Hamburg. Uwe Bahnsen zeichnet den Weg des Sozialdemokraten nach. Der Autor hat den Politiker über viele Jahre aus der Nähe beobachtet.
Henning Voscherau (1941–2016) ist unter den 14 Ersten Bürgermeistern seit 1945 sicherlich derjenige, der am engsten mit der Stadt und ihren Menschen verbunden war. Max Brauer war Altonaer, Herbert Weichmann und Klaus von Dohnanyi waren immer auch Weltbürger – Henning Voscherau, der von 1988 bis 1997 Präsident des Senats war, verbrachte nicht nur sein ganzes Leben in der Hansestadt, er kannte ihre Menschen, egal ob Geschäftsmann oder Verkäuferin, und wusste, wie sie dachten und fühlten.
Das ist wahrlich keine schlechte Voraussetzung für das Amt des Bürgermeisters. Zugleich reichten der Horizont und der Gestaltungswille dieses Sozialdemokraten und Juristen weit über die Grenzen des Stadtstaats hinaus.
Voscherau setzte wesentliche Akzente für Prozess der deutschen Einheit
Am deutlichsten sichtbar wurde das vermutlich nach dem Fall der Mauer 1989, als Voscherau die Städtepartnerschaft mit Dresden entschlossen vorantrieb und im Jahr darauf als Bundesratspräsident in Reden und Taten wesentliche Akzente für den Prozess der deutschen Einheit setzte.
Jetzt hat Uwe Bahnsen, langjähriger Hamburg-Korrespondent für „Die Welt“ und „Welt am Sonntag“, den beeindruckenden Lebensweg Voscheraus für die von der „Zeit“-Stiftung herausgegebene Reihe „Hamburger Köpfe“ nachgezeichnet.
Bahnsen, der Grandseigneur der Rathausjournalisten, hat den Politiker über viele Jahre aus der Nähe beobachtet und schöpft insoweit aus seiner reichhaltigen Erfahrung und Recherche, hat aber auch mit Voscheraus Frau Annerose, deren Kindern und dessen Bruder Eggert sowie engen Weggefährten sprechen können. So ist ein atmosphärisch dichtes, sehr persönliches Porträt dieses bedeutenden Bürgermeisters entstanden, das von kritischer Sympathie, aber auch gelegentlicher Bewunderung gekennzeichnet ist.
Es ist Bahnsens Verdienst, die frühe sozialdemokratische Prägung Voscheraus herausgearbeitet zu haben. Gerade er, der mit dem linken Flügel seiner Partei Jahrzehnte über Kreuz lag, ja mit einzelnen Vertretern geradezu verfeindet war, war mit der alten Arbeiterpartei familiär und emotional sehr verbunden. Dass die SPD in seinen späten Amtsjahren auch im „roten“ Hamburg massiv an Zustimmung verlor, schmerzte Voscherau sehr und war einer der Gründe für seinen Rücktritt am Abend der Bürgerschaftswahl 1997.
Voscherau trat live in der „Tagesschau“ zurück
Voscherau war Spross einer Schauspielerfamilie, und er wusste um die Bedeutung des bühnengerechten Auftritts und des richtigen Timings in der Politik. Zu spüren war das selbst in seiner Rücktrittserklärung live in der „Tagesschau“. Prof. Christina Weiss, die Voscherau als parteilose Kultursenatorin 1991 in seinen Senat holte, streicht in ihrem Vorwort zum Buch seine „künstlerische Kreativität“ heraus.
- Zuversicht verbreiten – Tschentschers Appell im Bundesrat
- 30 Jahre Kämpfe und Karrieren hinter alten Mauern
- Von Löwen, Barockfürsten und dem Duell in Flanell
Voscheraus Fähigkeit zu derart konzeptionellem und strategischem Denken weit in die Zukunft hinein dürfte ihn auch zu seinem vermutlich weitreichendsten Projekt inspiriert haben: der HafenCity. Die Planung eines ganz neuen Stadtteils war auch ein Meisterstück an Verschwiegenheit in einer schwatzhaften Stadt. In die spektakuläre Idee war nur eine Handvoll Vertrauter eingeweiht. „Ich wusste von der HafenCity nichts“, bekannte selbst Annerose Voscherau bei der Buchvorstellung.
Voscherau war ein „Hanseat vom Scheitel bis zur Sohle“, und für Bahnsen war er auch ein „großer“ Bürgermeister. Dem ist durchaus zuzustimmen.