Hamburg. Der Parteivorstand der Grünen sieht Handlungsbedarf und hat bereits konkrete Ideen, was getan werden sollte. Das sind die Pläne.

In der wachsenden Stadt Hamburg genügt es nicht, mehr bezahlbaren Wohnraum zu schaffen; es braucht auch ein attraktives Umfeld und gute Anbindungen in den Quartieren, um allen Menschen bei uns gerecht zu werden – so sieht es der Vorstand der Hamburger Grünen.

Die Parteispitze beschreibt nun in einem Leitantrag zur Landesmitgliederversammlung am kommenden Sonnabend in Wilhelmsburg, wie sich ihrer Ansicht nach die Hamburger Stadtentwicklungspolitik verändern sollte.

ÖPNV-Ausbau gehört zum Konzept, es ist aber weit mehr

Im Zentrum steht das Anliegen, Hamburg zu einer „15-Minuten-Stadt“ zu machen. In dieser sollten die Hamburgerinnen und Hamburger alles, was sie zum Leben benötigen, innerhalb einer Viertelstunde im Umkreis ihres Zuhauses erreichen: Geschäfte, Gesundheitsversorgung, Freizeitangebote, Bildungsstätten und „idealerweise auch den Arbeitsplatz“, heißt es in dem Antrag. Metropolen wie Paris und Barcelona machten schon vor, wie dieses Modell gelingen könne. „Für mehr Lebensqualität, kürzere Wege, mehr Vielfalt im eigenen Stadtteil und die Freiheit, längere Wege auf sich zu nehmen oder es bleiben zu lassen.“

Das Konzept sei nicht zu verwechseln mit einem 15-Minuten-Takt im öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV), sagt der stellvertretende Grünen-Landesvorsitzende Leon Alam. Zwar gehöre der ÖPNV-Ausbau zwingend dazu, um eine „15-Minuten-Stadt“ zu schaffen, aber die Idee gehe weit über Verkehrspolitik hinaus. „Wir wollen in den unterschiedlichen Stadtteilen auf die sehr unterschiedlichen Bedürfnisse reagieren“, sagt Alam. Woran es mangele, welche neuen Einrichtungen und Angebote zu mehr Lebensqualität beitragen könnten, das variiere von Quartier zu Quartier. „Das kann eine Kinderarztpraxis, ein neuer Park oder ein kostenloses Moia zur nächsten S-Bahn-Station sein. Die Vier- und Marschlande brauchen andere Dinge als Eidelstedt.“ Zum Stichwort „kostenlos“ später mehr.

Dabei könne die Vielfalt und die „Nutzungsdichte“, also die Menge an Einrichtungen und Angeboten von Ärzten über Bars, Shops und Sportvereine bis hin zur Verkehrsanbindung, auch künftig nicht in allen Stadtteilen gleich groß sein. Die Grünen wollten auch nicht etwa in allen 104 Stadtteilen Kinos einrichten oder Cafés in jeder Seitenstraße. Vielmehr gehöre zu einer „gerechten und generationenfreundlichen“ Stadt, dass alle Bewohnerinnen und Bewohner „gleichwertige Lebensbedingungen vorfinden und aufgrund ihres Wohnortes keine substanzielle Benachteiligung erfahren“, heißt es in dem Leitantrag der Parteispitze.

Mit Anreizen Ärzte in unterversorgte Stadtteile in Hamburg locken

Sie möchte deshalb die Stadtteilzentren stärken und dafür unter anderem auch mit der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) und der Sozialbehörde „Anreize schaffen, sodass sich Ärztinnen und Ärzte in bislang unterversorgten Stadtteilen niederlassen oder interdisziplinäre Stadtteil-Gesundheitszentren gründen“.

Wer aber soll die gewünschte Vielfalt in den Stadtteilzentren auf den Weg bringen? Die Grünen-Spitze schlägt vor, Förder- und Flächenvermittlungsgesellschaften zu gründen, nach dem Vorbild der Semaest-Projekte in Paris. Solche Einrichtungen sollte es vorrangig in Fördergebieten geben, die vom Rahmenprogramm Integrierte Stadtteilentwicklung (Rise) profitieren, in Quartieren mit niedrigem Sozialindex und Quartieren mit viel Fluktuation im Einzelhandel. Diese Einrichtungen könnten „mit ihrer Kenntnis der Bedarfe im Stadtteil regelnd auf eine ausgeglichene Nutzungsmischung einwirken“, heißt es in dem Antrag.

Grüne: Nutzungsvielfalt sorgt für mehr Lebensqualität in Quartieren

In Hamburgs inneren Stadtteilen sei das 15-Minuten-Konzept schon Realität, sagt Alam. „Das sind Orte, die mit hoher Lebensqualität verbunden werden.“ Für Teile der äußeren Stadt gelte das weniger. „Wir hören von vielen Menschen, die in weniger dicht besiedelten Stadtteilen wohnen, dass sie sich mehr Urbanität wünschen – und dass es für sie eine Hürde darstellt, lange Wege auf sich nehmen zu müssen.“

Deshalb schlägt der Grünen-Landesvorstand ein „On-demand-System für die äußere Stadt“ vor. Der rot-grüne Senat treibe zwar den Ausbau des ÖPNV voran. Aber: „Eine neue U-Bahn lässt sich nicht bis übermorgen bauen.“

In Bereichen der äußeren Stadt, wo sich ohne Auto kaum die nächste Bahnstation oder Bushaltestelle erreichen lasse, sollten On-demand-Dienste wie der Sammeltaxi-Anbieter Moia kostenlos sein – allerdings nur für eine Übergangszeit, bis es dort eine bessere ÖPNV-Anbindung gebe, sagt Leon Alam. „Es ist nicht fair, dass Menschen, die am Stadtrand leben, auf das Auto angewiesen sind.“ Gerade ältere, mobilitätseingeschränkte Menschen könnten mit einem kostenlosen Dienst die letzten Kilometer nach Hause auch ohne Auto schaffen.

Kosten der „15-Minuten-Stadt“ sind völlig offen

Der Grünen-Landesvorstand geht in seinem Antrag nicht darauf ein, was eine Umsetzung des Konzepts „15-Minuten-Stadt“ in ganz Hamburg kosten könnte. Leon Alam sagt dazu: „Es lohnt sich, dieses Geld in die Hand zu nehmen, weil wir damit mehr Lebensqualität für alle Hamburgerinnen und Hamburger schaffen.“ Am Sonnabend werden die Mitglieder auf dem Grünen-Landesparteitag in Wilhelmsburg über den Antrag abstimmen.