Hamburg. Keine Kontaktnachverfolgung – doch die Polizei verhängt Bußgelder. Warum und welche Regeln jetzt bei Johnson & Johnson gelten.
Die Omikron-Welle rauscht durchs Land. Und um die Luca-App hat sich in Hamburg eine absurde Situation entwickelt: Obwohl die Gesundheitsämter mit der Kontaktnachverfolgung überfordert sind und Luca gar nicht mehr benutzen, müssen Hamburger sich weiter damit zum Beispiel in Restaurants über ihr Handy einchecken. Die Luca-App ist in der Rechtsverordnung der Stadt noch festgeschrieben. Wer sich im Restaurant nicht darüber anmeldet, riskiert ein Bußgeld. Das kann bei Wirten bis zu 1000 Euro, bei Gästen je 150 Euro betragen.
Die Polizei erfuhr erst durch die Anfrage des Abendblattes am Freitag davon, dass die Luca-App nicht mehr genutzt wird. Dies hatten offenbar weder die Gesundheitsämter noch die Sozialbehörde kommuniziert. Bis sich an der Rechtslage etwas ändert, sieht sich die Polizei gezwungen, bei Kontrollen weiter auf die Luca-App zu achten.
Luca-App in Hamburg: Bußgeld umgehen?
Wer seit Jahresbeginn bereits eine Strafe wegen des Verstoßes gegen die Regeln kassierte, kann sich möglicherweise dagegen wehren. „Man muss selbst aktiv werden und Widerspruch mit der Begründung einlegen, dass die Kontaktverfolgung per Luca-App ja gar nicht mehr stattfindet“, heißt es dazu aus Polizeikreisen.
Die Corona-Zahlen erreichen derweil immer schwindelerregendere Höhen. Am Freitag meldete die Gesundheitsbehörde mit 6532 Neuinfektionen einen weiteren Negativrekord. Am Montag gab es 4613 neue Corona-Fälle, die Inzidenz erreichte einen neuen Höchststand von 1881,9.
Corona in Hamburg: Inzidenz tatsächlich höher als angegeben
Die Zahl der Covid-Patienten, die stationär behandelt werden müssen, gab die Behörde mit 450 an, 65 von ihnen wurden intensivmedizinisch betreut. Damit ist die Auslastung im stationären Bereich im Vergleich zur Vorwoche auf den Normalstationen angestiegen, im intensivmedizinischen Bereich gesunken. Seit Beginn der Pandemie haben sich 199.955 Hamburgerinnen und Hamburger infiziert, rund 138.500 Personen gelten als genesen.
Die Sozialbehörde wies darauf hin, dass die gemeldeten Fälle der bislang verarbeiteten Fallanzahl entsprächen. „Es ist davon auszugehen, dass die Zahl der tatsächlichen Fälle und damit auch die tatsächliche Inzidenz höher sind als angegeben“, heißt es in einer Mitteilung.
„Der Grund hierfür ist der schnelle Anstieg und das hohe Fallaufkommen, welches zu einer teilweise späteren Meldung von Befunden durch die Labore sowie zu einer teilweise verzögerten Bearbeitung an den übermittelnden Stellen führt.“
PCR-Tests knapp, Labore überlastet
Die Überlastung der Labore und Gesundheitsämter nimmt dabei immer eklatantere Züge an: Nach Abendblatt-Informationen warten inzwischen mehr als 10.000 Hamburger auf einen PCR-Abstrich. Ein Sprecher der Sozialbehörde konnte diese Zahl nicht bestätigen. Aus Behördenkreisen heißt es aber, dass sich der Rückstand bei den Tests mittlerweile auf eine fünfstellige Zahl belaufe. „Das ergibt sich rein rechnerisch aus der enorm hohen Inzidenz und den täglichen Verdachtsfällen. Die Kapazitäten sind für diese Masse nicht ausgelegt“.
Die aktuellen Corona-Fallzahlen aus ganz Norddeutschland:
- Hamburg: 2311 neue Corona-Fälle (gesamt seit Pandemie-Beginn: 430.228), 465 Covid-19-Patienten in Krankenhäusern (davon auf Intensivstationen: 44), 2373 Todesfälle (+2). Sieben-Tage-Wert: 1435,3 (Stand: Sonntag).
- Schleswig-Holstein: 1362 Corona-Fälle (477.682), 623 Covid-19-Patienten in Krankenhäusern (Intensiv: 39). 2263 Todesfälle (+5). Sieben-Tage-Wert: 1453,0; Hospitalisierungsinzidenz: 7,32 (Stand: Sonntag).
- Niedersachsen: 12.208 neue Corona-Fälle (1.594.135), 168 Covid-19-Patienten auf Intensivstationen, 7952 Todesfälle (+2). Sieben-Tage-Wert: 1977,6; Hospitalisierungsinzidenz: 16,3 (Stand: Sonntag).
- Mecklenburg-Vorpommern: 700 neue Corona-Fälle (381.843), 768 Covid-19-Patienten in Krankenhäusern (Intensiv: 76), 1957 Todesfälle (+2), Sieben-Tage-Wert: 2366,5; Hospitalisierungsinzidenz: 11,9 (Stand: Sonntag).
- Bremen: 1107 neue Corona-Fälle (145.481), 172 Covid-19-Patienten in Krankenhäusern (Intensiv: 14), 704 Todesfälle (+0). Sieben-Tage-Wert Stadt Bremen: 1422,6; Bremerhaven: 2146,1; Hospitalisierungsinzidenz (wegen Corona) Bremen: 3,88; Bremerhaven: 7,04 (Stand: Sonntag; Bremen gibt die Inzidenzen getrennt nach beiden Städten an).
Bei der Einstufung der Menschen, die zunächst mit Johnson & Johnson geimpft wurden, hat der Senat eine bemerkenswerte Pirouette hingelegt. Mit der Einführung der Regeln von 2G plus (genesen oder geimpft plus getestet) gab es eine besondere Situation: Wer geboostert war, also bereits eine Auffrischungsimpfung erhalten hat, konnte sich einen aktuellen Schnelltest sparen, wenn er ins Restaurant oder Fitnessstudio wollte.
Johnson & Johnson: Über Nacht gelten neue Regeln
Als offiziell geboostert galten zum Beispiel die, die zweimal Biontech oder Moderna und dann einen dritten Piks mit einem dieser Impfstoffe erhielten. Auch die mit Astrazeneca Versorgten zählten dazu, wenn sie eine zweite und deutlich später eine dritte Spritze dann mit einem mRNA-Impfstoff bekamen.
- Hamburg hat bundesweit höchste Inzidenz – weitere Tote
- Nur 2000 Fans beim Derby: Der Irrsinn muss aufhören
- Sütterlin-Waack: „Den Protest müssen wir aushalten“
- Corona drückt Zahl der Geburten in Reinbek deutlich
- Querdenker-Demos: 3300 Menschen protestieren gegen Politik
Wer das Einmalvakzin von Johnson & Johnson erhielt, galt mit einer weiteren Spritze von Biontech oder Moderna in Hamburg bei 2G plus als aufgefrischt, also befreit von der Pflicht zum Test. Wie das Abendblatt Anfang Januar bereits berichtete, war das eine Abweichung von der Ständigen Impfkommission. Die Stiko schrieb in ihrem „Epidemiologischen Bulletin“, das online früh vorlag: Wer Johnson & Johnson hatte und eine Spritze mRNA, dem wurde nur die Grundimmunisierung „komplettiert“. Klare Ansage: Das ist kein Booster.
Spontan neue Regeln des Paul-Ehrlich-Instituts?
Nun heißt es aus der Sozialbehörde, der Bund habe „spontan“ und ohne Übergangsfrist“ seine Regeln geändert. Was ein „vollständiges Impfschema“ sei, das habe das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) am vergangenen Freitag geändert. Die Regeln hätten vom 15. Januar an gegolten. Über Nacht wurden Zehntausende Johnson-Geimpfte, die sich ein weiteres Mal haben impfen lassen, plötzlich „ungeboostert“ und testpflichtig bei 2G. Die Sozialbehörde schreibt lakonisch: „Eine gesonderte Kommunikation seitens des PEI an die Länder erfolgte hierüber nicht.“
Der Grund für die Änderung bei den Impfschemata liegt in neuen wissenschaftlichen Studien über die Wirksamkeit und die Dauer des Impfschutzes. Ob Hamburg sich bei 2G darüber hinwegsetzen kann, ist unklar. Andere Bundesländer taten das bei vergleichbaren Neuregelungen und Impffristen mehrfach. In Hamburg haben nach RKI-Zahlen rund 107.000 Menschen bei der Erstimpfung Johnson Johnson erhalten.
So sollen PCR-Tests rationiert werden
Melanie Leonhards (SPD) Behörde hätte sich eine klarere Kommunikation des Bundes gewünscht. Bei der Gesundheitsministerkonferenz an diesem Sonnabend und zwischen den Ministerpräsidenten am Montag dürfte das zur Sprache kommen. Dass die Regeln erneut geändert werden, scheint denkbar. Auch die Rationierung bei den PCR-Tests dürfte auf die Agenda kommen. In Hamburg hatten der Vorstandschef der Kassenärzte, Walter Plassmann, sowie Laborbetreiber Dr. Jens Heidrich Ideen ins Spiel gebracht, um das kostbare Gut auf die zu beschränken, die dringend einen professionellen Abstrich und eine PCR-Testung brauchen.
Bis zu vier Tage kann es für Corona-Verdachtsfälle dauern, ehe ein Abstrich vom Arztruf genommen wird und das Ergebnis vorliegt. Besonders betroffen von dem hohen Infektionsgeschehen sind auch die Kitas, von denen am Freitag 13 ganz geschlossen werden mussten, wie das Abendblatt erfuhr. In 47 Kitas waren eine oder mehrere Gruppen geschlossen.
Corona-Ausbruch in Hamburg: Zahlreiche Kitas betroffen
Der Umgang mit Verdachts- und Infektionsfällen bei Kindern und dem Personal erfordere im Moment hohen Einsatz, weil immer wieder neue Konstellationen aufkämen und viele Fragen aufwerfen, heißt es aus der Sozialbehörde. „Weiterhin ist es jedoch so, dass wir bei Kindern kaum Erkrankungen und schwere Verläufe sehen. Diese Beobachtung machen wir über alle vergangenen Monate hinweg“, so ein Sprecher. Es gebe viele Fälle, aber keinen Grund zu großer Sorge über die individuelle gesundheitliche Situation bei den Kindern. Die neuen Quarantäneregeln, die seit dem 15. Januar in Hamburg gelten, hatte die Behörde erst in dieser Woche auch für die Kitas angepasst.
Angesichts der Gesundheitsministerkonferenz und der nächsten Bund-Länder-Runde am Montag fürchtet die Stadt, die Regeln erneut modifizieren zu müssen. An diesem Wochenende stehen bei den städtischen Impfangeboten reichlich freie Termine zur Auswahl. Die Hälfte der Angebote sei noch frei, heißt es in der Sozialbehörde. In den verbleibenden Januartagen seien noch mehr als 12.000 Termine auch kurzfristig verfügbar. Impfkandidaten können für den nächsten Tag buchen oder an einigen Impfstellen spontan vorbeikommen. Biontech und Moderna seien verfügbar.