Hamburg. Opposition kritisiert Staus und schlechte Koordination. Grünen-Fraktionschef Lorenzen: Weniger Autos ein Ziel von Anwohnerparkzonen.
Mit schrillen Tönen begann die Bürgerschaftssitzung am Mittwoch, was allerdings nicht an den Abgeordneten lag, sondern mit den Mikrofoneinstellungen zu tun hatte. Nachdem das Problem behoben worden war, ging es in der Aktuellen Stunde zwar ohrenverträglich zu – aber immer noch sehr lautstark. Das hatte mit einem von der CDU-Fraktion nicht zum ersten Mal angemeldeten, nun so überschriebenen Reizthema zu tun: „Baustellenchaos, Stauhauptstadt, Anwohnerparkzonen, unpünktliche Busse und Bahnen, Stolperfallen so weit das Auge reicht – die rot-grüne Verkehrspolitik ist gescheitert!“
Erstmals in dieser Wahlperiode tagte die Bürgerschaft wieder voll besetzt im Plenarsaal. Dort sprach CDU-Fraktionschef Dennis Thering von „unerträglichen“ Zuständen auf den Straßen für die Menschen, „egal mit welchem Verkehrsmittel sie unterwegs sind“. Die Probleme seien auch eine „Wachstumsbremse und ein Standortnachteil“ für Hamburgs Unternehmen“. Ob von Unternehmern aus dem Hafen, der Handelskammer oder der Handwerkskammer – von allen höre er Klagen.
CDU: Hamburger Verkehrspolitik gescheitert
„Die Baustellen werden weiterhin nicht koordiniert, die Umleitungen funktionieren nicht“, sagte Thering und warf SPD und Grünen „soziale Kälte“ vor, weil „die zusätzlichen Anwohnerparkzonen auch dazu führen, dass gerade die Menschen, die nicht so viel Geld haben, sich das Parken immer weniger leisten können“. Gerichtet an Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD), rief Thering: „Sie haben allen Hamburgerinnen und Hamburgern versprochen, dass Sie die ganze Stadt im Blick haben und damit auch alle Verkehrsteilnehmer. Aber dieses Versprechen haben Sie gebrochen.“
Therings Kritik von der angeblichen Stauhauptstadt und dem Baustellenchaos sei ein „hilfloser Kampf um Aufmerksamkeit“, entgegnete der SPD-Abgeordnete Thorben Buschhüter. Er warf der CDU Einseitigkeit vor. „Für Sie dreht sich Verkehrspolitik ausschließlich um das Auto“, sagte Buschhüter und zählte die Ziele von Rot-Grün auf: mehr Bus und Bahn, mehr Rad- und Fußverkehr, ergänzt um mehr Sammelfahrten (Ridepooling) mit Shuttle-Anbietern wie Moia und ioki, wobei Letztere dank einer Bundesförderung spätestens von 2023 an in Hamburg „mehr in die Fläche gehen“ könnten. „Aber aus dem Mobilitätsmix der Zukunft ist das Auto nicht wegzudenken“, betonte Buschhüter.
Grüne: Fußgänger und Radfahrer kommen zu ihrem Recht
Anders als von der CDU behauptet, nehme dieser Senat „erstmals den ganzen Straßenraum in den Blick“ und lasse „auch Fußgänger und Radfahrer zu ihrem Recht kommen“, sagte Grünen-Fraktionschef Dominik Lorenzen. Mit Bezug auf den Ausbau des Anwohnerparkens (die Stadt hatte zudem vor Kurzem die Gebühren erhöht) erklärte Lorenzen, der Parkdruck nehme nun ab, weil Autobesitzer, die ihren Pkw so gut wie gar nicht nutzen, „trotz der homöopathischen Preise, die wir fürs Anwohnerparken haben, ihr Auto abschaffen“. Der kleiner werdende Teil der Anwohner mit Pkw verursache weniger Suchverkehr, das sei besser für die Lebensqualität vor Ort und für den Klimaschutz.
Der CDU-Abgeordnete Richard Seelmaecker hakte nach: „Habe ich Sie richtig verstanden, dass Sie sagten, durch die Gebühren schaffen die Leute ihre Autos ab, was auch Zweck des Ganzen mit ist?“ Lorenzen: „Ja, selbstverständlich.“ Damit erntete der Grünen-Fraktionschef laute Rufe von den Oppositionsbänken. „Immerhin mal eine klare Ansage“, hieß es etwa. AfD-Fraktionschef Dirk Nockemann sprach später von einer „grenzenlosen Arroganz der Grünen“.
Weniger Staus, wo Menschen auf Busse, Bahnen und Fahrräder setzen
Die Linken-Abgeordnete Heike Sudmann attackierte zunächst Thering und die CDU-Fraktion. Diese sei „einfach hinterwäldlerisch“, so Sudmann. „Man kann bis heute nicht erkennen, dass die CDU eine Großstadt-CDU ist.“ Dafür hätten die Christdemokraten bei der letzten Bürgerschaftswahl die Quittung bekommen. Die wenigsten Staus gebe es in Städten, wo viele Menschen nicht auf Autos, sondern auf Busse, Bahnen und Fahrräder setzten, etwa in Kopenhagen.
In einem Punkt habe Thering aber recht, sagte Sudmann und richtete sich an SPD und Grüne: „Sie sind bisher nicht erfolgreich mit der Mobilitätswende.“ Die Linken-Abgeordnete verwies auf die geplante A 26 Ost, „eine Autobahn, die völlig überflüssig ist“. Ein echtes Beispiel für soziale Kälte sei der ständig teurer gewordene HVV. 2023 dürfe es keine Fahrpreiserhöhung geben, forderte sie.
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Verkehrssenator Tjarks weist Kritik zurück
Anders als die Linken-Fraktion sprang Anna von Treuenfels-Frowein (FDP) der CDU zur Seite. Rot-Grün steuere die Stadt mit einer „ideologischen Verkehrspolitik“ ins Chaos. Treuenfels warf Verkehrssenator Anjes Tjarks (Grüne) „Unwille“ vor, die vielen Baustellen in der Stadt „endlich modern zu koordinieren“.
Tjarks wies die Kritik der Opposition zurück, insbesondere den Vorwurf, er wolle das Autofahren in Hamburg abschaffen. „Unter meiner Führung hat die Verkehrsbehörde in den letzten zwei Jahren 450 Kilometer Stadtstraße saniert (...). Das tun wir für die Autofahrerinnen und Autofahrer in Hamburg.“ Die CDU tue so, als könne all das ohne Hindernisse ablaufen. „Man kann die Infrastruktur nicht ohne Baustellen sanieren“, sagte Tjarks. „Eine Baustelle ist eine Investition in die Zukunft unserer Stadt, weil sie moderne Mobilität ermöglicht.“ Analysen des Verkehrsdatenanbieters Inrix zufolge sei das Stauniveau in Hamburg um 40 Prozent geringer als in München und um 28 Prozent geringer als in Berlin.