagte sie der „Mopo“ und warnte vor einer Spaltung der Gesellschaft. Die Fraktionsvorsitzende der Hamburger Grünen, Jennifer Jasberg bezeichnete das Anliegen der Gruppe als „grundsätzlich durchaus legitim“, fügte aber hinzu: „Offene Briefe mit Drohungen sind keine Art und Weise, miteinander in Austausch zu kommen.“ Indirekt machte Jasberg der Gruppe gegenüber dem Abendblatt ein Gesprächsangebot: „Generell lehnen wir einen konstruktiven Austausch, bei dem es um die Sache geht, aber nicht ab.“

Die Letzte Generation ist bundesweit vernetzt: Auch in anderen Städten fordern die Aktivisten eine Unterstützung des Gesellschaftsrates – im Gegenzug bieten sie Verzicht auf Störaktionen. In Hannover, Marburg und Tübingen ist eine entsprechende Einigung bereits erfolgt. In Greifswald werden Gespräche geführt. Thomas Spies (SPD), der Marburger Oberbürgermeister, erklärte in einem Brief an die Bundesregierung und die Fraktionen im Bundestag, dass er die „inhaltlichen Forderungen der Letzten Generation unterstütze.

Im Gegenzug verzichten die Aktivisten auf den Protest und blockieren nicht länger den Marburger Straßenverkehr. „Ich freue mich, dass es gelungen ist, im konstruktiven Gespräch Lösungen zu finden. Unser Handeln und unsere Haltung in Marburg hat offensichtlich überzeugt,“ so Spies.

Universitätsprofessor erklärt: Bürgerräte können viel bewegen

In Hamburg liegt der Brief der Letzten Generation der Staatsanwaltschaft vor: Diese erklärte nach Prüfung des Schreibens, dass der Vorgang nun ein Fall für den Generalbundesanwalt werden könnte. Da die Drohung an Senat und Bürgerschaft gerichtet ist, könne dies einen Verstoß gegen Paragraf 105 und 106 Strafgesetzbuch bedeuten, bei denen es um Nötigung von Verfassungsorganen geht.

Unabhängig von der Methode der Aktivisten: Was würde es bedeuten, einen Gesellschaftsrat zu bilden? Und wie genau läuft so etwas ab? Peter Niesen, Professor für Politische Theorie an der Universität Hamburg erklärt, sagt, dass Bürgerräte in anderen Ländern bereits große Erfolge erzielen konnten: Irland habe etwa sein Abtreibungsrecht und das Recht auf die gleichgeschlechtliche Ehe mithilfe eines Bürgerrats, der sogenannten Citizens’ Assembly, erarbeitet. Auch in Island und Frankreich werde die Zusammenarbeit mit solchen Räten getestet.

Letzte Generation will Hamburg lahmlegen: "maximale Störung"

Niesen sieht „großes Potenzial“ in Bürgerräten, da diese besonders dazu geeignet seien, Gesetzesvorschläge zu erarbeiten und gesellschaftsfähige Kompromisse zu finden. Bedingung dafür sei dem Politikwissenschaftler zufolge aber, dass die Bürgerräte keine eigenen Entscheidungen träfen, sondern „immer komplementär zu den gesetzgebenden Parlamenten aufgestellt werden.“ Darüber hinaus sei es enorm wichtig, die Öffentlichkeit in den Prozess der Entscheidungsfindung mit einzubeziehen. Zudem müssen sich jeder Bürgerrat per Definition von Experten beraten lassen, so Niesen.

Ob und wie sich das Verhältnis zwischen der Hamburger Politik und der Letzten Generation noch verändern wird, bleibt abzuwarten. Ab dem heutigen Dienstag wird sich zeigen, wie die Aktivisten ihre „maximale Störung der öffentlichen Ordnung“ umsetzen.