Hamburg. Die Zahl der Schülerinnen und Schüler in Hamburg wächst im Rekordtempo. Warum Ties Rabe das nicht nur positiv sieht.
Schulsenator Ties Rabe (SPD) neigt nicht zu Dramatisierungen, deswegen lässt dieser Satz aufhorchen. „Wenn der Schülerzuwachs noch ein Jahr so weitergeht, dann haben wir in Hamburg ein echtes Problem“, sagte Rabe bei der Vorstellung der Schulstatistik für das Schuljahr 2022/23.
Im Laufe eines Jahres haben die Schulen 7490 zusätzliche Schülerinnen und Schüler aufgenommen – seit Beginn der statistischen Aufzeichnungen in den 60er-Jahren waren es nie mehr. Das historische Schülerplus entspricht der Zahl der Schülerinnen und Schüler der Elbinsel Wilhelmsburg/Veddel oder der Elbvororte von Rissen bis Nienstedten und Flottbek.
Schule Hamburg: Warum die Schülerzahl so stark steigt wie nie zuvor
Seit rund einem Jahrzehnt steigen die Schülerzahlen deutlich an – zuletzt waren es zwischen 2000 und 3000 Jungen und Mädchen pro Jahr. Dass es nun mehr als doppelt so viele sind, ist nicht nur auf einheimische Kinder zurückzuführen, sondern vor allem auch auf den Zustrom von Geflüchteten aus der Ukraine. Und: Seit der Erhebung der Statistik im Oktober sind noch einmal 940 Schüler mit Fluchthintergrund hinzugekommen.
Insgesamt besuchen 211.194 Schülerinnen und Schüler die allgemeinbildenden Schulen – das ist ein Plus von 14 Prozent gegenüber dem Schuljahr 2013/14. Zuletzt nahmen in etwa so viele Kinder und Jugendliche am Schulunterricht vor rund 40 Jahren teil: Im Schuljahr 1982/83 wurden 205.313 Schülerinnen und Schüler gezählt. Zusammen mit den berufsbildenden Schulen (hier gab es einen Rückgang um rund 1100 Schüler) besuchen 259.000 junge Menschen die Schulen.
Ties Rabe: "Benötigen 900 Lehrerinnen und Lehrer zusätzlich"
Am deutlichsten ist der Zuwachs in den ersten Klassen: 19.175 Kinder sind im August eingeschult worden – das sind 1041 mehr als im Vorjahr, als der Zuwachs „nur“ 346 Kinder betrug. Seit dem Schuljahr 2013/14 ist die Zahl der Erstklässler um 25,1 Prozent angestiegen.
Rabe wies darauf hin, dass es bislang gelungen sei, den Schülerzuwachs ohne qualitative Einbußen zu bewältigen. „Das Schulsystem ist stabil. Wir können die kleinen Klassen bewahren, weil wir mit wachsender Kraft noch genügend Lehrerinnen und Lehrer finden“, sagte Rabe. Die Statistik weist aktuell 19.789 Vollzeitstellen für pädagogisches Personal aus – ein Plus von 655 Stellen gegenüber dem Vorjahr. „Umgerechnet in Menschen benötigen wir jedes Jahr rund 900 Lehrerinnen und Lehrer zusätzlich“, sagte Rabe.
Mehr Referendare, mehr neue Schulklassen und Räume
Angesichts des bundesweiten Lehrermangels dürfte es in Zukunft noch schwieriger werden, den Bedarf zu decken. Rabe kündigte an, die Zahl der Referendarsplätze noch einmal „um 50 bis 70“ zu erhöhen, nachdem das Kontingent bereits in den zurückliegenden Jahren von 540 auf 810 Plätze jährlich aufgestockt worden war. Der Schulsenator will außerdem Gespräche mit Wissenschaftssenatorin Katharina Fegebank (Grüne) und der Universität führen, um eine Erhöhung der Zahl der Studienplätze in der ersten Phase der Lehrerausbildung zu erreichen.
Um alle zusätzlichen Schülerinnen und Schüler in diesem Jahr unterrichten zu können, wurden 330 neue Schulklassen eingerichtet und rund 400 zusätzliche Klassenräume benötigt. Zwar verfügen einige Schulen auch derzeit durchaus noch über ungenutzte Raumkapazitäten, aber die Schulbehörde hat nach den Worten Rabes zudem bereits vorsorglich 50 mobile Schulcontainer geordert.
So werden die geflüchteten Schulkinder in Hamburg verteilt
Die meisten geflüchteten jungen Menschen im Schulalter werden in Internationalen Vorbereitungsklassen (IVK) unterrichtet. Die Zahl der Schülerinnen und Schüler in den IVK an den allgemeinbildenden Schulen hat sich im Laufe eines Jahres fast vervierfacht: von 1589 zu Beginn des Schuljahres 2021/22 auf 4318 im August 2022 auf aktuell 5120. Selbst während der starken Flüchtlingszuwanderung in den Jahren 2015/16 lag die Zahl der IVK-Schüler mit 3200 bis 3500 Jungen und Mädchen deutlich darunter.
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Rabe betonte, dass es bislang gelungen sei, die Flüchtlingsklassen relativ gleichmäßig auf die Schulformen und Stadtteile zu verteilen. So haben 58 Grundschulen, 55 Stadtteilschulen und 51 Gymnasien sowie drei Sonderschulen solche Klassen eingerichtet. Schulen in sozial benachteiligten Stadtteilen sowie in wohlhabenderen Gebieten seien mit jeweils 29,3 Prozent an dem IVK-Unterricht beteiligt. Auf das mittlere soziale Segment entfallen 41,4 Prozent der IVK.
Schulweg könnte an weiterführenden Schulen länger werden
„Wir bemühen uns auch weiterhin um eine möglichst gleichmäßige Verteilung der Flüchtlingsklassen. Allerdings wohnen die Geflüchteten nicht gleichmäßig verteilt über die Stadt. Deswegen kann es sein, dass wir Schülerinnen und Schülern in den weiterführenden Schulen künftig einen längeren Schulweg als 2000 Meter zumuten müssen“, sagte Rabe, der kritisch anmerkte, dass sich nur eine Privatschule an dem Unterricht geflüchteter Kinder und Jugendlicher beteilige.
Der Anteil der Schülerinnen und Schüler an Privatschulen sinkt weiter: Wurden vor zehn Jahren 10,6 Prozent an einer nicht-staatlichen Schule unterrichtet, so sind es jetzt nur noch 8,6 Prozent (Vorjahr: 9,1 Prozent). Die Hauptursache liegt in der schrittweisen Schließung mehrerer katholischer Schulen. „Man kann es auch so sehen: Wir freuen uns über das Vertrauen der Eltern in das staatliche Schulsystem“, sagte der Schulsenator.
Schule Hamburg: Zahl der Abgänger ohne Abschluss steigt
Als Folge der verstärkten Zuwanderung von Geflüchteten ist der Anteil der Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund an der Gesamtzahl in den Klassen eins bis zehn auf 53 Prozent (Vorjahr: 51,8 Prozent) gestiegen. Durchaus besorgniserregend ist, dass für 31,4 Prozent der Schülerinnen und Schüler Deutsch nicht die Familiensprache ist. Vor zehn Jahren lag der Anteil bei 21,7 Prozent. Der „gewaltige“ Anstieg mache es auch „in Zukunft zu einer großen Aufgabe, dass wir dafür sorgen wollen, dass alle gut lesen und schreiben können“, wie Rabe sagte.
Der Anteil der Schüler, die die Schule ohne Abschluss verlassen, ist von 5,8 Prozent (2020/21) auf 6,3 Prozent (1043 Schülerinnen und Schüler) gestiegen. Mehr als die Hälfte dieser Gruppe (596) hat einen sonderpädagogischen Förderbedarf. Der Anteil der Schulabgänger ohne Abschluss sei auch aufgrund der verstärkten Zuwanderung Geflüchteter gestiegen. „Allerdings schafft etwa die Hälfte von ihnen den Abschluss im zweiten Anlauf im Rahmen der Berufsausbildung“, sagte der Schulsenator, der dauerhaft mit einer Quote nicht unter sechs Prozent rechnet.