Hamburg. Der Verkehrssenator spricht im Sommerinterview über erste Erfolge im Amt, Investitionsstaus und den Ausbau des Nahverkehrs.

Seit 2020 ist Grünen-Politiker Anjes Tjarks Senator für Verkehr und Mobilitätswende – die er mit aller Kraft vorantreiben will. Im Abendblatt-Sommerinterview spricht der 41-Jährige über den Ausbau von Tempo-30-Zonen, die Kritik an seinem Ziel, Hamburg zur Fahrradstadt umbauen zu wollen, und das größte Verkehrsprojekt der Stadt.

Herr Tjarks, der Sommer 2021 war infolge von Baustellen auf den Hauptschlagadern des Verkehrs von Riesenstaus vor allem im Süden der Stadt und im Hafen geprägt. In diesem Jahr gab es trotz etlicher Baustellen das ganz große Verkehrschaos bislang jedenfalls nicht. Haben Sie dazugelernt oder einfach Glück gehabt?

Anjes Tjarks: Wir haben nach wie vor eine sehr herausfordernde Infrastruktursituation – wir müssen sehr viel sanieren, nicht nur im Bereich des Straßenverkehrs. Aber wir haben auch ein paar Lehren aus dem letzten Jahr gezogen. Wir haben uns zum Beispiel sehr stark auf die großen Baustellen fokussiert: die B 5 aus Bergedorf mit einspuriger Verkehrsführung, der Harburger Doppelknoten, die Elbchaussee, die A 7 und die A 23, um die wichtigsten zu nennen. Diese Baustellen laufen im Großen und Ganzen relativ gut, auch wenn es immer wieder Einschränkungen gibt.

Noch immer sind viele Straßen in einem schlechten Zustand. 2020 wurden 194 Straßenkilometer saniert. Wie sieht es 2021 aus?

Tjarks: Im vergangenen Jahr haben wir die Zahl auf 242 Kilometer gesteigert. Mit dem heutigen Tag haben wir seit 2020 insgesamt 500 Kilometer Straße saniert. Damit haben wir das Ziel des rot-grünen Koalitionsvertrages – mindestens 500 Kilometer Straße in Ordnung zu bringen – schon zur Hälfte der Legislaturperiode erreicht. Gegenüber der vergangenen Legislaturperiode konnten wir die Sanierungsleistung pro Jahr um 23 Prozent steigern.

Worauf ist der Anstieg zurückzuführen?

Tjarks: Entscheidend ist, dass der Landesbetrieb Straßen, Brücken und Gewässer sowie die Bezirke eine hervorragende Arbeit machen. Wichtig ist auch, dass Straßen in einem großen Umfang saniert werden, bevor sie wirklich kaputt sind. Es ist einfacher und geht schneller, nur die Oberfläche zu erneuern, und die Straßen halten auch dann viel, viel länger. Muss die Grundschicht einer Straße erneuert werden, wird es teurer und dauert länger.

Welche Verbindungen sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten, auf denen der Autoverkehr nun ohne Schlaglöcher rollt?

Tjarks: Die wichtigsten Verbindungen für den Autoverkehr sind in Hamburg die Autobahnen. Die haben den größten Einfluss auf die Stadt. Jetzt wird auf vielen Autobahnstrecken Flüsterasphalt eingebaut, was zu einer deutlichen Reduzierung des Lärmpegels führt. Allerdings muss dieser Asphalt alle neun bis zehn Jahre erneuert werden. Das passierte bei der A 25, das passiert jetzt bei der A 23 und bei der A 7 im Zuge des Deckelbaus.

Werden Sie dieses Sanierungsniveau halten können?

Tjarks: Wir arbeiten daran. Es gehört zu einer guten Verkehrspolitik, bestehende Infrastruktur zu erhalten. Ich verstehe mich auch als Infrastruktursenator dieser Stadt. Der Zustand der Hauptverkehrsstraßen, den wir ja messen, hat sich schon verbessert. Es ist wichtig, dass wir alle Infrastrukturen, ob Straße, Rad-, Fußweg oder Schiene, sanieren. Unsere Infrastruktur funktioniert an vielen Stellen nicht so gut, wie sie sollte, weil sie alt und zu klein ist. Das ist auch die Folge von 16 Jahren Bundesverkehrsministern der CDU und CSU. Es ist in dieser Zeit viel zu wenig investiert worden. Die Bahn und die Autobahnbrücken sind kaputtgespart worden.

Oppositionschef Dennis Thering hält Ihnen vor, dass die Baustellen nach wie vor nicht richtig koordiniert werden. Wenn eine Baustelle eingerichtet werde, dann manchmal auch auf der Ausweichstrecke, was unweigerlich zu Staus führe. Ist das Problem nicht händelbar?

Tjarks: Die CDU ist in der Opposition zu einer Anti-Infrastruktur-Partei geworden. Sie sagt, sie ist irgendwie für den Autoverkehr, aber sie ist fast gegen jede Baustelle in der Stadt. Und auch gegen jeden Radweg, den wir bauen. Das ist eine wenig verantwortungsvolle Position. Am Beispiel B 5 lässt sich zeigen, wie wir vorgehen, um den Menschen möglichst wenig Einschränkungen zuzumuten. Im letzten Sommer haben wir die Parallelstrecke A 25 saniert, die jetzt uneingeschränkt befahrbar ist, während die B 5 wegen der Sanierung stadteinwärts nur einspurig ist. Auch die A 24 als weitere Ausweichstrecke ist frei. Im Großen und Ganzen funktioniert das ordentlich und ist gut koordiniert.

Ihr politischer Schwerpunkt ist der Umbau Hamburgs zur Fahrradstadt. Wie sehr liegt Ihnen der Autoverkehr am Herzen?

Tjarks: Mir ist wichtig, dass die Menschen, die auf das Auto angewiesen sind, es in Hamburg gut nutzen können, und wir Straßen haben, die dafür ordentlich hergestellt sind. Gleichzeitig ist es so, dass 60 Prozent des CO2-Ausstoßes im Verkehrsbereich in Deutschland durch den Pkw-Verkehr entstehen, fast 30 Prozent durch den Lkw-Verkehr. Im Hinblick auf den Klimaschutz bedeutet das, dass dieser Verkehr reduziert und elektrifiziert werden muss. Nur so können wir die Klimaziele ernsthaft erreichen.

Und wie hoch war die Strecke sanierter oder neu gebauter Radwege? 60 bis 80 Kilometer hat sich Rot-Grün vorgenommen.

Tjarks: In meiner Amtszeit haben wir 62 Kilometer im Jahr 2020 und 56 Kilometer in 2021 geschafft. Das macht im Durchschnitt 59 Kilometer – eine Steigerung um 70 Prozent gegenüber der vergangenen Legislaturperiode, als es im Schnitt 35 Kilometer waren. Das Ziel ist, mittelfristig 100 Kilometer pro Jahr zu schaffen. Ich kenne keine Stadt in Deutschland, die annähernd so viele Radwege baut.

Einen massiven Investitionsstau gibt es auch auf den Eisenbahnstrecken. In den nächsten zehn Jahren müssen 70 Bahnbrücken in Hamburg saniert oder ersetzt werden. Wie ist das finanzierbar?

Tjarks: Das muss der Bund bezahlen, weil es Fernbahnbrücken sind. Es gibt eine große Ausnahme, die Sternbrücke, bei der sich die Stadt und die Bahn die Kosten teilen. Ein großes Problem der Bahn mit der Folge von Verspätungen sind die Langsam-Fahrstellen. Das ist häufig bei Eisenbahnbrücken der Fall, die nicht die erforderliche Traglast haben. Das ist zum Beispiel auf der Norderelbbrücke der Fall.

Die Deutsche Bahn prüft derzeit den Bau einer neuen, zusätzlichen Elbbrücke. Wie ist der aktuelle Stand?

Tjarks: Wir prüfen mit der Bahn zusammen, die Strecke um zwei Spuren zu erweitern, von vier auf sechs. Die letzte Fernbahnbrücke über die Elbe wurde in Hamburg vor 100 Jahren gebaut. Das ist also eine Jahrhundertfrage. Und es ist übrigens eine sehr zentrale Frage für die Anbindung des Hafens, denn die meisten Züge, die über die Nordelbbrücke gehen, sind Güterzüge.

Wann wird eine Entscheidung fallen?

Tjarks: Ich gehe davon aus, dass wir Mitte 2023 wissen, in welche Richtung wir gehen werden. Technisch machbar ist es wohl, aber das Projekt ist auch abhängig von der U-Bahn-Brücke daneben, der Bebauung des Grasbrooks und dem Zugang zur Veddel. Darum, das alles zusammenzubauen, bemühen wir uns gerade. Für Hamburg ist das eine Chance, die wir ergreifen sollten. Der Bund wird 2023 das Eisenbahnnetz für 2040 festlegen, und da muss die zusätzliche Elbbrücke rein.

Eines der größten Nadelöhre des Bahnverkehrs ist die Verbindungsbahn zwischen dem Hauptbahnhof und Altona. Wie weit sind die Planungen für den angekündigten Entlastungstunnel?

Tjarks: Wir haben uns festgelegt, dass es ein S-Bahn-Tunnel wird. Ein Fernbahntunnel wäre erheblich teurer geworden, und es hätte länger gedauert, ihn zu bauen. Derzeit wird geprüft, ob eine Variante nördlich, südlich oder entlang der Verbindungsbahn die richtige ist. Wir wollen, dass die Menschen unserer Stadt maximal von so einem Projekt profitieren. Wir profitieren einerseits durch eine bessere nationale und internationale Anbindung durch den Fernverkehr, das ist klar. Der halbstündige Deutschlandtakt verkürzte auch die Fahrtzeiten deutschlandweit um etwa 15 Prozent. Uns geht es aber auch um eine Verstärkung des Regionalbahnverkehrs. Wir untersuchen gerade, ob man auf der Verbindungsbahn auch Regionalbahn-Haltestellen bauen kann, denn die S-Bahn-Haltestellen Holstenstraße und Sternschanze brauchen wir dann in dieser Form nicht mehr, die sind dann unter der Erde. Die Regionalbahn fährt von Elmshorn über Pinneberg und Diebsteich zum Hauptbahnhof, und die Überlegung ist, sie auch Holstenstraße und Sternschanze halten zu lassen. Wenn das ginge, wäre das noch ein echter Gewinn für die Menschen unserer Stadt.

Apropos S-Bahn: Auch bei diesem Nahverkehrssystem gibt es immer wieder Probleme.

Tjarks: Ich glaube, dass wir bei der Bahn auch in Hamburg stärker in die Sanierung der Bestandsinfrastruktur investieren müssen. Das betrifft insbesondere die S-Bahn, die ein wunderbares Verkehrsmittel und das Rückgrat unseres öffentlichen Nahverkehrs ist, mit der 750.000 Menschen pro Tag fahren. Insbesondere nach Harburg. Wir brauchen nach Harburg den dritten Zug in zehn Minuten. Deswegen habe ich dafür gesorgt, dass wir mit dem Bund in Finanzierungsgespräche gehen, um die Infrastruktur zu erneuern. Wir würden das aber auch mit Hamburger Mitteln unterstützen, weil wir glauben, dass es ein sehr wichtiges Projekt ist. Nach Harburg fahren 40 Prozent der Hamburger S-Bahn-Passagiere. Sanierungs- und Erweiterungsbedarf gibt es aber auch auf anderen Strecken, zum Beispiel nach Bergedorf. Auch diesen wollen wir in den Blick nehmen.

Die Zahl der in Hamburg zugelassenen Pkw ist erstmals leicht zurückgegangen, der Anteil des Radverkehrs ist gestiegen. Sind das erste Anzeichen der Mobilitätswende oder nur Folgen der Corona-Pandemie?

Tjarks: In Bezug auf die Pkw sind die Ursachen vielschichtig. Sie bestehen in der Chip-Krise, der mangelnden Auslieferungsfähigkeit auch der deutschen Automobilindustrie, vielleicht auch in der Mobilitätswende. Es wird ein Konglomerat an Gründen sein, die man nicht näher erforschen kann. In Bezug auf den Radverkehr muss man klar sagen, es gibt den Willen der Menschen, in Hamburg mehr Rad zu fahren. Wir hatten ein Plus von 33 Prozent – ein neuer Rekordwert für Hamburg. 2021 ist es noch mal acht Prozent runtergegangen, aber immer noch der zweithöchste Wert in Hamburg gewesen. Jetzt liegen wir zum Halbjahr um plus 20 Prozent. Es sind deutlich mehr Menschen mit dem Rad unterwegs, und die treffen auf eine Stadt, die das auch fördern möchte.

Im Sommerinterview 2021 wünschten Sie sich deutlich mehr Tempo 30 in Hamburg, forderten allerdings bundeseinheitliche Regelungen. Sind Sie vorangekommen?

Tjarks: Die Frage der Erleichterung von Tempo 30 im Straßenverkehrsgesetz hat Eingang in den Koalitionsvertrag gefunden. Wir sehen erste zarte Ansätze, was Überlegungen für die Neufassung auf Bundesebene ergeben, aber wir haben sie noch nicht.

Der Klimabeirat des Senats spricht sich für ein stadtweites Tempo 30 aus. Als grüner Politiker müssten Sie zustimmen, oder?

Tjarks: Das ist Teil unseres Bundeswahlprogramms, aber es ist keine Option, die momentan von der Bundesregierung erwogen wird, insofern stellt sich diese Frage für Hamburg auch nicht. Es gibt Bundesländer, die fordern, dass einzelne Modellkommunen Tempo 30 flächendeckend einführen können. Diesem Ansatz stehe ich eher skeptisch gegenüber, weil ich lieber bundesweit eine vernünftige Regelung haben möchte. Ich wünsche mir eine Regelung, die im Kern sagt: Die Frage, wo Tempo 30 und wo Tempo 50 oder vielleicht auch mal neu Tempo 40, was auch eine spannende Diskussion wäre, gefahren werden darf, liegt in der Entscheidung der Kommune. Das darf aber keine willkürliche Entscheidung der Kommune sein, sondern wird aufgrund eines Generalverkehrsplans getroffen. Die Rechtslage ist in Deutschland momentan aber eine andere. Klar ist aber weiterhin für mich in Hamburg: Wir brauchen mehr Tempo 30.

Wie sinnvoll ist die Einrichtung von Tempo-30-Zonen, wenn die Einhaltung doch nur rudimentär kontrolliert wird?

Tjarks: Die Polizei macht da einen sehr guten Job. Das ist darauf zurückzuführen, dass wir nicht nur die Starenkästen haben, sondern auch die mobilen Blitzanlagen. Die führen zusammen mit einem neuen Bußgeldkatalog dazu, dass die Einhaltung der Verkehrsregeln sehr viel nachhaltiger kontrolliert wird, als es vor einigen Jahren noch der Fall war.

Hamburgs größtes Verkehrsprojekt ist der Bau der U 5. Bauvorbereitende Maßnahmen für den Abschnitt Bramfeld–City Nord laufen seit Oktober 2021, aber es fehlt bislang etwas Entscheidendes: die Finanzierungszusage des Bundes. Wie sieht es damit aus?

Tjarks: Wir sind noch in den bauvorbereitenden Maßnahmen, aber am Mittwoch hat die Frist für die Angebote geendet, um das erste Los vergeben und dann auch losbauen zu können. Es läuft alles nach Plan. Mit dem nächsten Doppelhaushalt werden wir 900 Millionen Euro in das Sondervermögen Schnellbahnausbau, einen Teil des Hamburger Haushalts, zusätzlich einzahlen. Das wird dann insgesamt 1,45 Milliarden Euro beinhalten, um zunehmend einen hamburgischen Anteil an der Finanzierung abzusichern. Der Bund hat mit Beginn der Hamburger Sommerferien die neue Förderrichtlinie erlassen. Und es war immer klar, dass wir überhaupt erst einen Antrag auf Bundesförderung stellen können, wenn diese Förderrichtlinie erlassen wird. Auf dieser Basis erarbeiten wir jetzt den Förderantrag. Das ist aber ein Prozess, der sich auch noch über mehrere Monate hinziehen wird.

Und am Ende steht dann die „standardisierte Bewertung“?

Tjarks: Genau, am Ende gibt es die standardisierte Bewertung, und wir benötigen einen Nutzen/Kosten-Faktor über eins, damit das Projekt gefördert werden kann. Wir sind zuversichtlich, dass dies gelingt.

Für diesen Sommer war der erste Spatenstich für den Beginn der Hauptarbeiten geplant, bleibt es dabei?

Tjarks: Der Baufortschritt ist unabhängig vom offiziellen Spatenstich. Wir liegen voll im Plan, und wichtige Leitungsarbeiten laufen auch schon. Das ist faktisch der Baubeginn. Ein Beispiel, damit man sich das vorstellen kann: Die Sengelmannstraße muss für die U 5 tiefergelegt werden. Das passiert im Herbst 2023. Hierfür sind jetzt gerade Leitungen verlegt worden – also bauvorbereitende Maßnahmen. Diese sind dort im Herbst 2022 abgeschlossen.

Wann werden die ersten Testzüge rollen?

Tjarks: Die ersten Testzüge werden in der zweiten Hälfte der 20er-Jahre fahren. Für den Bau einer U-Bahn-Haltestelle braucht man fünf bis sechs Jahre. Nach einer längeren Anlauffrist werden aber mehrere Haltestellen in den Bau gehen, sodass man hinterher wieder schneller fertig wird.