Hamburg. Mehr und heftigere Beleidigungen gegen Vertreter aller Parteien. Twitter fällt besonders auf. Appell der Polizei an Opfer von Hassmails.

Es sind Botschaften voller Hass – mit Wörtern wie „Lügenschwein“, „Hirngef***tes Opfer“ oder „Häng dich endlich auf“: Die Fälle von krassen Beleidigungen von Politikern und ihren Mitarbeitern in Hamburg nehmen deutlich zu. Das bestätigte die Polizei auf Anfrage.

Die Betroffenen im Senat, in der Bürgerschaft und auf Bezirksebene machen die Beleidigungen meist nicht selbst öffentlich – sagten aber bei einer Umfrage des Hamburger Abendblattes, dass die Grenzüberschreitungen häufiger und noch extremer werden. Auch explizite Morddrohungen seien unter den Zuschriften. Alle Befragten warnen vor einer weiteren Verrohung des Diskurses und Gefahren für die Demokratie.

Hassmails kommen besonders oft bei Themen wie Migration und Gendersprache

Bei „Hate Speech“ im Netz handele es sich längst um ein „Massenphänomen“, sagte Justizsenatorin Anna Gallina (Grüne) – betroffen seien nicht nur Politikerinnen wie sie, sondern etwa auch Journalisten. „Da gerät auch die Meinungsfreiheit unter die Räder, wenn dieser geballte Hass dazu führt, dass Menschen aus Angst ihre Meinung nicht mehr frei sagen“, sagte Gallina.

Bürgerschaftspräsidentin Carola Veit (SPD), die seit Langem mit extremen Anfeindungen konfrontiert ist, vertritt eine wehrhafte Reaktion auf die Hassmails: „Ich zeige jeden Fall konsequent an.“ Dasselbe rät die Hamburger Polizei eindringlich allen Opfern von Beleidigungen im Internet.

Vor allem Twitter sticht bei Hass im Netz besonders negativ heraus

Die Abendblatt-Umfrage zeigt, dass Themen wie Migration und Gendersprache für besonders viele Hassmails sorgen. Aber auch Politiker, die gegen Antisemitismus eintreten, erfahren regelmäßig Bedrohungen. Nach Polizeiangaben sticht bei Hass in den sozialen Medien vor allem Twitter negativ heraus.

Senatssprecher kündigte Strafanzeige während Liveübertragung an

Senatssprecher Marcel Schweitzer wehrte sich öffentlich.
Senatssprecher Marcel Schweitzer wehrte sich öffentlich. © dpa | Daniel Bockwoldt

Ein Fall, der öffentlich wurde, ereignete sich bei einer Hamburger Landespressekonferenz im Frühsommer: Senatssprecher Marcel Schweitzer schaltete sein Mikrofon an und las die Beleidigung während der Liveübertragung vor: „Ich möchte erklären, dass ich gerade in einer E-Mail als ,Lügenschwein‘ bezeichnet wurde“. Und dann, direkt an die Adresse aller Zuschauer der Landespressekonferenz im Frühsommer: „Ich nehme meinen Job sehr ernst, lasse mich nicht derart beleidigen und werde Anzeige erstatten.“

Eine so öffentliche Reaktion auf Hassmails ist selten. Auf allen Ebenen in Hamburg sind Politiker und ihre Mitarbeiter von Beschimpfungen und teilweise auch Bedrohungen betroffen, aber äußern sich kaum dazu. Das hat Gründe: Sich öffentlich zu wehren kann noch mehr Hass provozieren. Auch wollen einige Verantwortungsträger den Verblendeten nicht noch eine Bühne geben.

Hassmails an Politiker – Problem nimmt zu

Aydan Özoguz (SPD) ist seit Jahren stark betroffen.
Aydan Özoguz (SPD) ist seit Jahren stark betroffen. © Aydan Özoguz, SPD | Aydan Özoguz, SPD

Eine Abendblatt-Umfrage in Hamburg zeigt aber: Das Problem nimmt weiter zu, trotz Appellen und einer Offensive gegen „Hate Speech“. Die Polizeisprecherin Sandra Levgrün spricht von einem aktuellen und „signifikanten Anstieg“ der Beleidigungen in diesem Jahr, wenngleich die bekannten Fälle von Morddrohungen zurückgingen. „Hass und Hetze im Netz haben im Wahlkampf sicherlich eine noch größere Dimension angenommen“, sagt auch Justizsenatorin Anna Gallina (Grüne).

Erfahren hat das etwa Aydan Özoğuz (SPD), die als Direktkandidatin in Wandsbek erneut in den Bundestag einzog. Für sie ist der Hass bereits seit der Flüchtlingskrise im Jahr 2015 auf einem „ganz neuen Niveau“ angekommen. Etwa 20 bis 30 Strafanzeigen habe sie erstattet. „Das klingt wenig“, sagt Özoğuz. „Aber würde man jeden Facebook-Kommentar mit ,dumme Kuh‘ oder ,hau ab in dein Land‘ zur Anzeige bringen, käme man zu nichts anderem mehr.“ Etwa Drohungen gegen sie und ihre Familie könne man aber genauso wenig stehen lassen, wie sie auszublenden.

Ergebnisse der Strafanzeigen sind ernüchternd

Die Ergebnisse der Strafanzeigen seien gleichwohl sehr ernüchternd. „Wir wissen nur von einer Verurteilung in all den Jahren“ – gegen einen Mann, der schrieb, man solle Özoğuz die Haut abziehen und sie steinigen. „In einem Fall, da hatte ein Facebook-Nutzer geäußert, wir bräuchten Buchenwald (NS-Konzentrationslager, d. Red) zurück, wurden die Ermittlungen eingestellt, weil ein anderer dieser Person zugeordneter Delikt schwerwiegender wäre. Da fragt man sich schon, wer sich dort alles im Netz rumtreibt.“

Vor allem Frauen stehen im Visier von Hassmails vom rechten politischen Rand. Auf der Facebook-Seite von Hamburgs Zweiter Bürgermeisterin Katharina Fegebank (Grüne) werden Kommentare bereits automatisch verborgen, die Beleidigungen wie „Schlampe“ oder äußerliche Abwertungen beinhalten. Trotzdem waren etwa in Anspielung auf ihre Partei zu lesen, dass „Unkraut und anderes Grünzeug beseitigt“ werden könne, dafür gebe es „Mittel von Bayer“.

Drei Nutzern gefiel das. „Ich weiß, wie man sich fühlt, wenn man öffentlich unter der Gürtellinie beschimpft wird“, sagt Fegebank. Sie sieht ernsthafte Gefahren für die Demokratie. „Das macht etwas mit den Menschen, denen der Hass entgegenschlägt, und nimmt anderen den Mut, sich an politischen Diskussionen zu beteiligen.“

Auch Islamisten verschicken verstärkt Hassmails

Dennis Gladiator (CDU) wird von Antisemiten angefeindet.
Dennis Gladiator (CDU) wird von Antisemiten angefeindet. © Michael Rauhe

Alle Bürgerschaftsfraktionen bestätigen regelmäßige Hassmails – auf Ebene der Bezirksversammlungen sei es dasselbe. Auch die Politikbereiche, die für besonders schlimme Zuschriften sorgen, sind oft die gleichen: Corona, Migration und Innere Sicherheit oder Gendersprache. Trotzdem wird das Phänomen der „Hate Speech“ vielfältiger. So sagt etwa der innenpolitische Sprecher der CDU-Fraktion, Dennis Gladiator, dass er „neben Beleidigungen aus der extremen linken und rechten Ecke“ immer häufiger auch von Nutzern aus dem islamistischen Spektrum angefeindet und bedroht werde – „besonders immer dann, wenn ich mich für ein sicheres und freies jüdisches Leben in unserer Stadt einsetze.“

Bei der SPD in der Bürgerschaft trifft es ebenfalls vor allem Fachpolitiker, sagt der Fraktionsvorsitzende Dirk Kienscherf. „Ich persönlich bin weniger betroffen, musste mich aber auch schon als Faschist, Terrorist oder Nazi bezeichnen lassen.“ Er hält fest: „Die Grenzen des Sagbaren wurden verschoben.“

Ein Anteil an dieser Verrohung wird häufig auch der AfD zugeschrieben – deren Fraktionschef Dirk Nockemann erlebt nach eigenen Angaben aber ebenfalls Beleidigungen, die in Anzahl und Heftigkeit weiter zunähmen. „Im Regelfall erstatte ich keine Anzeige, und ich gehe auf diese tumben Menschen auch nicht ein“, so Nockemann.

Die FDP-Abgeordnete Anna von Treuenfels konfrontiert die Absender der Hassbotschaften in Einzelfällen dagegen direkt. „Leider ist auch festzustellen, dass die Justiz in Hamburg nicht genug ausgestattet ist, um Beleidigungsanzeigen ausreichend verfolgen zu können.“

Bürgerschaftspräsidentin Veit sagte in Prozess wegen belästigender Fotos aus

Als Vorreiterin für einen offensiven Umgang mit „Hate Speech“ gilt Bürgerschaftspräsidentin Carola Veit. Sie sagte als Zeugin im Prozess gegen einen Mann aus, der sie mit Bildern seines Genitals belästigt hatte. Der Montagearbeiter wurde wegen diesem und weiteren Vergehen zu 20 Monaten Haft verurteilt. „Es ist gut, dass dieser Fall aufgeklärt ist und der Täter ermittelt wurde“, sagt Veit.

Dem Staatsschutz sind im Jahr 2020 nur zwölf Fälle von Beleidigungen gegen Politiker bekannt geworden. Insgesamt würden wohl viel zu wenige Hassbotschaften zur Anzeige gebracht, sagt die Polizeisprecherin Sandra Levgrün. Sie appelliert an alle Betroffenen, sich zu melden. „Nur so können wir gemeinsam dagegen effektiv vorgehen.“

Nach der Beleidigung des Senatssprechers Schweitzer als „Lügenschwein“ ist ein Verfahren eingeleitet worden. Die Beamten wollen die Identität des Mail-Absenders ermitteln.